Frankfurt/Main. Alon Meyer, Präsident von Makkabi Deutschland, beklagt zunehmenden Antisemitismus gegenüber den jüdischen Sportlern im Land.
Alon Meyer meldet sich per Video aus seinem Büro, der 47-Jährige ist Präsident von Makkabi Deutschland. Der jüdische Turn- und Sportverband hat mehr als 5000 Mitglieder, verteilt sich im gesamten Land. Am Samstag spielt nun Deutschland in Sinsheim gegen Israel (20.45 Uhr/ZDF). Ein Anlass, um mit Meyer über die Situation von jüdischen Fußballerinnen und Fußballern zu sprechen.
Herr Meyer, welche Bedeutung geht von dem Freundschaftsspiel zwischen Deutschland und Israel aus?
Alon Meyer: In erster Linie etwas Positives. Wir freuen uns, dass es immer wieder diese Spiele gibt, dieser Austausch ist wichtig. Der Fußball hat eine gewisse Magnetwirkung. Wie bei allen Spielen soll sich auch bei dieser Begegnung Fair Play zeigen: Rivalen auf dem Platz – vereint durch den Sport. Doch natürlich haben wir eine besondere Beziehung zu Israel, das gehört zur deutschen Staatsräson.
Was erwarten Sie von den deutschen Spielern?
Meyer: Es ist ein Freundschaftsspiel – und dabei sollte man merken, dass uns tatsächlich eine besondere Freundschaft verbindet. Nicht nur aufgrund der Vergangenheit, sondern vor allem aufgrund der Gegenwart. Gerade in diesen Zeiten ist eine gemeinsame Botschaft ein wichtiges und besonderes Signal.
Welche Rolle kann der Fußball überhaupt einnehmen?
Meyer: Die ersten Kontakte im Fußball zwischen Deutschland und Israel wurden schon aufgebaut, als Deutschland und Israel noch keine diplomatischen Beziehungen hatten. Der Fußball war Vorreiter, das ist die Stärke des Sportes. Er ist schon immer ein Schlüssel für Wandel. Wir müssen diesen Schlüssel nur einsetzen. Sie können viel über Deutschland und über Israel reden, aber wenn ein Fußballspiel stattfindet und sich anschließend alle die Hand geben, gemeinsam feiern, diese Emotionen können Politiker gar nicht transportieren.
Die Makkabi-Bewegung hat eine lange Tradition - auch in Deutschland. Was macht Ihr Verein?
Meyer: Die Makkabi-Bewegung wurde gegründet mit Blick auf die Idee eines jüdischen Staates, den es irgendwann geben könnte. Jüdinnen und Juden sollten Sport treiben, um die sportliche Fitness für einen Aufbau dieses jüdischen Staates zu erlangen. Die jüdischen Sportvereine hatten bereits vor dem Nationalsozialismus einen riesigen Zuwachs, da immer mehr jüdische Sportlerinnen und Sportler von nichtjüdischen Vereinen ausgeschlossen wurden.
Dann kamen die Schrecken des Zweiten Weltkrieges und des Holocausts.
Meyer: 1938 hat es ein abruptes Ende genommen. 1963 wurde die deutsche Makkabi-Bewegung wieder gegründet. Diesmal, um Sport in einer sicheren Umgebung zu treiben. Heute versuchen wir, Botschafter des Guten zu sein. Wir wollen Vorurteile abbauen, die anständige Mitte lauter werden lassen. Sie muss lauter werden. Denn die Minderheit, die unsere demokratische Werteordnung ablehnt, ist der Ansicht im Recht zu sein, eben nur, weil sie laut ist.
Wie hilft der Deutsche Fußball-Bund?
Meyer: Ich mag es nicht, Forderungen zu stellen, bevor man nicht selbst anfängt. Wir haben gezeigt, was wir können. Wir wollen durch unser Projekt „Zusammen1 – Für das, was uns verbindet “ unser Demokratieverständnis noch weiter professionalisieren. Wir haben 40 Ortsvereine in ganz Deutschland, aber um das Projekt schnell größer werden zu lassen, muss man Kapital investieren. Momentan gibt es seitens des Deutschen Olympischen Sportbundes und des DFB keinerlei finanzielle Unterstützung. Wichtig wäre jetzt der nächste Schritt und damit ein deutliches Zeichen.
Sie wünschen sich finanzielle Unterstützung?
37 lokale Makkabi-Vereine
Makkabi Deutschland wurde 1903 von deutsch-jüdischen Sportvereinen als Dachverband gegründet. Bundesweit gibt es 37 lokale Makkabi-Vereine.Größter Ortsverein ist der TuS Makkabi Frankfurt mit 27 verschiedenen Abteilungen und mehr als 2000 Mitgliedern. Das sind gut ein Drittel der Gesamtmitglieder von Makkabi Deutschland.
Meyer: Kooperationsideen gibt es bereits sowohl mit dem DFB, als auch der DFL. Auch anderweitige Unterstützung ist willkommen, beispielsweise personell oder durch zur Verfügung Stellung von Computerprogrammen. Wir arbeiten gerade beispielsweise an einem Meldesystem für antisemitische Vorfälle in Form einer Pfeife, die möglichst bei jedem Klub auf der Internetseite installiert wird. Jede Fußballerin und jeder Fußballer soll so Diskriminierung mit nur einem Klick melden können, total anonym – und wir können sofort reagieren.
Dafür bräuchte man viele Menschen?
Meyer: Stimmt, aber wir wollen ja auch die anständige Mehrheit fördern, wir wollen Freiwillige finden. Derzeit werden kaum Vorfälle gemeldet. Viele sagen, es bringe eh nichts. Viele wissen gar nicht, an wen sie sich wenden könnten.
Wie ist die Situation für Jüdinnen und Juden auf den deutschen Fußballplätzen?
Meyer: Es ist inakzeptabel, was teilweise hier los ist. Vor allem, wenn es im Nahen Osten eskaliert, dann ist es hier besonders schrecklich. Spielen wir dann am Wochenende in der Kreisliga gegen einen Gegner mit überwiegend muslimischen Spielern, dann ist das Stress, Hektik, Aggression.
Sprechen Sie bewusst von muslimischen Spielern?
Meyer: Ich weigere mich, dies nicht sagen zu dürfen, weil man irgendwas beschönigt. Ich nenne es beim Namen, so ist es. Natürlich gibt es auch Rechtsradikalismus, das möchte ich nicht relativieren. Ich muss trotzdem sagen, Übergriffe und Angriffe gehen fast ausschließlich von Gegnern mit muslimischem und arabischem Hintergrund aus.
Was passiert auf dem Platz?
Meyer: Das beginnt mit Beleidigungen wie „Ihr Scheiß-Juden“. Oder: „Schiedsrichter zieh Dein Juden-Trikot aus.“ Teilweise spielen bei uns Mannschaften komplett ohne jüdischen Hintergrund. Das ist ihnen aber egal. Vor allem, wenn es in Israel eskaliert, werden wir in die Gesamthaftung des jüdischen Staates genommen. Es gibt schlimmere Aussagen wie „Euch hat man vergessen zu vergasen.“ Oder: „Wenn es Hitler noch gäbe, würde es Euch nicht mehr geben.“ Die nächste Eskalationsstufe sind Handgreiflichkeiten, man wird geschlagen, manchmal werden Baseballschläger und Messer hervorgeholt.
Was kann man dagegen tun?
Meyer: Man muss vor allen Dingen agieren, nicht reagieren, teilweise auf die Vereine schon im Vorfeld zugehen. Wir versuchen, vor einem Spiel Vorurteile auszuräumen. Zweitens ist es wichtig, in dem Moment, wenn es zu einem Vorfall gekommen ist, richtig zu reagieren, nicht zurückzuschlagen, nicht zurück zu argumentieren. Und die Frage ist, wie man im Nachhinein vorgeht.
Strafen sind eine Möglichkeit.
Meyer: Doch durch Strafen wird der Hass noch größer. Mir ist es viel lieber, wenn wir zum Beispiel zusammen in die Anne-Frank-Bildungsstätte gehen. Dort werden die Täter aufgeklärt, warum es Israel gibt, warum Deutschland und das Judentum in einer besonderen Beziehung stehen. Ich habe die Hoffnung, dass dies hilft. Sollte danach jemand erneut auffallen, muss er suspendiert werden, dann hat er nichts mehr auf dem Fußballplatz zu suchen.
Hat der Antisemitismus zugenommen?
Meyer: Seit der Flüchtlingswelle 2015 ist es nach unserem Empfinden wieder schlimmer geworden. Aber auch die veränderte politische Landschaft in Deutschland leistet ihren negativen Beitrag.
Liegt in einem Freundschaftsspiel gegen Israel nicht auch die Gefahr, dass das Judentum mit Israel gleichgesetzt wird?
Meyer: Nein, das müssen wir den Leuten auch erklären. Israel ist das eine. Juden in Deutschland etwas anderes. Natürlich haben wir eine besondere Beziehung zu Israel. Aber zum Beispiel darf ich in Israel gar nicht wählen, habe dort also keinerlei Einfluss. Man darf nicht davon ausgehen, dass die Politik von jeder Jüdin und jedem Juden unterstützt wird. Wir dürfen den Krieg nicht importieren.
Was erhoffen Sie sich für die Zukunft?
Meyer: Wir müssen aufstehen. Die anständige Mehrheit muss aus der Komfortzone heraus. Jeder in Deutschland müsste lauter werden, sich für das, was uns stark macht, einsetzen. Und die großen Verbände sollten mit den finanziellen Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung stehen, die guten Bewegungen wirklich unterstützen. Sie müssen das Potenzial von Initiativen wie „Zusammen1“ erkennen und diese nicht nur mit Worten, sondern mit Taten aktiv unterstützen.