Leipzig. Kai Havertz hat beim 3:0-Erfolg der deutschen Nationalmannschaft über Russland begeistert. Er soll das nächste große Ding werden.
Kai Havertz war nur schwerlich als Kai Havertz zu erkennen. Die große Kapuze seines schwarzen Pullovers verschluckte seinen Kopf beinahe und hüllte ihn in Dunkelheit, als er das Stadion im empfindlich kalten Leipzig verließ. „Es hat riesigen Spaß gemacht heute auf dem Platz“, klang es aus der Dunkelheit von einem, dem vermutlich auch der Raum seiner Kapuze ausreichen würde, um Schönes mit dem Ball anzustellen.
Diese Erkenntnis ist nicht ganz neu. Neu ist aber die Bühne, auf der der offensive Mittelfeldspieler das zeigen durfte. Beim hauptsächlich in der ersten Halbzeit sehr ansprechenden 3:0-Sieg im Freundschaftsspiel gegen Russland bestritt er sein erstes Länderspiel von Beginn an. Zuvor hatte er lediglich mal ein paar Sekunden gegen Peru spielen dürfen. Und Havertz nutzte die jetzige Chance und verbreitete Licht, wo es in diesem Jahr so oft düster gewesen war. Licht, das weit in die Zukunft leuchtet. Havertz ist 19 Jahre alt und damit der Jüngste von jenen, die sich anschicken, dem Umbruch in der Nationalmannschaft ein Gesicht zu geben.
DFB-Trainer Löw: "Er ist sehr weit und wirkt abgeklärt"
„Seine Entwicklung ist gut. Er ist sehr weit und wirkt abgeklärt“, sagt der Bundestrainer Joachim Löw über sein neuestes Juwel und geht dann gern noch in die Detailanalyse. Havertz habe „eine sehr gute Ballbehandlung und Übersicht“ und auch „eine Orientierungsfähigkeit“, die ihm erlaube, immer zu wissen: „Wo ist der Ball, wo der Gegner?“ Das klingt, als verfüge Havertz über eine Art Radar, der es ihm ermögliche, unerwünschte Kollisionen von Ball und Beinen mit der Gegnerschaft zu vermeiden. Kurzum, sagt Löw: „Ich kann mir vorstellen, dass er in den nächsten Jahren eine Schlüsselposition bei der Nationalmannschaft einnehmen kann. Er ist für sein Alter außergewöhnlich gut."
Das war der gebürtige Aachener immer schon. In der Jugend übersprang er zwei Altersstufen. 2016 wurde ihm vom Deutschen Fußball-Bund die Fritz-Walter-Medaille in Silber in der Kategorie U17 verliehen. In diesem Jahr erhielt er die Auszeichnung in Gold in der Kategorie U19. In der Bundesliga debütierte er im Oktober 2016. Er ist jüngster jemals eingesetzter Profispieler Bayer Leverkusens und jüngster Torschütze des Vereins. Im Frühjahr machte er sein 50. Bundesligaspiel. Niemand in der Historie der Bundesliga war beim Erreichen dieser Marke jünger als Havertz. Und als wäre das nicht schon eindrucksvoll genug, verzeichnete er in dieser Zeit bereits 22 Torbeteiligungen. Ein Goldjunge, der prächtig harmonierte mit den anderen aus dem neuen schwarz-rot-goldenen Jugendstil wie die Torschützen Leroy Sané und Serge Gnabry.
Havertz – so ist es längst beschlossen – soll das nächste große Ding werden im deutschen Fußball. Und es begleiten ihn berechtigte Hoffnungen, dass es auch so kommen könnte. Nicht, weil er ein gutes Länderspiel gegen eine russische B-Mannschaft hingelegt hat, sondern weil er – wenn man denn diesen Vergleich wagen will – Fußball spielt wie Roger Federer jahrelang Tennis: leicht, fast unangestrengt, Lösungen findend. In einer Phase, in der der deutsche Fußball genau nach diesen Eigenschaften fahndet, in der durch den Rücktritt des feinfühligen Mesut Özil eine gestalterische Vakanz entstanden ist, fällt eine Premiere wie diese besonders auf.
DFB-Spieler Havertz: „Ich habe mir das Spiel von Özil immer gern angesehen"
„Ich versuche, meine Mitspieler glänzen zu lassen“, sagt Havertz. So hat es Özil auch immer gemacht. „Ich habe mir das Spiel von Özil immer gern angesehen. Die Übersicht am Ball, die Ruhe – davon schaue ich mir was ab.“ Das 3:0 bereitete Havertz sehenswert vor mit einem Pass durch die Mitte, wie er einem aus der Ära Löw der vergangenen Jahre bekannt vorkommen konnte. Havertz‘ Marktwert liegt derzeit jenseits der 50 Millionen Euro. Tendenz? Steigend. Die Aufregung um ihn herum? Auch. „Klar kriege ich das mit. Der Trubel interessiert mich aber nicht“, sagt Havertz. Er will nur spielen. Die Frage bei so Hochbegabtem wie ihm ist dann aber schnell: wo eigentlich? Sein Vertrag in Leverkusen läuft noch bis 2022.
„Kai hat ein überragendes Spiel gemacht und war der beste Mann auf dem Platz“, lobte Joshua Kimmich seinen Mittelfeldkollegen. „Ich hoffe, dass er noch viele Spiele für uns macht.“ Für die Nationalelf? Oder vielleicht doch irgendwann für Kimmichs Klub, den FC Bayern München? Am besten gleich beides. Zumindest wenn man den Wortführer der neuen Spielergeneration richtig versteht: „Ich kann ihn nicht kaufen, aber er ist ein Spieler, der glaube ich sehr gut zu uns passen würde.“