Kienbaum. Diskus-Vizeweltmeister Robert Harting wollte alles hinwerfen, plante schon sein Leben ohne die Wurfscheibe. Doch jetzt kämpft er bei der WM in Berlin wieder um eine Medaille. Dort wird er wie gewohnt seine Gegner provozieren.
Robert Harting kommt den kleinen Hügel an der Sonnenterrasse der Sportschule Kienbaum herunter. 2,03 Meter groß, 130 Kilo schwer, er sieht aus wie eine Burg auf zwei Beinen. Ottfried Fischer könnte sich hinter seinen Schultern verstecken.
Alles hinwerfen
Als Vize-Weltmeister im Diskuswerfen versteht der Berliner eine Menge vom Werfen. Aber zuletzt wollte er nicht mehr weit werfen, sondern alles nur noch hinwerfen. „Ich habe nicht nur ans Aufhören gedacht”, sagt er. „Ich hatte schon aufgehört.”
Harting ist 24 Jahre alt, die Leichtathletik-WM in Berlin steht vor der Tür, und Diskuswerfer werden erst richtig gut, wenn sie fast 30 Jahre alt sind. Solche Gedanken sind Harting jedoch egal. Er ist jemand, der überlegt. Aber er ist zugleich jemand, der spontan handelt. „Mein Wesen war weg”, beschreibt er seinen Zustand aus dem April. Sein Wesen ist für ihn die innere Mischung aus Konzentration, aus Aggressivität, aus Schmerzüberwindung und aus Spaß. Ohne diese Mischung kann er nicht trainieren. „Dann stimmt es im Kopf nicht, und es bringt nichts.”
Von Klitschko die Fresse polieren lassen
Harting hatte schon Pläne, die nichts mehr mit dem Diskus zu tun hatten. „Erst wenn du nicht mehr jeden Tag trainierst, merkst du, dass es auch andere Dinge im Leben gibt. ”Er dachte an ein Studium der Kommunikationswissenschaften. „Und weil ich Jahre an meinem Körper gearbeitet habe, hätte ich vielleicht nebenbei auf Boxen umsteigen können.” Ein paar Aufbaukämpfe. „Und dann für zwei Millionen von Klitschko die Fresse polieren lassen, fertig.”
Was hat den Mann, der manchmal so klingt, als wäre er im Kino grundsätzlich für die Bösen, so umgeworfen? Er hat in seiner Karriere doch alles weg gesteckt, selbst seine kuriosen Verletzungen. Mal riss er sich die Finger auf, als er über einen Zaun sprang. Mal fiel er aus dem Mannschaftsbus, mal knickte er beim Jubeln um. Alles kein Problem – bis sein Wesen auf einmal verschwand.
Theater um den Trainer
Grund dafür war das Theater um seinen Trainer Werner Goldmann. Der Trainer aus der früheren DDR hatte schriftlich versichert, nie etwas mit Doping zu tun gehabt zu haben. Es war nicht die Wahrheit, alles flog auf, Goldmann verlor seinen Status als Bundestrainer, und es gab Krach zwischen Harting und Goldmann. Ein zäher, langer Streit, der darin gipfelte, dass Harting im April mit dem Diskuswerfen abgeschlossen hatte. Doch es gab noch einmal ein Gespräch. „Darin haben wir uns zusammengerauft”, sagt Harting. Er nahm das Training wieder auf, sein Wesen kehrte zurück, und die Erde verwandelte sich für ihn wieder in eine Scheibe.
Er holt Mineralwasser mit Eiswürfeln, es ist ein heißer Tag, an dem kein Diskuswerfen auf dem Programm steht. Harting hat stattdessen mit Goldmann Tischtennis gespielt. Wer zuschaut, kann von einem tiefen Streit zwischenden beiden nichts bemerken. „Ich bin Profi”, sagt der 24-Jährige. „Mein Ziel ist es, bei der WM über 68 Meter weit zu werfen und eine Medaille zu holen." Bis zum 19. August, wenn um 20.10 Uhr das Finale beginnt, lebt er nur dafür. Er wird auch wieder provozieren, weil die Show und der Krawall für ihn irgendwie zu den starken Männern dazugehören. „Ohne Krach interessiert sich doch keiner für uns.”
Kollegen einen Säufer genannt
So war es, als er warf und warf, aber niemand mit ihm reden wollte. Als er seinen Kollegen Michael Möllenbeck einen „Säufer” nannte, standen die Fernsehteams sofort Schlange. Eine Stimmung wie im Paten, Teil drei, bis Harting sich entschuldigte. Möllenbeck steht nicht auf der Nominierungsliste für die WM, aber Harting hat schon einen neuen Gegner im Visier: Weltmeister Gerd Kanter aus Estland. Kanter hat Harting bei seinem WM-Tipp nur auf Platz vier gesetzt. Der Berliner hat sich daraufhin sofort ein estisches Nationaltrikot besorgt. „Das nehme ich im Finale als Schweißtuch. Mal sehen, was passiert.”
Er grinst. Was passiert, wenn er eine Medaille gewinnt? „Die Zigarrefür die Feier liegt schon im Auto.” Und wenn er keine Medaillegewinnt? „Dann hasse ich mich und kann mich selbst nicht mehr anschauen.”