Peking. Am Freitag werden in Peking die Olympischen Winterspiele eröffnet. Ein erster Kontakt mit China, das keinen Kontakt haben will.

Am blauen Himmel von Peking haben die Olympischen Sonnenspiele begonnen. Keine Wolke ist zu sehen, die Temperaturen von knapp unter null Grad ermöglichen einen endlos weiten Blick bis zur Gebirgskette im Norden. Das ist erfreulich, liegt doch in anderer Hinsicht ein gewaltiger Schatten über der 21-Millionen-Einwohner-Metropole.

Farben täten der Stadt besonders gut, in der an diesem Freitag (13 Uhr deutscher Zeit/ZDF) in einer Zeremonie im Vogelnest genannten Nationalstadion das Feuer für die 24. Olympischen Winterspiele entzündet wird. Bei der Busfahrt vom Flughafen hinein ins Zentrum werden den zahlenmäßig streng limitierten beruflichen Besuchern mehr Tonabstufungen von Grau und Beige präsentiert, als es bis zum 20. Februar Wettkampftage gibt. Wäre Peking ein Gemälde von riesigen Wohnsilos und dazwischen gepflanzten Baumgruppen – der kalte Winter hätte der Vegetation jegliches Leben ausgesaugt und auf der einen Seite den Rahmen angehoben, damit auf der anderen unten die warmen Farbtöne herauslaufen. Trist und monoton alles, was in den nächsten Tagen bunt sein, Freude und Emotionen bringen soll.

2008 bereits Ausrichter im Sommer

Rot herrscht vor: Peking-Besucher mit Flagge.
Rot herrscht vor: Peking-Besucher mit Flagge. © Getty Images | Andrea Verdelli

So ist die olympische Idee ja zumindest im Grundsatz zu verstehen. Auch in Peking, das viele Menschen sich vergeblich nicht noch einmal nach 2008 als Austragungsort von Olympischen Spielen (als erste Stadt einst mit der Sommer- und jetzt mit der Winter-Version) gewünscht haben, wird es begeisternde Gewinner- und dramatische Verlierergeschichten geben. Achtet man auf die wenigen Farbtupfer im Stadtbild, wird schnell klar, worauf China bei seiner Selbstinszenierung setzt, auch wenn die Aussichten auf Goldmedaillen nicht sonderlich rosig sind: Alles auf Rot. Überall hängen die roten Fahnen des Landes, in überdimensionalem Ausmaß natürlich vor dem Museum der Kommunistischen Partei. Die IOC-Banner an Laternen sind in der gleichen Farbe gehalten, abends sind die fünf Fackeln des imposanten und 258 Meter hohen Olympiaturms rot illuminiert. „Wenn die Welt ihre Augen auf China richtet“, sagte Staatspräsident Xi Jinping am Donnerstag, „wird China bereit sein.“

Das Epizentrum des Fünf-Ringe-Ordens befindet sich nördlich der Verbotenen Stadt. Hier wird Olympia zur zweiten Verbotenen Stadt Pekings.

Auf Straßen, die Jumbos zum Start und zur Landung dienen könnten, fahren auffällig viele Autos deutscher Fabrikate. Hier sind auch die Bauten imposanter, moderner. Die rasant aufstrebende Supermacht will zeigen: Seht her, wir sind wer. Vom Olympischen Dorf über das Vogelnest, vorbei am Medienzentrum im National Convention Center bis hin zum Olympic Forest Park erstreckt sich eine olympische Illusion, an der die Bevölkerung Chinas jedoch gar nicht richtig teilhaben soll. Alles, was irgendwie mit den Winterspielen in Verbindung gebracht wird, ist eingezäunt und unzugänglich für Unautorisierte. Closed Loop nennt dies das Internationale Olympische Komitee. Eine Welt drinnen und eine Welt draußen, Interaktion ausdrücklich unerwünscht wie unmöglich – das ist das Reich der Schnitte.

China vollzieht eine Null-Covid-Strategie, hat sich seit zwei Jahren nahezu vollständig abgeschottet vor der Pandemie. Trotzdem hat das Virus in Verbindung mit den zwecks Olympia Angereisten seit dem 23. Januar zu 287 Infektionen geführt. Dass sich die Volunteers, die sich in den nächsten zweieinhalb Wochen ebenfalls von ihren Familien abschirmen müssen, hinter Masken verstecken, ist nur die einfachste Form des Corona-Schutzes: Viele tragen Schutzanzüge, an den Ärmel-Enden ist der Übergang zum Handschuh mit Klebeband versiegelt. Selbst Handys werden in Plastiktüten verpackt und so vor dem Virus geschützt, das die Menschen, nicht aber technische Geräte in Gefahr bringt. Kontrolle schlägt Vertrauen.

Bach spricht von einer neuen Ära

Pulverschnee in Zhangjiakou – wenigstens ein bisschen Winter.
Pulverschnee in Zhangjiakou – wenigstens ein bisschen Winter. © AFP | Ludovic EHRET

Olympia ist eine Pathos-Maschine. Dem Gastgeberland China ist es zig Milliarden wert, der Welt für zwei, drei Wochen eine trügerische Ruhe vorzuspielen. Niemand weiß so genau, woher die Schätzung kommt, aber das älteste Sportfest der Welt soll 300 Millionen Chinesen Disziplinen auf Schnee und Eis näher bringen. Für IOC-Präsident Thomas Bach (68), der sich am Donnerstag das einzige Mal während der Spiele den Medien stellte und unangenehmen Fragen auswich, beginnt heute „eine neue Ära des Wintersports, China ist bereits eine Wintersportnation“.

Um die zu erleben, muss man sich in den Schnellzug setzen und in den Norden fahren. 50 Minuten braucht dieser ins 170 Kilometer entfernte Zhangjiakou. In dem kleinen Skiressort liegt wenigstens echter Schnee, dünn wie eine Schicht Puderzucker. Der eisige Wind drückt die gefühlte Temperatur auf minus 20 Grad herunter. Zum Glück sind die Vögel in den Süden entflohen – sie würden hier als Schwalben-Eis vom Himmel fallen. Und ebenfalls zum Glück trägt das Maskottchen Bing Dwen Dwen, ein Panda, eine Ganzkörperschale, um sich vor der klirrenden Kälte zu schützen.

Kunstschnee in der Steinwüste

Biathleten und Kombinierer kämpfen in Zhangjiakou in den nächsten Tagen um Gold, Silber und Bronze, auf alpinen Pisten und im Eiskanal geht es um Medaillen in Yanqing, rund 80 Kilometer außerhalb von Peking. In beiden Orten spielt sich sportlich betrachtet das wahre Olympia ab – beim Anflug auf Peking erscheinen sie aber wie Dystopia. Rund um Zhangjiakou und Yanqing herrscht Steppenklima, nichts wächst hier auf der Steinwüste. Der Kunstschnee für die Abfahrten sollte europäischen Skifahrern zwar durchaus geläufig sein. Dennoch bleibt die Frage, wie nachhaltig das ganze Wintersport-Projekt mit den alpenländisch angehauchten Riesenhotels für das Land ist, wenn Olympia am überwältigenden Teil der 1,4 Milliarden Menschen vorbeigehuscht ist – wenn Frühling und Sommer wieder Farben in China zulassen.

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