Oberhausen. Ein Blick hinter die Kulissen der 2. Bundesliga. Ein Jahr lang begleitete das Magazin "11 Freunde" den Zweitligisten Rot-Weiß Oberhausen auf Schritt und Tritt. erlebten Krisensitzungen, Vertragspoker und Kneipentouren. Zweiter Teil des Tagebuchs: Der Liga-Fehlstart.

Sturmfrei bei Terranovas


Pokalniederlage gegen Leverkusen, Liga-Fehlstart: 0:3 in Koblenz, 1:4 auf St. Pauli

Der RWO-Torjäger hat sturmfreie Bude, seine Frau ist ausgeflogen – prompt gondelt die halbe Mannschaft abends nach Gelsenkirchen-Süd. Mike Terranova hatte sie wochenlang mit Handy-Fotos seines kürzlich erworbenen Einfamilienhauses genervt. "Wann lädst du uns endlich ein?", hieß es immer wieder in der Kabine. Jetzt ist es soweit: Einen Tag nach dem Heimsieg gegen Ingolstadt verabreden sich die Spieler zum geselligen Pokerabend bei ihm. Die Wegbeschreibung des stolzen Grundbesitzers ist schlicht: "Das schönste Haus in der Straße".

Mike Terranova. (Foto: Gerd Wallhorn)
Mike Terranova. (Foto: Gerd Wallhorn) © WAZ | WAZ





Es entpuppt sich als ein typischer Nachkriegsbau, solide renoviert. Die Inneneinrichtung hat der 31-Jährige neu angeschafft: die weiße Ledergarnitur, Glasvitrinen und den obligatorischen Flachbildfernseher. Geht ein Fußballprofi zu Ikea und sagt: "Einmal alles!" Zur Begrüßung wählen die Gäste ein leichtes Opfer für ihre notorischen Scherze: Terranovas Torjäger-Trophäe von der Wuppertaler Hallenmeisterschaft, die stolz sichtbar im Wohnzimmer steht. Der Stürmer ist ein vorbildlicher Gastgeber, wenn auch kein erfahrener: Er hat so viel Salzgebäck eingekauft, dass er die ganze Straße versorgen könnte – eine Woche lang. Bevor die Jetons – in einem Metallköfferchen mitgebracht – ausgeteilt werden, läuft die "Premiere"-Zusammenfassung vom Wochenende im Heimkino. Plötzlich sitzen da sieben RWO-Profis, die zweite Liga schauen, als wäre es nicht ihre eigene. Es ist ein bisschen wie: Wir gucken uns mal die Großen an. Die Spieler müssen sich noch an die neue Welt gewöhnen, noch sind sie nicht angekommen.

Gardinenpredigt nach AC/DC

Das Millerntor auf St. Pauli ist ausverkauft, die Gegengerade bebt schon vor dem Spiel. Ein ohrenbetäubender Lärm! Keeper Semmler will seinen Mitspielern etwas zurufen, doch sie verstehen ihn einfach nicht. Vor zwei Jahren spielten sie zusammen in Speldorf und Straelen: vor ein paar hundert Zuschauern. Kein Wunder, dass die Blicke einiger angsterfüllt sind. Dazu dröhnt AC/DC aus den Boxen. Die Entscheidungsträger realisieren den Klassenunterschied auf der Tribüne. Manager Bruns sagt nach zehn Minuten zum Präsidenten: »Wir müssen aufpassen, dass wir heute nicht sechs, sieben Stück kriegen.« Nach dem Schlusspfiff sieht Vorstand Thomas Dietz acht Profis, die ihr Trikot ehrfurchtsvoll mit dem Gegner tauschen. Er bestellt den Mannschaftsrat ein. Ein paar Tage später sitzen fünf Spieler im Konferenzraum der Immobilienfirma Dietz. Auf dem Tisch steht ein Wimpel mit dem Wappen des "Ring Deutscher Makler". Die Zusammenkunft gerät zu einer Mischung aus Gardinenpredigt und Motivationsseminar. Der Hausherr, eine Mischung aus Frank-Walter Steinmeier (optisch) und Werner Hansch (verbal), gibt den bad cop und good cop in Personalunion. Zwei Stunden lang beschwört er die Tugenden der letzten beiden Jahre, die Kampfstärke. Zu verlieren habe man in der zweiten Liga nichts, aber auch nichts zu verschenken. Und es sollten doch bitteschön alle Spieler – wie vertraglich vereinbart – ab sofort Uhlsport-Schuhe anziehen oder wenigstens andere Logos abkleben. Die Botschaft seines Monologs: Wer Zweitligaprofi sein will, muss sich auch so verhalten.

Fluppen in der Meckerecke

Das aktuelle Titelblatt der Zeitschrift
Das aktuelle Titelblatt der Zeitschrift "11 Freunde". © privat | privat





Hajo Sommers steht auf dem Stadionvorplatz, trägt Jeans und Turnschuhe, wie immer. Bevor sich der RWO-Präsident in einen Anzug zwängen würde, müsste ihm schon der Himmel auf den Kopf fallen. Seit er aus dem Oberhausener Untergrund aufgetaucht ist, wird der ehemals konturlose Klub von den Medien zum "St. Pauli des Ruhrgebiets" verklärt. "Ich hasse den Vergleich", sagt Sommers, der in der Anti-AKW-Bewegung aktiv war und das linke Jugendzentrum "Druckluft" mitgegründet hat. Er setzt sich bis heute während des Spiels nicht auf die VIP-Tribüne, sondern hockt weiter auf seinem alten Platz, mit Kappe und Schal. Der Präsident geht dahin, wo es weh tut. In der Halbzeit steht er auf der "Konvent"-Tribüne mitten in der Meckerecke. Im Pott werden solche Diskussionen zwischen Präsident und Publikum unprätentiös mit einem "Hömma" eingeleitet. Während der 90 Minuten hat Sommers immer die Hand am Tabak, raucht gerne mal 20 Selbstgedrehte. Wenn die Gästefans ein Feuerwerk abfackeln, denkt er an die klamme Klubkasse und mögliche Sanktionen. Der Schauspieler auf dem zweiten Bildungsweg gefällt sich aber durchaus in der Rolle des Schmuddelkindes.

Genau zwei Tage nach der Einreichung der Lizenzunterlagen, so erzählt er, habe sich ein Mitarbeiter aus der zuständigen Abteilung bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) bei ihm gemeldet und gefragt, ob man die Zahlen wirklich ernst meine. Den offiziellen Treffen der DFL bleibt Sommers grundsätzlich fern. Wann sollte er die Fahrt nach Frankfurt auch einschieben bei seinem doppelten Spielplan? Die Tätigkeit bei RWO erledigt der Theatermann als Nebenjob, unbezahlt, wie die anderen Kollegen im Vorstand. Die Konstellation beugt gewissen Überreaktionen vor und verhindert übertriebenen Transfereifer. Die Kollegen akzeptieren auch, dass Sommers im Herbst nur von acht bis zehn Uhr zu erreichen ist, vor der Theaterprobe.


Im nächsten Teil: Die neue Alte Taktik, Zwischenbilanz: 6 Spiele, 5 Niederlagen, Brandrede und Spielersitzung