Duisburg. Beim 1:2 gegen Nordmazedonien vergibt Timo Werner die Chance auf den Sieg - und verdeutlicht ein großes Problem des Nationalteams.

Timo Werner sank in die Hocke, schlug die Hände vors Gesicht. Wenige Meter weiter kauerte Ilkay Gündogan am Boden, wirkte ähnlich verzweifelt wie der Stürmer der deutschen Nationalmannschaft. Die Ursache für die Verzweiflung hatte sich wenige Sekunden zuvor abgespielt: Nach einem Steilpass von Serge Gnabry lief Gündogan recht unbedrängt in Richtung Tor - und mit ihm lief Werner. Gündogan legte quer, nicht ganz mustergültig, nicht voll in den Lauf - aber doch so, dass ein Profifußballer diesen Ball allein vorm Tor hätte verwerten müssen. Doch Werner traf die Kugel gar nicht erst richtig, sie trudelte ins Toraus.

Es hätte nach 80 Minuten beim Stand von 1:1 der Siegtreffer für Deutschland gegen Nordmazedonien sein können, stattdessen fiel einige Minuten später noch das 1:2 und die Blamage gegen den Fußballzwerg war perfekt. Und die vergebene Chance von Werner war ein wichtiger Knackpunkt, das sahen auch die meisten Beteiligten so. Nicht Werner, der verschwand nach Abpfiff blitzschnell in den Katakomben des Duisburger Stadions.

Gündogan als Kapitän kam nicht so schnell davon, er musste beim übertragenden Sender RTL Rede und Antwort stehen. "Das tut mir leid für Timo", sagte er. "Er ist derjenige, der das Tor am allermeisten machen will." Werner mache "sich selbst die größten Vorwürfe, normalerweise macht er so eine Chance", erklärte Bundestrainer Joachim Löw. "Das war ein Knacks für die Mannschaft, dass wir die Chance ausgelassen haben."

Timo Werner steckt in der Krise

Dabei stand die Szene durchaus sinnbildlich. Für die Krise Timo Werners, der noch nicht so richtig in Tritt gekommen ist, seit er im Sommer für 53 Millionen Euro von RB Leipzig zum FC Chelsea gewechselt ist. Fünf Tore in 28 Premier-League-Spielen, nur ein Treffer in zwölf Ligapartien seit der Jahreswende - das ist wenig für einen, der in Leipzig jahrelang der Torgarant war. In allen drei Länderspielen der vergangenen Tage ward er Stürmer folglich nur von der Bank gekommen.

Löws Problem: Auch seine übrigen Offensivspieler tun sich derzeit schwer mit dem Toreschießen. Schon nach dem 1:0-Sieg in Rumänien am Sonntag war die Chancenverwertung ein Thema, und eigentlich schleppt die Nationalmannschaft diese Sorge schon viel länger mit sich herum. Im vergangenen Jahr wurde so manche Führung nicht über die Zeit gebracht, weil ein zweiter Treffer einfach nicht fallen wollte.

Löw hadert mit fehlender Konsequenz

Und auch gegen Nordmazedonien gab es manch gute Gelegenheit: Leon Goretzka traf die Latte (9.), Gnabry schoss aus fünf Metern drüber (31.), hinzu kam Werners Fehlschuss. Ebenso frappierend aber auch die vielen Szenen im Strafraum, als die deutschen Spieler gar nicht erst aufs Tor schossen, als sie lieber noch einmal und noch einmal querspielten - ganz so, als plage sie die Angst vor dem nächsten Fehlschuss.

Der Bundestrainer seufzte erst einmal, als er danach gefragt wurde. "Chancenverwertung in Drucksituation im Wettbewerb - dafür gibt es kein Patentrezept", sagte er. "Man kann das natürlich trainieren, aber nicht unter Wettkampfbedingung." Er wird vor allem versuchen müssen, mit Worten zu wirken: "Wir waren heute zu zögerlich im Abschluss, zu klein-klein", monierte Löw. "Ich hätte mir gewünscht, dass wir öfter den Abschluss suchen, da waren wir nicht konsequent."

Gomez als warnendes Beispiel für Werner

Sein Gegenmittel: "Wir müssen weiter daran arbeiten, müssen den Spielern Dinge aufzeigen, die sie besser machen können." In der Vorbereitung auf die Europameisterschaft dürfte dieses Thema weit oben auf dem Programm stehen. Denn die ersten beiden Gegner sind Weltmeister Frankreich und Europameister Portugal, da wird die Zahl der Torchancen für die deutsche Mannschaft wohl nicht besonders hoch sein - weshalb sie dringend besser ausgewertet werden müssen.

Werner wird trotz seines Fehlschusses ziemlich sicher dabei sein im deutschen Kader, allzu viele Mittelstürmer von internationalem Format gibt es in Deutschland ja nicht. Er muss nun hoffen, dass ihn die vergebene Großchance nicht allzu lang verfolgt. Mario Gomez etwa vergab einst eine ähnlich gute Gelegenheit in einem EM-Spiel gegen Österreich auf ähnlich klägliche Art und Weise - und schien sich davon im Trikot der Nationalmannschaft nie wirklich zu erholen.