Frankfurt am Main. Deutsche Nachwuchskräfte kommen in der Bundesliga weiterhin viel zu wenig zum Einsatz. Die DFL und der DFB sind in Sorge.
Niemand kann leugnen, dass das Verhältnis zwischen der Deutschen Fußball-Liga (DFL) und dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) nicht das Allerbeste ist. Was aber nicht heißt, dass es auf wichtigen Arbeitsebenen keinen Austausch mehr gibt. Etwa über ein Problem, dass beide Institutionen umtreibt: nämlich die geringen Spielzeiten deutscher U21-Akteure in der Bundesliga.
„Das Thema ist bei Klubs und DFL erkannt“, sagt Andreas Nagel, DFL-Direktor Sport & Nachwuchs. Der Liga-Experte hat sich gerade kürzlich wieder mit den DFB-Kollegen Joti Chatzialexiou (Sportlicher Leiter Nationalmannschaften) und Meikel Schönweitz (Cheftrainer U-Nationalmannschaften) besprochen.
DFL und DFB haben gemeinsam Alarm geschlagen
Die Zahlen aus der abgelaufenen Bundesliga-Hinrunde brachte zwar eine leichte Besserung gegenüber der Vorsaison, aber beileibe noch kein zufriedenstellendes Ergebnis: Nur 4,2 Prozent der Gesamtspielzeit (in der 2. Bundesliga 8,1 Prozent) wurde von deutschen Nachwuchskräften bestritten. Bereits vor zwei Jahren – wenige Wochen vor Ausbruch der Corona-Krise – hatten DFL und DFB deswegen gemeinsam Alarm geschlagen. Entscheidend gebessert hat sich die Situation seitdem nicht.
U21-Nationaltrainer Antonio Di Salvo warnte deswegen gerade erst im Fachmagazin „Kicker“: „Uns fehlt die Breite an Spielern, die Praxis in der Bundesliga bekommen. Unser Pool an Kandidaten ist viel geringen als jener der Franzosen oder Engländer.“ Ihm fiel auf: „In den Jahrgängen 2000 und 2001 sind die Einsatzzeiten der ausländischen Spieler in der Bundesliga doppelt so hoch wie die der deutschen. Das ist extrem. In den anderen Ligen sind die Spielminuten der einheimischen U21-Spieler drei- oder viermal so hoch.“
Nagel gibt zwar zu bedenken, dass die deutsche U21 dennoch vergangenen Sommer wieder den EM-Titel gewann, bestätigt aber diesen Tendenzen Der inzwischen abgetretene Liga-Boss-Christian Seifert verknüpfte damals seine Gratulation mit einer Mahnung: „Jetzt geht es darum, bei der Nachwuchsarbeit die Versäumnisse der vergangenen Jahre aufzuholen. Daher unterstützt die DFL das ‚Projekt Zukunft‘ von Oliver Bierhoff und seinem Team ausdrücklich.“
Mit diesem Projekt, von DFL und DFB nach der desaströsen WM 2018 unter Zuhilfenahme vieler Bundesliga-Entscheider entwickelt, um die Nationalmannschaft als auch den Nachwuchs zurück an die Weltspitze zu führen, sind umfangreiche Reformen verknüpft: Die Nachwuchsleistungszentren sollten gestärkt, die A- und B-Junioren-Bundesligen in der bisherigen Form abgeschafft werden. Ferner steht auf der Agenda, den Kinder- und Jugendfußball in Teilen zu revolutionieren.
U21-Trainer Di Salvo: "Das ist eine gefährliche Tendenz"
Doch die Vorbehalte in den Regional- und Landesverbänden sind groß. Das Projekt stockt gewaltig. Wobei nicht geklärt ist, ob der Mangel an Toptalente mehr an strukturellen Problemen oder an gesellschaftlichen Veränderungen liegt.
Bei der aktuellen U21-Nationalmannschaft haben Jonathan Burkardt (FSV Mainz 05), Kevin Schade (SC Freiburg) oder Angelo Stiller (TSG Hoffenheim) im vergangenen Halbjahr zwar sehr erfreuliche Entwicklungsprozesse durchlaufen, aber Di Salvo beklagt, dass manche seiner Jungs selbst in der zweiten Liga nur auf der Bank gesessen hätten: „Das ist eine extrem gefährliche Tendenz.“
Der Nachfolger von Stefan Kuntz kassierte im Herbst eine krachende 0:4-Niederlage gegen Polen. Die Zulassung für die nächste EM-Endrunde wackelt. Ohne diese Bühne aber würde wichtige internationale Erfahrung fehlen. Ein Teufelskreis.
Offenbar hilft es nur bedingt, dass drei Prozent der Medienerlöse – und damit immerhin 33 Millionen Euro - für „U23-Local-Player“-Einsätze ausgeschüttet werden.
BVB fördert vor allem ausländische Talente
Vermehrt werden ausländische Hoffnungsträger aufs Toplevel gehoben: Bei Borussia Dortmund starteten Ousmane Dembélé oder Jadon Sancho durch, heute unternehmen Jude Bellingham und Erling Haaland hier entscheidende Schritte. Eine vergleichbare Entwicklung hat beim BVB kein deutscher Spieler genommen. An dieser Stelle sind der DFL die Hände gebunden.
„Wir können nur an den Rahmenbedingungen arbeiten. Selbstverständlich haben die Vereine die Hoheit darüber, welche Spieler sie einsetzen“, sagt Nagel.
Manch ein Klub findet fast ausschließlich der Landesgrenzen Verstärkung für seinen Kader. Bei RB Leipzig kommen deutsche Akteure nur noch auf 7,4 Prozent der gesamten Einsatzzeit, auch bei Eintracht Frankfurt (18,6) sieht es nicht gerade gut aus. In dieser Hinsicht bilden übrigens Union Berlin (73,2), SC Freiburg (61,2) und Aufsteiger Greuther Fürth (60,8) das Gegenbeispiel. Laut dem Portal transfermarkt.de sind von 528 Bundesliga-Profis 289 so genannte „Legionäre“. Der Anteil ausländischer Spieler beträgt damit knapp 55 Prozent. Die englische Premiere League (64,6 Prozent) oder die italienische Serie A (60,8) liegen deutlich drüber, die spanische La Liga (41,6) hingegen klar drunter.
Bundestrainer Hansi Flick erkennt noch kein Nachwuchsproblem
Bundestrainer Hansi Flick hat sich bei dem Thema eine pragmatische Haltung zugelegt: Er hat mit Florian Witz und Jamal Musiala, beide erst 18, neuerdings auch Karim Adeyemi, 19, gleich drei Spieler mit Blick auf die WM 2022 in Katar herangeführt – alle hätten „eine gute Entwicklung“ genommen.
Ein gravierendes Nachwuchsproblem kann Flick (noch) nicht erkennen. Unter ihm haben zudem die U21-Europameister David Raum, Nico Schlotterbeck und Lukas Nmecha, alle 23, in der WM-Qualifikation debütiert. Der Bundestrainer ist für die Zukunft „guten Mutes“. Doch bei näherer Betrachtung kommt er nicht um die Erkenntnis herum: So manch Nationaltrainerkollege schöpft aus einem reicheren Reservoir.