Essen. Mit 550.000 Euro Steuergeld sollten Wissenschaftler die deutsche Dopingvergangenheit aufklären. Jetzt ist das Projekt gescheitert. Das zeigt einmal mehr: Andere Länder meinen es im Anti-Doping-Kampf ernster als die Deutschen.
Sie reden nur noch über-, nicht mehr miteinander: Die Dopingforscher der Berliner Humbodt-Universität und ihr Auftraggeber, das Bundesinstitut für Sportwissenschaft. Mehr als drei Jahre lang hatten die Wissenschaftler für das Institut zum Doping in Deutschland geforscht. Bisher haben sie nichts davon veröffentlichen können.
Wissenschaftler aus Berlin nicht eingeladen
Am Dienstag stellte das Bundesinstitut im Berliner Bundespresseamt die Hälfte seiner Ergebnisse vor, die Teilgruppe aus Münster erzählte Medienberichte der letzten 60 Jahre nach. Die Wissenschaftler aus Berlin, zuständig für die brisanten Einzelfälle, waren nicht eingeladen. Stattdessen luden sie gestern zur Gegenveranstaltung an die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder.
Als großer Befreiungsschlag war das Forschunsprojekt 2008 angekündigt worden. Von 1950 bis heute sollten Forscher die westdeutsche Dopingvergangenheit aufklären, historisch, soziologisch, juristisch und ethisch. Einmal alles bitte, so lautete der Auftrag des zum Innenministerium gehörende Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp), das die Studie “Doping in Deutschland” auf Anregung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) ausgeschrieben hatte.
Experten kritisierten das Projekt als unrealistisch
Schnell kritisierten Experten das ganze Projekt als unrealistisch, unterfinanziert und wissenschaftlich drittklassig. Nur zwei Forschungsgruppen bewarben sich, Gutachter bewerteten die Anträge negativ und trotzdem entschied sich der Sport, das Projekt durchzuziehen. Schnell machte der Vorwurf der Alibi-Forschung die Runde. Die Kritiker haben Recht behalten.
Zwei Jahre lang sah es für Außenstehende so aus, als liefen die Arbeiten glatt. In Leipzig stellten die Forscher im Herbst 2010 erste Ergebnisse zu den 50er und 60er Jahren vor. Die Berliner Gruppe belegte unter anderem frühe Doping-Forschungen der Uni Freiburg auf Steuerzahlerkosten. Konkret ging es um die Wirksamkeit von Aufputschmitteln für eine verbesserte Leistungsfähigkeit. Außerdem berichteten sie über Pervitin-Doping bei den Fußball-Weltmeistern von 1954.
Forscher mussten eine Auftragsdatenverarbeitung unterschreiben
Ein Jahr später sorgten die Forscher dann für richtige Schlagzeilen: Sie sprachen von systemischem Doping in Westdeutschland, beschuldigten das Bundesinstitut, das Innenministerium und den DOSB, in den 70er und 80er Jahren von Doping gewusst und es teilweise gefördert zu haben. Die Berliner Gruppe schonte weder große Namen noch ihren Auftraggeber.
In dieser Woche explodierte schließlich, was lange geköchelt hatte. Es geht um fehlendes Geld und hohe juristische Hürden. Die Wissenschaftler hatten mitten im Projekt eine Auftragsdatenverarbeitung unterschreiben müssen, die dem auftraggebebenden Bundesinstitut die Hoheit über die Daten zusichert. Die Forscher können also nicht veröffentlichen, wenn sie die Vorschriften der Behörde nicht einhalten. Eine delikate Situation, da die Behörde selbst maßgeblich von den Forschungen betroffen ist. Solch hohe Hürden hatte es bei der Aufklärung des ostdeutschen Dopings nicht gegeben.
Auch Sportverbände leisteten Widerstand
Widerstand leisteten auch einige Sportverbände, die ihre Archive nicht öffneten. Symptomatisch ist die Reaktion des Deutschen Fußball Bundes. Mit einem rechtlichen Gutachten wollte dieser den Forschern verbieten, weiterhin zu behaupten, drei Spieler der Vizeweltmeistermannschaft von 1966 seien gedopt gewesen. Die Forscher wehrten sich mit einem Gegengutachten.
Die Berliner Gruppe konnte ihre Arbeit bis heute nicht abschließen, für die letzte und spannendste Phase von 1990 bis 2007 fehlte das Geld. Selbst die Ergebnisse von 1950 bis 1989 sind wegen der juristischen Widerstände bis heute nicht publiziert.
Die Probleme des Forschungsprojektes sind kein Einzelfall. Auch die Große Komission der Uni Freiburg zur Aufklärung des Dopings an der dortigen Uniklinik hat angeblich große Problemen. Ihr sollen entscheidende Akten nicht zur Verfügung gestellt werden. Die Vorsitzende der Komission, die Kriminologin Letizia Paoli, will sich zu ihrer Arbeit derzeit nicht äußern. Eine Präsentation der Ermittlungsarbeit lässt aber schon seit längerem auf sich warten.
Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Dr. Michele Ferrari
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Die Anti-Dopig-Agentur der USA hatte mit ihren Ermittlungen zum Armstronggate zuletzt weltweit Schlagzeilen produziert, hatte alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft, um das System Armstrong zu zerstören. Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft im italienischen Padua gegen den millionenschweren Dopingbetrüger Dr. Michele Ferrari. Die Staatsanwaltschaft Freiburg hat ihre Ermittlungen gegen die Dopingärzte der Uniklinik dagegen vor kurzem nach einem halben Jahrzehnt eingestellt – ohne nennenswerte Ergebnisse. Gleiches gilt für die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zum Doping in Erfurt.
Ein echtes Anti-Doping-Gesetz verhindert der deutsche Sport seit Jahren. Zur Evaluation des Arzneimittelgesetzes hatte das Innenministerium zuletzt einen Gutachter bestellt, der schon im Vorfeld klar gesagt hatte, dass er gegen eine Verschärfung der rechtlichen Möglichkeiten ist. Das vor kurzem vorgelegte Ergebnis war dementsprechend.
Ein Projekt als Schutzschild gegen Kritik
Die Nationale Anti Doping Agentur in Bonn hat aus den Freiburger Ermittlungen keine Vorteile gezogen, keine Ermittlungen gegen Sportler aufgenommen. Auch das Erfurter Dopingverfahren versucht sie seit Monaten möglichst geräuschlos zu beenden. Vergangenen Freitag verschickte die Nada um 19.11 Uhr eine Pressemitteilung. Die Überschrift: “Fall Erfurt vor 2011 kein Regelverstoß”. Das hatte ein Richter des Deutschen Sportschiedsgericht im Fall eines Radsportlers geurteilt. Diese Einzelmeinung interpretiert die Nada jetzt als endgültige Regelung und wertet sie damit stärker als die Meinung vieler Experten und des Generaldirektors der Welt-Anti-Doping-Agentur.
All das wirkt nicht so, als sei der deutsche Sport wirklich daran interessiert, offensiv gegen Doping vorzugehen. Im Fall des Forschungsprojektes Doping in Deutschland betonen DOSB und BISp, sie hätten das Projekt überhaupt nicht gestartet, wenn sie an den Ergebnissen kein Interesse gehabt hätten. Das kann man auch anders sehen. Ein Projekt das mit zu wenig Geld, einer zu umfangreichen Ausschreibung und hohen juristischen Hürden zu kämpfen hat und Probleme bekommt, sobald es etwas neues ans Licht holt – so ein Projekt eignet sich im Anschluss ausgezeichnet als Schutzschild gegen Kritik.