München. Wegen zahlreicher Coronafälle stand der Verein zuletzt in der Kritik. Julian Nagelsmann meldet sich zu Wort - er sei “kein Erzieher“.

Bei diesem Thema wolle er nicht sagen, dass er „aggressiv“ werde, sagte Julian Nagelsmann, aber „ein bisschen kribbelt’s in mir“. Es ging um die Frage, ob und welche Urlaubsregeln den Spielern des FC Bayern mitgegeben worden seien. Er, Nagelsmann, sei „kein Kindergärtner“ oder nein, besser: „Kein Erzieher“. Er sei Fußballtrainer, erinnerte Nagelsmann, und man habe durchweg „Spieler, die in einem mündigen Alter sind und natürlich eine gewisse Eigenverantwortlichkeit haben“. Man habe überdies alle Verhaltensempfehlungen und Corona-Regeln wie immer besprochen, zudem seien Urlaubsreisen nicht gesetzlich verboten.

Es wurde deutlich, dass sich Nagelsmann schützend vor seine Belegschaft stellen wollte nach den jüngsten neun Corona-Infektionen, von denen einige im Urlaub der Spieler festgestellt worden waren. Immerhin konnte aber noch ein Rumpfkader am Donnerstag trainieren. Damit stand zumindest für den Moment fest, dass das Gesundheitsamt der Stadt München keine Quarantäne angeordnet hatte. Der Rückrundenauftakt der Bundesliga an diesem Freitagabend gegen Borussia Mönchengladbach kann demnach stattfinden. Es sei denn, es kommen noch weitere Infektionen hinzu und der FC Bayern kann nicht mehr die laut Spielordnung der Deutschen Fußball Liga (DFL) erforderlichen 16 spielberechtigten Akteure zusammenkratzen. Diese müssen allerdings nicht alle spielfähig sein, auch verletzte und gesperrte Spieler werden hinzugezählt. Auf dieser Liste der 16 Akteure müssen sich mindestens neun Lizenzspieler befinden, darunter ein Torwart.

Julian Nagelsmann lässt Nachwuchs einfliegen

Zumindest am Donnerstag sah es nicht nach dem Worst-Case-Szenario aus, wonach der Auftakt der Rückrunde dem aktuellen Pandemiegeschehen zum Opfer fällt. Niklas Süle hatte nach seinen Rückenproblemen wieder mittrainiert, Leon Goretzka wird wegen anhaltender Beschwerden an der Patellasehne dagegen ebenso ausfallen wie Josip Stanisic (Reha) und die beiden Afrika-Cup-Teilnehmer Eric Maxim Choupo-Moting und Bouna Sarr. Dafür waren sieben Amateur- und Nachwuchskicker dabei. Die beiden 16 Jahre alten Arijon Ibrahimovic (nicht verwandt mit dem Schweden Zlatan Ibrahimovic) und Paul Wanner hatte der FC Bayern sogar kurzfristig aus dem Trainingslager der deutschen U17-Nationalmannschaft in Südspanien einfliegen lassen. 

Definitiv verzichten muss Nagelmann auf die jüngst oder aktuell mit dem Corona-Virus infizierten Profis Manuel Neuer, Dayot Upamecano, Lucas Hernández, Alphonso Davies, Leroy Sané, Kingsley Coman, Corentin Tolisso, Tanguy Nianzou und Omar Richards. Und das vor jenem Spiel, in dem die Münchner das 0:5-Pokaldebakel bei der Borussia vom Oktober wieder geraderücken wollen. „Es gibt schon Revanche-Gedanken“, sagte Nagelmann, „ich will trotzdem gewinnen.“ Gegen den Angstgegner, gegen den die Bayern die meisten Niederlagen in der Bundesliga angehäuft haben. Sofern nichts mehr passiert, steht Nagelsmann aber immer noch eine erlesene Startelf zur Verfügung, von Weltfußballer Robert Lewandowski über Thomas Müller bis hin zu Joshua Kimmich, der nach seiner Corona-Infektion samt Flüssigkeit in der Lunge laut Nagelsmann ganz genesen und voll belastbar ist. „Top körperliche Werte“ habe Kimmich, dieser sei „sehr, sehr fit“.

Hoeneß lobt eigenen Stil von Nagelsmann

Trotz dieser guten Nachricht entwickelt sich der Start ins Halbjahr der Titel-Entscheidungen für Bayerns Trainer insgesamt noch komplizierter als seine erste Saisonhälfte bei seinem neuen Arbeitgeber verlaufen war. Der 34-Jährige war ja beinahe mehr als Moderator außersportlicher Themen gefordert gewesen denn in seiner hauptamtlichen Aufgabe als Fußballlehrer, für die ihn die Münchner für mehr als 20 Millionen Euro von RB Leipzig abgeworben hatten. Dass er beide Arbeitsbereiche, den als Krisenkommunikator und den als Cheftrainer, bisher überwiegend bravourös bewältigte, veranlasste Uli Hoeneß bereits zu einer Art Ritterschlag.

Nagelsmann sei „einer der besten Einkäufe“ in der Vereinsgeschichte, befand Hoeneß in der Münchner Abendzeitung. Die Rekordablöse für einen deutschen Trainer amortisiert sich nach Ansicht des Ehrenpräsidenten. „Hansi Flick hat bei uns sehr gute Arbeit geleistet, und Julian Nagelsmann hat jetzt noch einmal einen ganz eigenen Stil, der mir sehr imponiert“, sagte Hoeneß, „er entwickelt neue Spieler und fordert keine Neuen. Für die Kasse des FC Bayern ist Julians Arbeit Gold wert.“ Das war nicht nur ein großes Lob für den aktuellen Trainer, mit dem sie sich eine lange Erfolgsära erhoffen. Es war auch ein Seitenhieb auf den jetzigen Bundestrainer Flick, der die Münchner nach anderthalb Jahren als Chefcoach auf eigenen Wunsch hin nach der vergangenen Saison Richtung Nationalmannschaft verlassen hatte. Zuvor hatte Flick mit Sportvorstand Hasan Salihamidzic immer wieder Meinungsverschiedenheiten ausgetragen, früh auch schon öffentlich, wie im Januar 2020, als Flick Verstärkungen forderte, vor allem einen Rechtsverteidiger.

Nagelsmann vertritt Verein auch bei kritischen Themen

Nagelsmann agiert anders und in Kaderfragen zumindest öffentlich zurückhaltend. Er verweist darauf, dass der Verein den Hut aufhabe, vertritt den Verein aber zugleich ohne Murren bei Themen, bei denen eigentlich seine Vorgesetzten, der Vorstandsvorsitzende Oliver Kahn und Salihamidzic, ebenso mehr öffentlich gefragt wären wie Präsident Herbert Hainer. Vor allem in der Katar-Debatte um den umstrittenen Sponsoringvertrag mit der staatlichen Fluglinie Qatar Airways oder in der Impf-Debatte um Joshua Kimmich musste Nagelmann zunächst für AG und e.V. sprechen.

„Es gab schon mal einfachere Zeitpunkte, Bayern-Trainer zu werden. Es ist schon ein Durchschlängeln“, räumte Nagelsmann zwischendurch zwar ein, als es so gut wie gar nicht mehr um sportliche Themen ging und er überwiegend als eloquenter „Außenminister“ des FC Bayern gefragt war. Doch zu klagen ist seine Sache nicht, zumal er weiß, dass er mit seiner offenen und frischen Art zu kommunizieren glänzen und viele Sympathien gewinnen kann. Loyal sagte er: „Wenn du einen Weltverein übernimmst als Trainer, gehören eben auch politische Themen ab und zu dazu.“ Und er habe ja „immer noch ein sehr gutes Energie-Level“ sowie „genug Kapazitäten“. Ein bisschen kribbelt’s allerdings manchmal schon in ihm.