Berlin. Für die besten deutschen Schwimmer wie Poul Zellmann (Essen) sind die Finals in Berlin eine Zwischenstation, bei der die Zeit nebensächlich ist.

Die Pläne variieren. Das war schon vor zwei Wochen bei den Europameisterschaften im Schwimmen aufgefallen. Die meisten Stars der Szene trumpften auf, setzten vor den Olympischen Spielen, die am 23. Juli in Tokio beginnen, mehr als nur kleine Ausrufezeichen. Viele Nationen nutzten die EM als Formcheck im Duell mit den Besten. Doch in Deutschland entschied man sich anders. Für die meisten hiesigen Olympiastarter passten die kontinentalen Titelkämpfe nicht ins Programm. Auch die deutschen Meisterschaften - die Finals, die bis zum Sonntag auch in NRW in Duisburg, Dortmund, Bochum und Balve ausgetragen werden - kollidieren mit den Plänen.

Statt der Finals: Schwimm-Stars Wellbrock und Köhler trainieren für Tokio

Begeisterung löste es nicht überall aus, dass Stars wie Doppel-Weltmeister Florian Wellbrock oder Sarah Köhler nun in Berlin fehlen. Das Fernsehen wollte sie gern zeigen als Teil der Finals 2021, die mit großem Aufwand produziert werden. Doch viele Leistungsträger bringen sich im Höhentrainingslager in Spanien in Form, statt in der Schwimm- und Sprunghalle an der Landsberger Allee die Titel einzuheimsen.

Die schwierige Einbettung der Finals in die Olympia-Vorbereitung ist keine Problematik, die allein die Schwimmer betrifft. Abwerten mag Poul Zellmann die Meisterschaften aber auch ohne die großen Stars nicht. „An dem Zeitpunkt kann man nichts ändern, das geht auch anderen Sportarten so“, sagt der Freistilspezialist von der SG Essen, für den der Reiz eines Wettkampfes im Prinzip nie zum falschen Zeitpunkt kommen kann. Außerdem sei es auch so, dass es für „die, die hinter uns stehen, ja etwas Schönes ist, gegen uns zu schwimmen“, so Zellmann.

Am Freitag schwimmt Zellmann bei den Finals um den ersten Titel

Er gehört zu denjenigen, die sich Mitte April bei den verbandsinternen Ausscheidungen für Olympia qualifiziert haben. Seither legt er den Fokus darauf, den Körper mit Blick auf den Höhepunkt optimal zu trimmen. „Wir haben zuletzt viel trainiert und versucht, an Stellschrauben zu drehen, wo es noch nicht so geklappt hatte bis zur Olympiaqualifikation, um in Richtung Tokio noch mal einen draufsetzen zu können“, sagt der Essener Zellmann. Bei der EM war auch er nicht dabei, die Finals sollen ihm nun etwas Wettkampfpraxis geben.

Kraulspezialist Poul Zellmann startet in Berlin auf allen Distanzen von 100 bis 1500 Meter.
Kraulspezialist Poul Zellmann startet in Berlin auf allen Distanzen von 100 bis 1500 Meter. © Getty | Unbekannt

Dafür hat er sich ein ordentliches Pensum auferlegt. Über alle fünf Freistilstrecken von 100 bis 1500 Meter geht Zellmann an den Start, die erste Entscheidung steht am Freitag (ab 15.35 Uhr) in Berlin an. Damit kommt der 25-Jährige inklusive der Vorläufe auf 3700 Meter in Berlin – und will am liebsten immer gewinnen. Doch gerade auf den kürzeren Strecken dürfte das schwierig werden. Anders sieht dies bei Lucas Matzerath aus. Der Brustschwimmer trat neben Marco Koch als einziger der 27 für Olympia nominierten deutschen Beckenathleten bei der EM an, und er sorgte für die beste Einzelplatzierung des DSV in Ungarn mit Platz fünf über 50 Meter.

Die Finals in Berlin als Kostprobe für die Olympischen Spiele in Tokio

Ausgerechnet die sind zwar nicht olympisch, doch der Frankfurter nahm die Leistung trotzdem als positives Signal. „Ich gehöre jetzt zu den Großen dazu“, so der 21-Jährige: „Ich weiß jetzt, dass ich mir in Tokio nicht so sehr den Kopf zerbrechen muss, dass ich mich von der Atmosphäre oder dem Starterfeld nicht überwältigen lassen muss und dass ich mich nicht zu verstecken brauche.“ In Berlin wird nun allerdings das Rennen über die olympischen 100 Meter interessant. In dem tritt er gegen den deutschen Rekordhalter Fabian Schwingenschlögl (Erlangen) an.

Allerdings ohne die Zeit dabei zu sehr im Blick zu haben. „Die ist jetzt eher sekundär“, sagt Matzerath, der bei der EM persönliche Bestleistungen anbot: „In Berlin wird es für mich hauptsächlich um den Reiz gehen. Wir sind aktuell voll im Ausdauertrainingsblock.“ Also auch er nimmt die Finals eher mit, statt sie punktgenau anzusteuern. Sie gehören zum Aufbauprogramm für Tokio, wo der Frankfurter seine Topleistung steigern will und damit auf eine olympische Halbfinalteilnahme hofft.

Kathrin Demler aus Essen schwimmt nun um DM-Titel statt um Olympia-Medaillen

Die Absenz einiger Spitzenathleten macht es den anderen immerhin leichter, selbst zu Meisterehren zu kommen. Oder die verpasste Olympianorm zu verarbeiten. Kathrin Demler scheiterte über 200 Meter Lagen um 22 Hundertstel an der geforderten Zeit. „Ich brauchte danach ein, zwei Tage, um mich zu finden“, sagt die Athletin aus Essen, die nun in Berlin noch einmal zeigen will, „was ich kann“. In Ungarn gelang das der 24-Jährigen, bei ihrem EM-Debüt wurde sie Siebte. Es war einer von nur fünf Finalplätzen, den das DSV-Team dort erreichte.

Angesichts der Leistungen der internationalen Konkurrenz bei der EM musste Bundestrainer Hannes Vitense feststellen: „Wir haben gesehen, dass andere Nationen die schwierige Pandemie-Situation genutzt haben, um hart und viel zu trainieren und gute Ergebnisse zu erzielen.“ Doch das beunruhige ihn nicht. Mit der A-Mannschaft, so Vitense, wäre bei der EM mehr möglich gewesen. Die aber hatte überwiegend andere Pläne, sodass diese These erst bei Olympia überprüft werden kann.