Essen. Ein Kinofilm widmet sich dem Fußballtrainer Otto Rehhagel. Er beschreibt den Weg zum unerwarteten EM-Titel mit Griechenland 2004.
Die erste Minute lässt keinen Zweifel an der Fallhöhe des Films. Nach einem Blick aus der Vogelperspektive auf Athen begleitet die Kamera Otto Rehhagel ins leere Panathinaikos-Stadion. Sofort ist klar: Es geht, auch wenn er nur im „Neubau“ für die ersten neuzeitlichen Olympische Spiele steht, in der Dokumentation „King Otto“ um die Nation, die einst den Wettkampfsport erfunden hat. Es geht um die Wiege der europäischen Kultur, um Fußball – und natürlich um Otto Rehhagel.
Vier Wochen vor dem Filmstart hält der Protagonist in Essen Hof. Mit unverminderter Energie, mit glänzenden Augen erzählt der 83-Jährige vom Film, von seiner Zeit als Trainer in Griechenland. Von Altersmilde kaum eine Spur. Der moderne Fußball, vor allem die seiner Meinung nach aufgeblähten Stäbe, bekommen einen mit – und natürlich sein liebster Gegner seit seiner Zeit bei Werder Bremen, die Journalisten. Denen bescheinigt er gerne, jetzt immerhin mit schalkhaftem Lächeln, dass sie alle „keine Ahnung“ hätten. Ein Zitat aus dem Film sagt vieles über den gebürtigen Essener: „Fußball ist wie Theater. Die sich das ansehen, sollen applaudieren und ansonsten die Klappe halten.“
Eine Welle des Misstrauens
Rehhagel hat den Griechen in seiner Zeit als Nationaltrainer immerhin den ersten Sieg bei einem Spiel während einer internationalen Meisterschaft, den ersten Europameistertitel und – wenn man den Filmemachern glauben darf – ihren Nationalstolz geschenkt.
Filmemacher Christopher André Marks hält sich streng an die Chronologie. In einer kurzen Vorschau werden Kindheit und Werdegang des Spielers und Trainers Otto Rehhagels erklärt. Danach geht es von der Verpflichtung des zukünftigen Meistertrainers bis zum EM-Titel für die Griechen im Jahr 2004.
Film erzählt eine doppelte Außenseitergeschichte
Marks kann dabei eine doppelte Außenseitergeschichte erzählen. Niemand hätte den Griechen Anfang des Jahrtausends irgendetwas, geschweige denn einen Titel zugetraut: Auch dem neuen Trainer schlug eine Welle des Misstrauens entgegen, von den Medien, von der Bevölkerung, aber auch von seinen Spielern. Den Stellenwert von Fußball und Rehhagel im Jahr 2001 bezeugt eine Sequenz, die Rehhagel und Fußball-Boss Vassilis Gagatsis auf dem Athener Flughafen an einem wackeligen Bistrotisch sitzend zeigt, ganz ohne Inszenierung – und ohne nennenswerten Rummel.
Gerade wegen dieser Bilder aus der Vergangenheit lohnt die Dokumentation. Natürlich kommt Otto Rehhagel ausgiebig zu Wort, selbstverständlich hat Marks Funktionäre, den ehemaligen Co-Trainer Ioannis Topalidis, und eine ganze Reihe ehemaliger Spieler befragt. Es sind deren Aussagen, aber vor allem auch die Filmschnipsel aus dem Beginn des Jahrtausends, der noch nicht lange zurückliegt, aber ewig her zu sein scheint, die beeindrucken. Der Fußballfan sieht noch einmal David Beckham im Einsatz, Thierry Henry, den jungen Cristiano Ronaldo sowie natürlich den auch aus der Bundesliga bekannten Angelos Charisteas und seine Mitstreiter.
Die Spieler selber bezeichnen ihre Heimat in der Rückschau als „fußballerisches Entwicklungsland“, der Verband habe bei Klubs um Trainingszeiten betteln müssen. Eine Szene, in der die Spieler über Zäune klettern müssen, um auf einen Platz zu gelangen, belegt das. Nur heimlich träumten sie vom ersten Sieg bei einem internationalen Turnier. „Ich wollte Rehhagel, weil ich hoffte, dass er uns die Disziplin der Deutschen beibringt“, sagt Vassilis Gagatsis.
Kein guter Start für Otto Rehhagel in Griechenland
Der mit vielen Vereinstiteln dekorierte Trainer kam im besten Frührentneralter von 63 Jahren – und lief gegen eine Wand. Seine Vorstellung von Fußball im Allgemeinen und von deutscher Disziplin im Speziellen kam bei den Griechen zunächst überhaupt nicht gut an. Dass er kein Griechisch, nur ein rudimentäres Englisch sprach und sich weigerte, in Griechenland zu leben, machte die Sache nicht besser. Das Ergebnis war ein 1:5 gegen Finnland bei Rehhagels erstem Spiel als Nationaltrainer. Die Presse schäumte, die Spieler rebellierten. Erst als sich eine gute Seele fand, Co-Trainer Ioannis Topalidis, kam die Wende. Der Mann hatte in Deutschland Fußball gespielt, war Trainer, sprach beide Sprachen und kannte die Eigenheiten beider Seiten: „Ich habe Rehhagels Anweisungen auch für die griechische Mentalität übersetzt“, sagt der 58-Jährige in der Dokumentation. Vor allem Rehhagels gelegentlich sehr deutlich Kritik habe er nie direkt wiedergegeben.
Faszinierende Fußballerinnerungen
Das funktionierte. Sportlich kam die Wende, es folgte die Qualifikation zur EM in Portugal. Die Dokumentation schwelgt in Fußballbildern, ohne zu beschönigen. Denn trotz der Erfolge, des Erreichens der K.o.-Runde hagelte es Kritik. Griechenland sei der einzige Underdog der Geschichte, „dem man es gönnen würde, wenn er verliere“, zitiert Marks ein vernichtendes Urteil über die extrem defensive Taktik, die sich Rehhagel für sein spielerisch limitiertes Team überlegt hatte. Das Spiel des Gegners zerstören und in dem einen Moment zuschlagen. Das kam nicht gut an.
Der Erfolg dann schon: Wie schon im Eröffnungsspiel (2:1) schlugen die Griechen Gastgeber Portugal auch im Finale (1:0). Der Rest war euphorische Feier. Auf dem Platz, auf den Rängen in Lissabon, auf den Straßen von Athen. Und mittendrin: König Otto, längst über jeden Zweifel erhaben. Er, der so eisern von kontrollierter Defensive spricht, gab sich dem Trubel hin, stürmte selbstvergessen den Platz.