Sotschi. Der Norweger Magnus Carlsen kämpft im russischen Sotschi um die Verteidigung seines Weltmeistertitels. „Er will immer gewinnen, auch wenn er sieben Stunden am Brett sitzen muss“, sagt der Essener Großmeister Sebastian Siebrecht. Doch unter dem psychischen Druck unterlaufen auch Carlsen manchmal Fehler.
Die Schach-Welt inklusive ganz Norwegen blickt derzeit nach Sotschi. Während auf der Tribüne in Russland trotz freien Eintritts für einheimische Zuschauer nur eine Hand voll Kiebitze sitzen, schauen Millionen Fans des königlichen Spiels im weltweiten Netz, wie sich der norwegische Weltmeister Magnus Carlsen und sein Herausforderer Viswanathan Anand aus Indien im Krieg der Köpfe duellieren. Nach sieben von zwölf Partien führt der 23-jährige Carlsen 4:3.
Carlsenmania in Norwegen
In Norwegen ist die Carlsenmania ausgebrochen. Seitdem Carlsen vor einem Jahr auf den Schach-Thron stieg, huldigt das Land der Skilangläufer einem jungen Mann, der nicht etwa elegant durch die Loipe skatet, sondern sich stundenlang vor einem Brett mit 64 Feldern lümmelt. Das norwegische Fernsehen überträgt alle Partien aus Sotschi live.
„Carlsen ist ein Glücksfall für das Schach in der ganzen Welt“, sagt Sebastian Siebrecht. Der 41-Jährige spielt für SF Katernberg in der Bundesliga und ist unter den Großmeistern der Allergrößte – er misst 2,02 Meter. „Magnus hat das Schach vor der Langeweile gerettet. Vor einigen Jahren ging die Angst um, unser Sport könne den Remis-Tod sterben. Magnus will immer gewinnen, auch wenn er dafür sieben Stunden am Brett sitzen muss. Sein Stil hat Spuren hinterlassen. Mittlerweile wird auf höchster Ebene wieder richtiges Kampfschach gespielt.“
Psychische Stabilität im Schach
Die sechste Partie der laufenden Weltmeisterschaft geriet jedoch aus ganz anderen Gründen in die Schlagzeilen. Der Weltmeister und sein 44-jähriger Vorgänger spielten plötzlich wie Du und Ich. Erst unterlief Carlsen im 26. Zug ein grober Schnitzer, dann verpasste Anand die einmalige Gelegenheit und nutzte den Patzer nicht zum sicheren Sieg aus. „Jedem halbwegs versierten Schachspieler wären diese Fehler nicht unterlaufen“, sagt Siebrecht. „Ein seltener Fall von doppelter Schach-Blindheit.“
Carlsen erklärte später, er habe direkt bemerkt, was für einen Bock er sich geleistet habe. „Wenn es so war, dann musste er seine Gefühle unter Kontrolle halten, damit Anand nichts bemerkt. Ein Pokerface nach einem solchen schlechten Zug aufzusetzen, das ist sehr schwer“, sagt Siebrecht.
Auch interessant
Wie sehr es im Schach nicht nur um die bestmöglichen Züge auf dem Brett, sondern auch um die psychische Stabilität geht, zeigte sich nach dem doppelten Blackout. Als Anand erkannte, dass er mit einem einfachen Zug seines Springers die Partie hätte gewinnen können, ließ er nach und gab nach 38 Zügen auf. „Wenn du ein Geschenk nicht erwartest, siehst du es manchmal auch nicht“, sagte Anand niedergeschlagen. Aber der Inder fing sich in der siebten Partie am Montag. Obwohl Carlsen unbedingt den Sieg wollte und versuchte, ein Endspiel mit Turm und Springer gegen Turm zu gewinnen, wie er es schon einmal vor drei Jahren gegen Erwin L’Ami schaffte, hielt Anand dagegen und erzwang nach 122 Zügen das Remis.
Schach-Projekt in der Grundschule
„Deutschland könnte auch einen Carlsen gebrauchen. Leider wird unser Sport hier zu wenig gefördert“, sagt Siebrecht. Der Essener hat einige Projekte auf den Weg gebracht, um das Schachspielen schon in der Grundschule zu fördern. „Schach schult problemlösendes und vorausschauendes Denken“, sagt Siebrecht. „Das kannst du in allen Berufen brauchen. Schach ist eine Sprache und hilft bei der Integration.“ Mittlerweile hat er 4400 Grundschüler in die Grundlagen des königlichen Spiels eingeführt.
Manchmal kommt der Großmeister ins Staunen: „Ich habe neulich bei einem Schüler gedacht, wenn der richtig gefördert wird, könnte er was werden. Vielleicht finde ich den deutschen Carlsen.“