Avignon. Topfavorit Christopher Froome hat seinen Vorsprung in der Gesamtwertung der Tour de France weiter ausgebaut. Der britische Radprofi gewann am Sonntag die 15. Etappe und feierte damit seinen zweiten Tagessieg.
Die Straße ist so steil, als hätte sie jemand an die Wand genagelt. Dazu wehen die Böen des Mistrals unterhalb der Wetterstation des Mont Ventoux alles weg, was man nicht festhält. Nur die Kraft und den Willen von Christopher Froome kriegt der Wind nicht zu fassen. Der britische Radprofi gewinnt am Sonntag, dem Nationalfeiertag der Franzosen, die 15. Etappe der Tour des France.
5 Stunden und 47 Minuten hat er im Sattel gesessen und hat 242 Kilometer gefressen wie unsereiner das erste Mittagessen nach mehrwöchiger Fastenkur. Dazu hat er im Finale auf der Pass-Straße zum Gipfel alle Konkurrenten nicht nur abgehängt, er hat sie versenkt.
Mit einem Rückstand von knapp zwei Minuten auf die Ausreißergruppe an der Spitze ist er in die Linkskurve eingebogen, hinter der die letzten 20 Kilometer des Anstiegs beginnen. Am Ende hat er alle überholt, siegt mit 29 Sekunden Vorsprung vor dem Kolumbianer Nairo Quintana und verteidigt sein Gelbes Trikot. Bauke Mollema aus Holland, der Zweite der Gesamtwertung, kommt mit einem Rückstand von 1:46 Minuten ins Ziel. Alberto Contador, der Spanier auf dem dritten Rang der Tourwertung, kassiert einen Rückstand von 1:40 Minuten. Eine Woche vor dem Ende der Tour ist es mehr als nur die Vorentscheidung.
Froome ist 28 Jahre alt und schmal wie ein gefaltetes Handtuch mit Kopf. Wie holt dieser Mann die Kraft aus seinen Beinen? Sie wirken so dünn wie Trommelstöcke, wenn man neben ihm steht.
Zwei Theorien umgeben Team Sky
Es gibt dazu zwei Theorien. Die eine davon ist die offizielle seiner Mannschaft, dem britischen Sky Team, für das im vergangenen Jahr der Brite Bradley Wiggins die Tour gewann. Die Mechaniker von Sky haben ein neues Kettenblatt entwickelt, das durch seine ovale Form wirkungsvoller arbeiten soll als die runden, herkömmlichen Blätter. Es soll zudem eine neue Trainings-Methodik geben, für die Sky den früheren Schwimm-Trainer Tim Kerrison engagiert hat. Die Methode kombiniert Kraft und Ausdauer. Dazu beruft sich Sky-Manager Dave Brailsford auf Froomes genetischen Vorteil: „Er hat ein großes Herz und eine riesige Lunge.“
Soweit die offizielle Version für das Geheimnis des Erfolges. Die andere Theorie lautet: Seit einigen Jahren – 2009 fand die Polizei bereits eine leere Packung im Hotel des Astana-Teams – heißt das verbotene Wundermittel für Radprofis Aicar. Es funktioniert vereinfacht gesagt so: Aicar ist ein Antifettsucht-Medikament, das im Körper die Zahl der Mitochondrien wachsen lässt. Dies sind die Kraftzellen der Muskeln, die dadurch effektiver werden. Gleichzeitig verhindert das Medikament den Gewichtszuwachs und verfügt somit über die Zauberformel: Mehr Leistung aus einem leichteren Körper.
Und es hat für diejenigen, die dopen wollen, einen weiteren Vorteil wie ihn um die Jahrtausendwende auch die damalige Wunderdroge Epo hatte: Der körperfremde ist noch nicht vom körpereigenen Stoff zu unterscheiden. Mit den heutigen Methoden ist das Mittel also nicht nachweisbar.
Froome ist vor der Etappe zum Mont Ventoux auf dieses Thema angesprochen worden. Er sagte: „Ich bin zu 100 Prozent sauber und weiß, dass meine Resultate auch in zehn Jahren bei einer Nachuntersuchung nicht gestrichen werden.“
Der 28-Jährige war schon in den Pyrenäen auf der ersten großen Bergetappe zum Gebirgsort Ax-3-Domaines dem Rest der weltbesten Radprofis auf und davon geflogen. Am Nationalfeiertag wiederholte Froome diesen Ritt. Zwei Kilometer vor dem Ziel attackierte er seinen letzten Widersacher. Der kolumbianische Bergspezialist Quintana blieb förmlich auf dem Asphalt kleben. Es war ungefähr an der Stelle, an der am Streckenrand die Gedenktafel für Tom Simpson steht. Der britische Weltmeister war am 13. Juli 1967 bei der Tour unterhalb des Gipfels mit einem Cocktail aus Alkohol und Amphetaminen im Blut vom Rad gekippt und auf der Straße gestorben. Simpson war der erste Doping-Tote.
Froome sagte nach seinem Triumph vom Sonntag: „Es bedeutet mir viel, bei der 100. Tour diese Etappe zu gewinnen. Damit hatte ich nicht gerechnet.“ Sie nennen ihn den „Weißen Kenianer“, weil er in Kenia zur Welt kam. Es gab schon einmal einen europäischen Sportstar, den sie den „Weißen Kenianer“ nannten. Er war ein 5000-Meter-Läufer, sein richtiger Name: Dieter Baumann.