Essen/Tokio. Schon nach dem ersten Satz stand der Sieg des Weitspringers Markus Rehm bei den Paralympics fest. Doch ein Ziel erreichte er nicht.

Es war ein einsamer Kampf, den Markus Rehm da im Tokioter Olympiastadion kämpfte, allein gegen sich selbst. Paralympisches Gold hatte der Prothesen-Weitspringer vom TSV Bayer 04 Leverkusen am Dienstag nach seinem ersten Satz in den Sand sicher. Da landete er bereits knapp jenseits der acht Meter. „Mir war klar, dass es jetzt nur noch um die eigene Weite geht“, sagt der 33-Jährige später. Das geht es für ihn seit Jahren. Innerhalb des Parasports ist der nun dreimaligen Paralympicssiegers ein absoluter Ausnahmekönner.

Am Ende siegte Rehm mit 8,18 Metern. Der Franzose Dimitri Pavade und der Amerikaner Trenten Merrill lagen mit 7,39 und 7,08 Metern mehr als deutlich hinter ihm. Sein zweites Ziel neben Gold, nämlich weiter zu springen als der Olympiasieger wenige Wochen zuvor an gleicher Stelle, erreichte Rehm allerdings nicht. Der Grieche Miltiadis Tentoglou hatte mit 8,41 Metern gewonnen. Eigentlich eine machbare Weite für Rehm, hatte er doch erst in diesem Jahr bei der EM in Polen seinen eigenen Weltrekord auf 8,62 Meter geschraubt.

Markus Rehm: "Die Bahn ist schnell, die ist bouncy"

„Die Bahn ist schnell, die ist bouncy, es lag in der Luft, aber ich habe es nicht geschafft“, sagt Rehm nach dem Wettbewerb. Schon während des Springens wirkte er ein wenig ratlos. Er klatschte, er brüllte, es half alles nichts: „Vielleicht war es zu schnell für mich heute.“ Der Belag, auf dem während der Olympischen Spiele Rekorde in Serie gepurzelt waren, könnte auch ihm zu einer ungekannten Anlaufgeschwindigkeit verholfen haben: „Mit Muskulatur hätte ich mich anpassen können, aber mit der Prothese halt nicht, die ist wie sie ist.“

Es ist das Dilemma des Markus Rehm. Springt er nur knapp über acht Meter, muss er erklären, warum er nicht weiter geflogen ist. Springt er deutlich über acht Meter, muss er erklären, dass das nicht allein an der Karbonschiene liegt, die beim Sporttreiben seinen rechten Unterschenkel ersetzt, den er mit 14 Jahren nach einem Wakeboardunfall verlor. Nein, er verfüge nicht über das Können eines Raketenwissenschaftlers, betont er dann. Es sei ja schön, dass viele ihn, den Orthopädietechnik-Meister, für derart befähigt hielten. Doch seine Unterschenkelprothese sei kein Wunderwerk der Technik, mit dem er auch gleich bis zum Mond hüpfen könnte, wenn er nur wollte.

Es wäre eine kleine Genugtuung für ihn gewesen, als Paralympicssieger weiter gesprungen zu sein als der Olympiasieger. Denn Rehm kämpft seit Jahren um die Anerkennungen seiner Leistungen auch jenseits des Behindertensports. Er sehnt sich nach dem direkten Duell auf der olympischen Bühne. Doch das wurde ihm bisher verwehrt. Zuletzt im Vorfeld der Tokio-Spiele bestätigte der Internationalen Sportgerichtshof Cas die Ablehnung von World Athletics und dem Internationalen Olympischen Komitee IOC.

Bringt die Prothese Markus Rehm einen Vorteil oder nicht?

Seit Markus Rehm 2014 bei den deutschen Leichtathletik-Meisterschaften den Titel im Weitsprung gewann, wird darüber diskutiert, ob ihm seine Prothese einen Vorteil bringt. Na klar, sagen Kritiker, die Prothese wirke wie eine Feder. Hier ja, dort nein, insgesamt also vielleicht, lautet das enttäuschende Resultat einer internationalen Studie. Die Wissenschaftler fanden grob gesagt heraus, dass die Prothese beim Anlauf stört und beim Absprung hilft. Rehm selbst verweist auf die Weltrangliste: „Wenn es so einfach wäre, würde es ja ein paar Athleten mehr geben, die zumindest mal locker 7,50 Meter springen könnten.“

Warum der Cas gegen ihn urteilte, darüber zerbricht sich Rehm noch immer den Kopf. Die Begründung würde bis zum 5. August folgen, habe es geheißen: „Aber bis jetzt liegen die Gründe nicht auf dem Tisch, es findet keinerlei Kommunikation statt, das ist einfach frustrierend.“ Rehm ist kein lauter Charakter. Aber ein hartnäckiger. Und so gießt er auch nach seinem dritten Paralympicssieg Wasser auf die Mühlen. Er warte gespannt auf die Begründung, denn: „Ich hoffe, dass das eine Grundlage ist, auf der wir weiterarbeiten können. Für mich ist das noch nicht zu Ende. Das IOC und ich sollten eigentlich auf einer Seite stehen, ich hoffe, dass das irgendwann erkannt wird.“