München. Hansi Flick will nur noch weg aus München - und wohl Bundestrainer Joachim Löw beerben. Wie konnte es so weit kommen? Eine Einordnung.

Nicht einmal einen Monat lang trainierte Hansi Flick die Mannschaft des FC Bayern, als sich Jupp Heynckes mit einer eindringlichen Empfehlung zu Wort meldete. Der Verein besitze nun „die große Chance, über einen längeren Zeitraum einen Trainer zu haben, der eine Epoche prägen kann“, schrieb der erste Triple-Gewinner der Klubgeschichte im Herbst 2019 in einer Kicker-Kolumne.

Jupp Heynckes traute Hansi Flick zu, den Verein zu einen

Flick, damals gerade als Nachfolger des beurlaubten Niko Kovac interimsmäßig ins Amt gerutscht, sei „prädestiniert für die Aufgabe als Cheftrainer des FC Bayern und der ideale Mann für diese Position“ sowie „ein Juwel“, das gefördert werden müsse, befand Heynckes.

Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass man sich in der Branche gegenseitig über den grünen Klee lobt. Doch die Worte von Heynckes waren schon deshalb bemerkenswert, weil er den FC Bayern insgesamt vier Mal trainiert hatte und das Innenleben des Vereins seines Freundes Uli Hoeneß wie kein Zweiter kennt. Heynckes weiß um die Strukturen und Hierarchien, auch um das Lagerdenken beim FC Bayern mit Hoeneß auf der einen und Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge auf der anderen Seite. Flick traute er mit seinen fachlichen Qualitäten sowie mit seiner freundlichen Art offenbar zu, den Verein seiner Wortbedeutung zuzuführen, also zu vereinen.

Spätestens seit Samstag weiß man: Das ist nicht gelungen, ganz im Gegenteil. Einen solch eskalierten Hauskrach wie den mit Sportvorstand Hasan Salihamidzic, 44, hat der auch an Disputen reiche FC Bayern alias FC Hollywood selten erlebt. Flick, 56, will nur noch weg, schon in diesem Sommer, trotz seines Vertrages bis 2023, wie er nach dem 3:2-Sieg in Wolfsburg verkündete.

Informiert hatte er die Vereinsführung darüber nach eigenen Angaben bereits in den Tagen zuvor. Der Mannschaft teilte er seinen Wunsch direkt nach dem Schlusspfiff in der Kabine mit, ehe er ihn öffentlich machte. Doch abgestimmt mit dem Klub war sein mediales Vorgehen nicht. „Der FC Bayern missbilligt die nun erfolgte einseitige Kommunikation durch Hansi Flick und wird die Gespräche wie vereinbart nach dem Spiel in Mainz fortsetzen“, teilte der Verein am Sonntagnachmittag mit.

Bayern könnten auch Miroslav Klose verlieren

Dass Flick die Chefetage auf eigene Faust überrumpelte, wirft weitere Fragen auf. In jedem Fall heißt es nun bald Ende statt Ära beim FC Bayern, denn zwingen können die Münchner den Trainer kaum, seinen Vertrag zu erfüllen. Verlieren könnten sie zudem noch Flicks Assistenten Miroslav Klose, 42.

Miroslav Klose (r.), Assistent von Bayern-Coach Hansi Flick, kritisiert die Kommunikation im Klub.
Miroslav Klose (r.), Assistent von Bayern-Coach Hansi Flick, kritisiert die Kommunikation im Klub. © Unbekannt | Unbekannt

Dessen Vertrag läuft im Sommer ohnehin aus, und schon länger gibt es zwischen dem Weltmeister von 2014 und Salihamidzic Reibereien. „Für mich persönlich ist das überhaupt kein Problem, dass der Verein noch nicht mit mir gesprochen hat. Was mich wirklich nachdenklich macht, ist aber wie hier gerade miteinander kommuniziert wird“, sagte Klose der Bild.

Das Publikum fragt sich derweil, wie es überhaupt zu dem dem völlig aus dem Ruder laufenden Hauskrach kommen konnte beim deutschen Branchenführer. Zumal nach dem erfolgreichsten Jahr der Vereinsgeschichte mit dem zweiten Triple nach 2013 und insgesamt sogar sechs Titeln.

Flick erwähnte erstmals die mögliche Löw-Nachfolge

Flicks Vorstoß in Wolfsburg kam inhaltlich nicht mehr überraschend, nur zeitlich. Seinen Wunsch, auszusteigen, legte spätestens sein mehr als vierminütiger Monolog am vergangenen Dienstag nahe, als er nach dem Viertelfinal-Aus in der Champions League bei Paris Saint-Germain über die Unterstützung seiner Familie bei jedweder Entscheidung gesprochen hatte. Erwähnt hatte er dabei auch erstmals seine mögliche Nachfolge von Bundestrainer Joachim Löw nach der EM im Sommer.

 Dass er seine Entscheidung nun der Mannschaft und dann der Öffentlichkeit mitteilte, begründete er vielsagend mit dem „Flurfunk“ beim FC Bayern.

Es ist ein Schnitt, der vielerorts Wunden hinterlässt. Öffentlich als besonders beschädigt gilt Salihamidzic, mit dem Flick fast während seiner gesamten Amtszeit seit November 2019 um Kompetenzen und Kaderfragen gerungen hat. Zuletzt war der Disput immer mehr eskaliert.

 Beigetragen hatte dazu der Umgang mit Innenverteidiger Jérôme Boateng, bei Flick ein unangefochtener Stammspieler. Gegen dessen Rückkehr in die Nationalmannschaft sprach sich zunächst Ehrenpräsident Hoeneß, zugleich Mentor von Salihamidzic, öffentlich aus. Der Sportvorstand soll Boateng zudem nur wenige Stunden vor dem Hinspiel gegen Paris mitgeteilt haben, dass man sich von ihm im Sommer trennen werde. Direkt vor dem Anpfiff machte Salihamidzic die Entscheidung öffentlich, was ihm auch intern Kritik eingebracht haben soll.

Konflikt zwischen Flick und Salihamidzic nicht eingedämmt

Beschädigt ist zudem der Verein, weil dieser den Konflikt von Flick und Salihamidzic nicht eindämmen konnte. Allerdings hat auch Flicks Ruf in den ganzen Turbulenzen durchaus gelitten. Der freiwerdende Job als Bundestrainer reizt ihn so sehr, dass ihm der Disput als vermeintlicher Hauptgrund für seinen Trennungswunsch womöglich ganz recht kommt.

„Ich lass mir im Moment erstmal alles offen, weil es da auch noch keine Gespräche gab“, sagte Flick über eine Rückkehr zum DFB. Spekuliert wird bereits, dass Klose dort als sein Assistent fungieren könne. Flick, Löws Co zwischen 2006 und 2014, gilt als Wunschkandidat des DFB. Mit dessen Direktor Oliver Bierhoff ist Flick freundschaftlich verbunden.

Erster Nachfolgekandidat: Julian Nagelsmann

Spannend wird nun zu beobachten sein, wie sie beim FC Bayern auf Flicks Wunsch reagieren. Der Trainer ahnt, dass ein harter Poker bevorstehen könnte. „Der Verein muss entscheiden: Was macht er jetzt weiter, wie geht er damit um, weil ich natürlich auch Vertrag habe, das weiß ich“, sagte Flick. Doch das hinderte ihn auch schon als DFB-Sportdirektor (2014 bis 2017) nicht, vorzeitig hinzuschmeißen. Als er danach Geschäftsführer Sport bei der TSG Hoffenheim war, trennte man sich ebenfalls wegen Kompetenzfragen vorzeitig, sogar nach nur acht Monaten.

In München gilt derweil als fraglich, ob Flicks erster Nachfolgekandidat Julian Nagelsmann, 33, überhaupt mit einer hohen Ablösesumme von RB Leipzig loszueisen wäre. Es könnte ein sehr spannender Sommer werden. Kapitän Manuel Neuer versuchte schon einmal zu beruhigen. Er sagte: „Es wird weitergehen für den FC Bayern.“ Was Heynckes über die jüngsten Vorgänge im Verein seines immer noch einflussreichen Freundes Hoeneß denkt, ist übrigens noch nicht überliefert.