Tausende Fußball-Anhänger sind in Berlin für den Erhalt der Fankultur auf die Straße gegangen. Sie demonstrierten gegen unpassende Anstoßzeiten, überhöhte Kartenpreise und willkürliche Stadionverbote.
Die Kassierin bei Rossmann wurde vor Schreck ganz bleich, als sie die voluminösen Gesänge draußen hörte. Fehlalarm. Der farbenfrohe Zug, der sich am Samstagnachmittag lautstark über die Torstraße in Berlins Mitte schob, hatte zum Glück nur friedliche Guiness-Buch-Qualität. HSV- und St. Pauli-Anhänger trotteten genauso entspannt nebeneinander her wie jene von Hertha und Union Berlin und gut vier Dutzend anderen Vereinen der ersten drei, vier Fußball-Ligen der Republik. Ausnahmsweise. Gut 5000 Fans, die sich für gewöhnlich am Wochenende von Fankurve zu Fankurve gegenseitig das Schlimmste an den Hals krakeelen, marschierten gemeinsam für den „Erhalt ihrer bedrohten Kultur“, wie Veranstalter Steffen Toll von Hertha BSC es formulierte. Bedroht?
Fans gehen auf die Straße
1/31
Ein Blick auf die sorgfältig gestalteten Plakate und Banner zeigt, wo der leidenschaftliche Fan sein Glück in Gefahr sieht: obszöne Ablösesummen und Spieler-Gehälter, steigende Eintrittspreise (“Kein Zwanni für nen Steher“), Sitzplatzwang, arbeitnehmer- und familienunfreundliche Spielansetzungen, Verkauf von Stadionnamen, Austausch von Vereinsfarben, Stadionverbote ohne gerichtliche Verurteilung - „wir fühlen uns vom DFB und der DFL einfach immer mehr verarscht“, sagt Jürgen (24). Der gelernte Installateur ist morgens mit gut 40 „Kollegen“ aus München mit dem Zug gekommen. Bayern-Fans haben also doch (noch andere) Sorgen. Und Jürgens Motto ist durchaus mehrheitsfähig: „Die Funktionäre sollen merken, was sie riskieren, wenn sie weiter den Kurs der Verdrängung unserer Fankultur fahren.“
„Der einzig beständige Faktor im Fußball“
Hauptadressat der in bestens einstudierten Sprechchören vorgetragen Kritik (“Fußball muss bezahlbar bleiben“ - zur Melodie von „Jo, mir san mit dem Radel do“) ist der Ligaverband: Ihm werfen die Fans vor, ihren Sport nur noch an den Interessen von Fernsehsendern und Sponsoren auszurichten - und nicht mehr an den Menschen, die Woche für Woche ins Stadion gehen. Mirko (19), Student, Betriebswissenschaften, und ausweislich seiner frisch gewaschenen Kutte Werder Bremen zugetan, versteht das nicht: „Wir sind der einzig beständige Faktor im Fußball. Trainer und Spieler gehen früher oder später. Sponsoren auch. Man sollte uns pfleglicher behandeln.“
Den Jung-Akademiker stört vor allem die pauschale öffentliche Wahrnehmung seiner Gesinnungsgenossen: „Klar, hier sind heute auch Ultras und andere knallharte Jungs unterwegs. Aber die Mehrheit ist friedlich. Die leben mit Haut und Haaren für ihre Klubs.“
Dass dabei die Frage enorme Wichtigkeit erlangt, wann ein Spiel angesetzt wird und was man dafür an der Kasse hinlegen muss, darf man etwa den vielen Transparenten entnehmen, die sich mit Leidenschaft gegen die verhassten Montagsspiele in den zweiten Ligen wenden. Die passende Lösung hat ausgerechnet ein Eishockey-Fan parat, der sich mit seinem Eisbären-Trikot unters Fußball-Volk gemischt hat: „Ob Puck oder Ball, gleiche Anstoßzeiten überall.“ Und was die Preise angeht: Dass etwa der FC Schalke für das billigste Einzelticket im Champions-League-Spiel am 20. Oktober gegen Tel Aviv 40 Euro verlange, „geht auf kein Kuhhaut, die ticken doch nicht mehr richtig“.
Pauschale Kriminalisierung
Apropos: 2007 riefen DFL und DFB nach einem großen Kongress die „AG Fandialog“ ins Leben riefen. Seither sitzt man mit Fanvereinigungen wie „Unsere Kurve“ oder dem „Bündnis Aktiver Fußballfans“ (Baff) zusammen und stellt, so ein Teilnehmer aus dem Ruhrgebiet, zunehmend fest, dass man „nicht auf Augenhöhe redet, weil die uns nicht für voll nehmen - und das schafft Entfremdung“.
Dass die fortschreiten kann, auch durch eine oft als pauschal empfundene Kriminalisierung durch verringerte Kartenkontingente für Gästefans, schikanöse Auflagen beim Gebrauch von Fan-Utensilien oder unverhältnismäßig wirkende Polizeieinsätze, hat zuletzt der aus Duisburg stammende Fan-Experte und Soziologe Gerd Dembowski betont.
Wobei: Gewalt war bei dieser Demonstration des gemeinsamen Anstoßnehmens nach Angaben der aufmerksam mitlaufenden Berliner Polizei nicht festzustellen. Die Veranstalter, wissend um die entstehenden Fernsehbilder, hatten der eigenen Klientel deutliche Auflagen gemacht. Kein Feuerwerk, kein Rumgeprolle gegenüber Schaulustigen und Ordnungshütern, kein rechtsradikal grundiertes Geschwurbel, keine Alkohol-Exzesse. Die meisten hielten sich daran. Oder blieben, wie die Fans aus Gladbach oder Leverkusen, vorsorglich gleich zuhaus. P.S: Sie wollten dem Vernehmen nach nicht mit Anhängern der Kölner Geißböcke die Straße teilen. Die stehen nämlich im Verdacht, Fahnen anderer Vereine gestohlen zu haben. Irgendwo hat die Fan-Solidarität eben doch Grenzen.
Sie haben vermutlich einen Ad-Blocker aktiviert. Aus diesem Grund können die Funktionen des Podcast-Players eingeschränkt sein. Bitte deaktivieren Sie den Ad-Blocker,
um den Podcast hören zu können.