New Capital. Deutschland scheidet bei der Handball-WM frühzeitig aus. Ein Spieler aber geht als Gewinner hervor: Johannes Golla nutzt seine Chance.
Bei der SG Flensburg-Handewitt gibt es dieses Ritual. Die besten Spieler dürfen nach einem Sieg einen Aufkleber auf die Tafel mit den Saisonzielen kleben. Im Sommer 2019 hatte der Titelverteidiger gerade den Ligaauftakt bei der MT Melsungen gewonnen, in der Kabine schaute Trainer Maik Machulla sich um, er blickte auf seinen jungen Kreisläufer und sagte: „Golli, komm!“
Die Szene aus der Amazon-Dokumentation „Inside Flensburg-Handewitt“ veranschaulicht beispielhaft, welche Rolle Johannes Golla im deutschen Handball spielt. Er ist 23 Jahre alt, Stammspieler in einem der besten Teams des Landes, er ist eines der größten Talente der Nationalmannschaft.
Ungarn und Spanien buchten die Viertelfinal-Tickets
Über Johannes Golla wird häufig gesprochen. In New Capital, der noch im Bau befindlichen neuen Hauptstadt Ägyptens, fiel der Name Johannes Goll auch mehrfach am Samstagabend. Der Hallensprecher rief ihn laut, als Golla zum besten Spieler beim 31:24-Sieg der Deutschen über Brasilien erkoren wurde. Bundestrainer Alfred Gislason nannte ihn, als er die positiven Aspekte der Partie herausarbeitete und resümierte: „Johannes hat ein starkes Spiel gemacht!“
Doch all das Lob hat sportlich derzeit nur geringen Wert. Vor dem eigenen Anwurf im zweiten Hauptrundenspiel gegen Brasilien wussten die deutschen Handballer bereits, dass die WM für sie nach dem Spiel gegen Polen an diesem Montag (20.30/ARD) vorbei sein wird. Ungarn und Spanien hatten schon vor dem Anwurf der Deutschen die beiden Tickets für das Viertelfinale gebucht, alle Rechenspielchen und das Beschwören eines sportlichen Wunders waren für die Katz.
Nach einem Mittelfußbruch monatelange Pause
Das Spiel gegen Brasilien war fast schon bedeutungslos, bevor es überhaupt begonnen hatte. Nun ging es nur noch darum, sich anständig von der WM-Bühne zu verabschieden, bei der am Ende die schlechteste Platzierung der letzten Jahre stehen könnte. Trotz Golla. Auch wegen Golla.
Aber nein, es wäre unfair, Johannes Golla die Schuld am WM-Hauptrundenaus der Deutschen zu geben. Der gebürtige Hesse hatte in den zurückliegenden zwei Wochen starke Auftritte hingelegt. Gegen Brasilien wurde er mit sieben Treffern bester deutscher Torschütze, er erzwang Zeitstrafen beim Gegner und Siebenmeter fürs eigene Team. Golla hatte seine Rolle mehr als erfüllt.
Im vergangenen Jahr bei der EM noch der Neuling und als Kreisläufer nur die Nummer vier, musste er in diesem Jahr Dauer-Arbeit inmitten der gegnerischen Defensive leisten und als plötzlicher Abwehrchef auch auf der anderen Seite des Feldes Schwerstarbeit verrichten. Er steckte ein, teilte aus, mal grob, mal mit kleinen, versteckten Fouls. Nach überstandenem Mittelfußbruch und monatelanger Pause war er mit wenig Spielpraxis zum Nationalteam gekommen. „Er hat viel spielen müssen“, sagte Gislason und fürchtet nun den Zorn aus Flensburg. „Trainer Maik Machulla ist bestimmt sauer auf mich. Johannes hat mehr gespielt, als abgesprochen war.“
Das war nötig, weil diese Nationalmannschaft nicht die stärkste war, die der Deutsche Handballbund (DHB) hätte aufbieten können. Golla wäre weit weniger beansprucht worden, hätten nicht die etatmäßigen Abwehrchefs Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek und weitere Leistungsträger in Lockdown-Zeiten auf die WM-Teilnahme verzichtet. Golla war Teil eines neu zusammengestellten Teams, dem in entscheidenden Situationen Erfahrenheit und Cleverness fehlten.
Gislason zur Abwehr: "Da fehlt noch viel"
Gemeinsam mit Sebastian Firnhaber bildete Golla den Abwehr-Mittleblock. Firnhaber war gegen Ungarn und gegen Spanien schon früh mit Zeitstrafen belastet, Golla kämpfte weiter mit seinen 112 Kilogramm Kampfmasse und 1,95 Meter Körperlänge gegen international erfahrene Schwergewichte an. Eine Verantwortung, die selbst auf den breiten Schultern des Flensburg-Profis schwer lastete. „Da fehlt noch viel gegen Weltklasseteams“, sagte Gislason über die Abwehr und machte keinen Hehl aus seiner Enttäuschung über die derzeitige Personalsituation. „Ich hoffe, dass die, die abgesagt haben, bald zurückkommen.“
Die aktuell laufende WM mag mit dem Spiel gegen Polen für das deutsche Team vorbei sein, doch die Ambitionen der DHB-Auswahl schmälert das nicht. Mitte März geht es in Berlin gegen Schweden, Slowenien und Algerien um die Qualifikation für die Sommerspiele in Tokio. „Das Qualifikationsturnier wird nicht einfach. Aber ich bin optimistisch, dass uns das, was wir hier gemacht haben, dann helfen kann“, sagte der Bundestrainer. Er meint damit die viele Spielzeit für eine neue Generation, auf die er künftig vermehrt bauen will, auch wenn die Etablierten zurückkommen. Darunter Johannes Golla.