Paris. Wo Polens Kapitän Robert Lewandowski auftaucht, herrscht Aufregung. Für den Stürmer des FC Bayern scheint es keine Grenzen zu geben.

So verletzlich hatten sie ihn nicht gekannt in Dortmund. Die Bühne gehörte Robert Lewandowski allein. Der Rasen war leer, die Kollegen in der Kabine verschwunden, aber der Stürmer blieb noch. Es war sein letztes Spiel für die Borussia in Dortmund gewesen, das stand fest. Sein Trikot hatte er einem Fan geschenkt, weshalb sein Oberkörper entblößt war. Ein Oberkörper, den Hammer und Meißel erschaffen hatten. Er stand im Mittelkreis, verneigte sich in Richtung der Tribünen, auf denen ihn die Zuschauer feierten. Er würde alsbald gehen. Nach München zu den Bayern. Alle wussten es. Aber die Enttäuschung darüber wog deutlich weniger als das, was dieser Mann den Menschen an Freude gebracht hatte. Sie dankten ihm, dass sie ihm vier Jahre lang beim Toreschießen hatten zuschauen dürfen. Und Robert Lewandowski, der Mann aus Stein, hatte die Tränen in den Augen. Im Sommer 2014 war das.

Größere sichtbare Emotionen gehören sonst eher nicht zum Repertoire des polnischen Stürmers. Sie täten seinem Spiel wohl nicht besonders gut. Und wenn der 27-Jährige eins nicht zulässt, dann Dinge, die auch nur potenziell seine Leistung gefährden. Er geht seinen Weg. Immer geradeaus. Und immer nach oben. Zu seinem Karriereplan gehört stets alle drei, vier Jahre den nächsten Schritt zum größeren Verein zu machen. So haben er und seine in der Branche berüchtigten Berater den Weg an die Spitze konzipiert. So haben sie aus dem kleinen Jungen aus Leszno nahe Warschau, der so schmächtig und unscheinbar war, dass eine Profikarriere bis zu seinem 18. Lebensjahr höchst fraglich war, einen internationalen Superstar geformt. Als Kapitän führt er heute die polnische Mannschaft auf das Feld, wenn es bei der EM in Frankreich gegen Deutschland schon um den Gruppensieg zu gehen scheint. "Die Deutschen sind der Favorit, aber in einem Spiel ist alles möglich", sagt Lewandowski. Dass er recht hat, liegt vor allem an ihm.

DFB-Innenverteidiger Mats Hummels gerät ins Schwärmen

Innenverteidiger Mats Hummels gerät regelrecht ins Schwärmen. Vier Jahre lang hat er täglich beim BVB mit Lewandowski trainiert, zukünftig werden sie wieder Mannschaftskollegen in München sein. "Es ist einfach geil gegen ihn zu spielen. Er ist ein Komplettpaket als Stürmer, einer der besten Ballhalter, weil er unglaublich stabil ist und seinen Körper einsetzen kann. Er darf sich gar nicht erst zum Tor hindrehen", warnt Hummels: "Ich mag es aber total, gegen so einen tollen Stürmer zu spielen. Das ist dann 90 Minuten lang Abnutzungskampf. Er ist der beste Strafraumstürmer der Welt.​" Wo er auftaucht, herrscht Aufregung. So oder so.

Hunderte Fans hatten sich eingefunden, als der Helikopter sich endlich näherte. Im Südosten Polens, nahe der Grenze zur Ukraine, hatte Nationaltrainer Adam Nawalka seine Mannschaft zur Vorbereitung auf das Turnier zusammengezogen. Arlamow heißt der dünn besiedelte Ort, an den sonst nur ein paar Naturfreunde reisen. Aber die Begeisterung für Lewandowski zog die Menschen an. Wegen des deutschen Pokalfinals schwebte der Stürmer später als seine Mannschaftskollegen ein. Spitze Schreie, Fotos, Fernsehkameras. Vier Tage später reiste der polnische Staatspräsident Andrzej Duda in ähnlicher Weise an, um der Mannschaft Glück zu wünschen. Ein paar TV-Teams machten Bilder, das war's. Lewandowski ist der erste Mann im Staat, ein Profi der Superlative. Drei Tore schoss er 2012 im DFB-Pokalfinale gegen die Bayern. Eine historisch hohe Niederlage für München. Vier Tore erzielte er im Halbfinale der Champions League gegen Real Madrid. Das schaffte noch kein Spieler. Mit fünf Toren binnen neun Minuten gegen den VfL Wolfsburg stellte er gleich eine unübersichtliche Menge an Bundesliga-Rekorden auf. Sechs Tore in einem Spiel? In einer Halbzeit? Für den Kerl, den sie Lewy nennen, scheint es keine Grenzen zu geben. Und wenn doch und es etwas gibt, das ihm hilft, die Grenzen zu verschieben, dann nutzt er sie.

Seit Jahren schon kehrt er die Abfolge seiner Mahlzeiten um: erst das Dessert, dann Hauptgericht, dann Suppe oder Salat. Das helfe bei der Fettverbrennung, sagt er. Dadurch fühle er sich noch kraftvoller, sagt er. Den Tipp hat ihm seine Frau Anna gegeben. Sie ist Karate-Weltmeisterin und fordert ihren Robert, wenn es der jeweilige Trainer gerade nicht tut. Bilder von Robert und Anna vor, nach oder während des Workouts gibt es zahlreich auf ihren Profilen in den sozialen Netzwerken. Millionen von Menschen erreichen sie damit. "rl9" nennt sich Lewandowski dort. Eine Marke mit schon jetzt erstaunlicher Reichweite. Mit ihm und seiner Frau werden die Geschichten gemacht in seiner Heimat. Sechs Bücher erschienen in den Wochen vor der EM über Robert Lewandowski, seine Frau reiste noch vor ihm ins Trainingslager der Nationalmannschaft, um dort die anderen Spielerfrauen öffentlich zum Fitness-Training zu bitten. Anna gilt mittlerweile als eine Art Gesundheits-Guru, beide zusammen als die Beckhams Polens. Das Emblem des Sponsors ist bei beiden meist gut zu erkennen, so viel Geschäftssinn muss sein.

Lewandowskis Vertrag beim FC Bayern läuft bis 2019

Vermutlich sieht der nächste und mutmaßlich letzte Schritt zur Weltmarke einen Wechsel zu Real Madrid vor. Bis 2019 läuft Lewandowskis Vertrag bei den Bayern, zehn Millionen Euro im Jahr soll er dort bislang verdienen. Aber seine Berater haben schon jetzt dafür gesorgt, dass es Spekulationen über einen Wechsel gibt. Wenn es Robert Lewandowski dann tatsächlich irgendwann zu den Königlichen ziehen sollte, dann wäre zumindest sichergestellt, dass sein Name überall auf der Welt bekannt wäre. Das war vor drei Jahren noch nicht der Fall, als Lewandowski im Hinspiel gegen Real seine vier Treffer machte und BVB-Boss Hans-Joachim Watzke im Rückspiel in Spanien auf der Tribüne neben dem spanischen König Juan Carlos I zu sitzen kam. Der hatte mitbekommen, dass mit Mario Götze ein guter Spieler zu den Bayern wechseln würde und sagte dann ganz mitfühlend: "Aber ihr habt ja noch den Lewinski."