Essen/Berlin. Bis Sonntag geht es in Berlin für die deutschen Schwimmer um ihre Olympia-Qualifikation. Der Essener Damian Werling spürt Nervosität.

Es ist nicht nur ein Becken. Es ist sein Becken. Hier ist Damian Wierling, was man über Schwimmer gerne sagt: wie ein Fisch im Wasser. So wohl fühlt er sich sonst nirgends. „Berlin ist mein Lieblingsbecken“, sagt der 25-Jährige ganz klar. Es sei groß, hell und vor allem: schnell. Genau genommen ist natürlich nicht das Becken schnell, sondern der Schwimmer darin. Und Damian Wierling ist schnell. Vor allem in Berlin. 2016 schwamm er dort deutschen Rekord über 50 Meter Freistil, wurde er erstmals Deutscher Meister über diese und die doppelte Kraul-Strecke, qualifizierte er sich für die Olympischen Spiele in Rio.

Nun also wieder Berlin. In der Schwimm- und Sprunghalle im Europasportpark geht es seit Freitag und bis Sonntag für die deutschen Schwimmer um alles oder nichts. Auch für Damian Wierling. Der Athlet der SG Essen will am Samstag über die 100 Meter Freistil und am Sonntag über die 50 Meter Freistil die Norm knacken. Auch in der Staffel kämpft er noch um seinen Platz.

Wer nicht etwa wie die Weltmeister Florian Wellbrock und Sarah Köhler schon vor der Corona-Pause die Olympia-Qualifikation in der Tasche hatte, für den gab es in diesem Jahr nur wenige Wettkämpfe, um die Norm für Tokio  zu erfüllen. Die letzte Chance ist Berlin. 

Will nach Tokio: Damian Wierling, Schwimmer der SG Essen.
Will nach Tokio: Damian Wierling, Schwimmer der SG Essen. © Michael Dahlke / FUNKE Foto Services | Unbekannt

Neben Wierling geht es aus seinem Verein auch für Lisa Höpink, Poul Zellmann, Max Pilger, Jeannette Spiwocks und Marius Kusch noch um Olympia-Plätze. Kusch ist zwar schon über 100 Meter Schmetterling qualifiziert, er kämpft aber noch um den Staffel-Platz.

Corona-Infektion überstanden

Alles oder nichts. Der Druck könnte nicht größer sein. Wenn dann auch noch hinzukommt, dass der erste Wettkampf nach der monatelangen Pause am vergangenen Wochenende in Eindhoven noch nicht so richtig gut lief, dann geht schnell der Kopf an. „Die Gedanken kreisen natürlich um das ,Was ist, wenn?’“, sagt Damian Wierling. In der Woche vor Berlin hieß die schwierige Aufgabe, die eigentlich ganz leicht klingt: locker bleiben. Aber: „Eine Grundnervosität und Anspannung ist die ganze Zeit da“, sagt der Sportsoldat. Ihm selbst helfen da Gespräche mit seinem Sportpsychologen. Und die Gewissheit: Er hat alles getan, hart gearbeitet. Die Form stimmt, das Selbstvertrauen auch. Selbst eine Corona-Infektion hat er mit leichtem Verlauf gut überstanden.

Nicole Endruschat ist in den vergangenen Tagen besonders gefordert gewesen. Die Essener Bundesstützpunkttrainerin sah ihre Aufgabe zuletzt vor allem darin,  den Fokus der Athleten „von den Konsequenzen auf die eigene Form, das Selbstvertrauen und die Performance im Rennen zu legen“. Doch, natürlich, auch das ist leichter gesagt als getan.

In Eindhoven habe sich gezeigt: Den Sportlern fehlt nach einem Jahr mit wenig Wettkampfpraxis die Routine. Die Situation in Berlin mag sie daher nicht mit der einer normalen, einer Saison ohne Pandemie vergleichen. „Schwimmer sind es gewohnt, auf den Punkt abzuliefern“, sagt sie. „Es ist aber schwieriger, weil durch die fehlenden Wettkämpfe große Verunsicherung spürbar ist.“ Und: Anders als sonst geht es nicht etwa um eine EM- oder WM-Qualifikation, sondern es geht um die Olympischen Spiele. Kurz: „Es geht um den Lebenstraum.“ Endruschat: „Es ist ex­trem, was auf den Athleten lastet.“

Steiger wollte 2020 in Tokio ihre Karriere beenden

Kämpft um ihren Olympia-Traum: Jessica Steiger.
Kämpft um ihren Olympia-Traum: Jessica Steiger. © dpa | Unbekannt

Man leide mit – wie etwa bei Jessica Steiger (28). Die Brustschwimmerin des VfL Gladbeck hatte 2020 in Tokio starten und ihre Karriere beenden wollen. Job, Hochzeit – alles war geplant. Doch sie entschied sich, Kraft und Geld zusammenzunehmen und noch einmal anzugreifen. Hält sie diesem Druck stand? „Sie ist auf jeden Fall eine, die auf den Punkt abliefern kann“, sagt Endruschat, die Jessica Steiger lange kennt. „Die Frage bei ihr ist: Wie gut hat sie die Nerven im Griff? Sie macht sich sehr viele Gedanken. Wenn sie aber die Ruhe bewahrt, kann sie ordentlich abliefern.“

Nicole Endruschat ist es wichtig, das Positive zu betonen. Dass der alles entscheidende Wettkampf nun in der Hauptstadt stattfindet, findet sie gut, „weil in den Köpfen der Athleten Berlin immer mit Meisterschaft oder Qualifikation verbunden ist. In Berlin geht es immer um was, da freut sich jeder drauf“.

Auch Damian Wierling beschreibt sich wenige Tage vor seinem ersten Start als „zuversichtlich“. Die Gewissheit, „eine tolle Familie und Freundin zu haben, die mich im Zweifel auffangen“, lassen ihn weniger an die Konsequenzen und mehr ans Schwimmen denken. An Berlin. An sein Lieblingsbecken