Essen. Gegner sollen im Sport respektvoll und menschlich behandelt werden. Manchmal kann es wehtun, fair zu sein. Eine Kolumne.

Fair zu sein, ist manchmal leicht: Zum Beispiel, wenn man in einem unbedeutenden Länderspiel gegen einen seit der zehnten Minute in Unterzahl spielenden Gegner auf Amateurniveau 7:0 vorne liegt. Dann ehrlich zu sagen, dass man den Ball als Letzter berührt habe, und es bitte Abstoß für den Gegner geben solle, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Die TV-Kommentatoren des Spiels Deutschland gegen Liechtenstein feierten Thomas Müller dennoch. 

Das Gebot der Fairness gehört zum Sport wie Schweiß und Wadenkrampf. Sicherlich: Es gibt jene, die es mit dem Fair-Play-Gedanken nicht allzu genau nehmen. Die sich theatralisch auf dem Boden wälzen, um nach einem Hauch von Berührung einen Elfmeter zu schinden.

Aber es gibt auch jene, die Fairness mit Leben füllen. Timo Boll ist so einer. Der deutsche Tischtennis-Star setzte sich 2005 ein Fairness-Denkmal. Im Achtelfinale der Weltmeisterschaft im chinesischen Shanghai gegen den Lokalmatadoren Liu Guozheng hatte Boll Matchball. Doch anders als die Schiedsrichter erkannte er, dass der Rückschlag Lius so gerade noch die Tischkante berührt hatte. Boll hätte schweigen und gewinnen können. Doch das tat er nicht. Der Punkt zählte für Liu, der wenig später gewann. In China wird Timo Boll seitdem nicht nur wegen seiner Tischtennis-Kunst verehrt.

Fair zu sein, tut manchmal weh: Wenn man sich an die Regeln hält, auch wenn es für einen selbst unangenehme Konsequenzen hat. Wenn es Überwindung kostet, man die Folgen aber mit Anstand trägt. Fairness bedeutet auch, seinen Gegner respektvoll und menschlich zu behandeln. Die Leichtathletik-WM 2019 zeigte ein Beispiel. Im 5000-Meter-Vorlauf konnte sich der auf dem vorletzten Platz liegende Jonathan Busby kaum noch auf den Beinen halten. Als Schlusslicht Braima Suncar Dabó ihn passierte, schnappte sich dieser seinen entkräfteten Konkurrenten und schleppte ihn mit ins Ziel.

Auf Fairness zu achten hatte am Donnerstagabend Ivana Martincic. Die Kroatin war die erste Schiedsrichterin, die ein Fußball-Länderspiel der deutschen Männer-Nationalmannschaft pfiff. Sie erledigte ihre Aufgabe souverän und trug mit ihrer Leistung dazu bei, dass die Akzeptanz von Schiedsrichterinnen bei Profi-Männerspielen weiter wachsen kann. Und schon früh wurde sie zu einem Leistungsnachweis gezwungen.

In der achten Minute sprang der Liechtensteiner Jens Hofer Leon Goretzka mit offener Sohle an den Hals. Noch im Fallen war Hofer das Entsetzen anzusehen. Er wich dem Bayern-Profi während der anschließenden Behandlung nicht von der Seite, entschuldigte sich, hielt dessen Hand. Die fällige Rote Karte nahm er ohne Gegenwehr hin. Auf dem Weg vom Feld stützte er Goretzkas, half ihm, vom Platz zu gehen. Goretzka wusste die Geste zu würdigen, tätschelte Hofer freundschaftlich den Kopf. Eine große Szene: Der Eine bedauert aufrichtig, der Andere ist direkt bereit, zu verzeihen. Später schenkte Goretzka Hofer noch sein Trikot. So anrührend kann Fairness sein.