Madrid. Real Madrid schafft beim 3:1-Erfolg über Manchester City erneut Unglaubliches in der Champions League. Wie macht diese Manschaft das?

 Die letzten Minuten eines traumatischen Ausflugs nach Madrid verbrachte Pep Guardiola in einem leeren Pressesaal. Zu sagen gab es nicht viel auf die Fragen der zugeschalteten Journalisten, denn Guardiola, Trainer von Manchester City, hatte es alles ja schon vorhergesagt. Nicht vor dem Rückspiel bei Real Madrid, sogar vor dem Hinspiel. „Es gibt Dinge bei ihnen, da sagst du: ‚Wow’“, hatte er über den Gegner erklärt. „Auch unter größten Schwierigkeiten haben sie Spieler, die den Finger heben und sagen: Hier bin ich. Und denen dann nicht der Ball brennt, wenn sie ihm am Fuß haben. ... Das ist kein Glück, das ist ein Wert ... Wir werden versuchen, sie da zu kopieren.“

Im Prinzip musste er nach Citys 1:3 nach Verlängerung und dem Halbfinalaus in der Champions League nur noch einen Satz hinzufügen: „Wir waren ganz nah dran.“

Genau genommen lief die letzte Minute der regulären Spielzeit und Manchester führte nach einem 4:3 im Hinspiel auch im Rückspiel mit 1:0. Real-Verteidiger Ferland Mendy und Torwart Thibaut Courtois hatten gerade erst zweimal auf der Linie klären müssen. Doch Rechtsverteidiger Dani Carvajal brannte der Ball nicht, als er ihn in den Strafraum flankte. Karim Benzema verhinderte, dass er ins Aus ging, und der eingewechselte Rodrygo spitzelte ihn ins Tor. Das Match war damit in Reals Wohnzimmer angelangt: dem Kopf – und dort ließ der Meister dem Lehrling keine Chance.

Ein Drama, Pep Guardiola scheitert mal wieder in der Champions League.
Ein Drama, Pep Guardiola scheitert mal wieder in der Champions League. © Unbekannt | afp

Real Madrid: Karim Benzema als Dauerheld der Aufholjagden

Schon in der 91. Minute köpfte Rodrygo eine weitere Carvajal-Flanke ein. Ja, es gab dann noch eine Verlängerung, aber die wurde zu einer bloßen Prozession. Wie um Entscheidung und Leid nicht unnötig in die Länge zu ziehen, verursachte Ruben Dias gleich zu ihrem Beginn einen Elfmeter an Benzema. Der Dauerheld von Reals Aufholjagden – zehn Tore in sechs K.o.-Spielen – verwandelte problemlos.

„Was ist das?“, fragte Luka Modric. „Versucht nicht es zu erklären, lebt es einfach nur“, empfahl Courtois den Fans. „Dieses Team ist ein ‚fucking joke’“, twitterte Toni Kroos.

Er meint das eigene. Dessen sporthistorische Dimension wird ja nicht gerade kleiner dadurch, dass sie ihre von Guardiola beschworenen Comeback-Qualitäten gegen City nur auf die Spitze trieben. Im März hatte ein Hattrick von Karim Benzema ein verloren scheinendes Achtelfinale gegen Paris St. Germain gedreht, im April ein Außenristpass von Modric mit Volleyabnahme von Rodrygo das ähnlich hoffnungslose Viertelfinale gegen Chelsea. „Und wieder grüßt das Murmeltier“, schlagzeilte am nächsten Morgen genervt die „Mundo Deportivo“; sie steht dem Erzrivalen FC Barcelona nahe.

Was für eine Nacht, die Spieler von Real Madrid genießen den Erfolg mit ihren Fans.
Was für eine Nacht, die Spieler von Real Madrid genießen den Erfolg mit ihren Fans. © Unbekannt | firo

Real Madrid trifft nun auf den FC Liverpool

„Gott soll hinabsteigen und es erklären“, forderte derweil die Madrider „Marca“, während manche Fans immer noch mit offenen Mündern zu staunen schienen und nach passenden Vergleichen oder Erinnerungen suchten. Die Alten sprachen von den 1980er Jahren, als im Uefa-Cup die Gegner im Estadio Santiago Bernabéu reihenweise abgefiedelt wurden wie Borussia Mönchengladbach mit 4:0 nach 1:5 im Hinspiel. Alle präsent hatten noch das Champions-League-Finale 2014 gegen den Lokalnachbarn Atlético mit dem erlösenden Kopfballtor von Sergio Ramos in der Nachspielzeit. Und eigentlich ist ja diese ganze Mannschaft ein Wunder.

Kein anderes Team der Welt bewegt sich so gut im Übersinnlichen und der Anarchie wie dieses Real mit seinen vielen Altmeistern, die im Prinzip seit dem letzten ihrer vier Champions-League-Siege zwischen 2014 und 2018 als überholt abgeschrieben werden. Damals schloss sich der Reigen gegen Jürgen Klopps FC Liverpool, gegen den es nun im Endspiel am 28. Mai wieder geht. Unvergessen sind die Patzer von Torwart Loris Karius und das Foul des damaligen Real-Kapitäns Ramos, das Liverpools Star Mohamed Salah früh außer Gefecht setzte. Am Mittwoch war im Bernabéu gerade abgepfiffen, da trommelte Salah schon zur Revanche: „Wir haben eine Rechnung offen.“

In Madrid hielten sie sich mit Sprüchen noch zurück. Genug hatten sie damit zu tun, ihr Nachtmahl einzunehmen wie Matchwinner Rodrygo, der im Restaurant von Dutzenden Fans akklamiert wurde, und um 3.49 Uhr noch twitterte: „Wie soll ich nach so einem Abend schlafen?“ Der junge Brasilianer personifiziert das irrationale Element von Madrids Aufholjagden, und doch haben sich hinter der Serienproduktion von Sensationen auch gewisse Muster entwickelt.

Pep Guardiola scheitert erneut in der Champions League

Es beginnt mit tagelangen Appellen an die Fans, es geht weiter mit einem ekstatischen Spalier von diesen für den Mannschaftsbus vor Spielbeginn, und diesmal kam sogar noch ein Motivationsvideo von Trainer Carlo Ancelotti dazu, der seinen Profis alle bisherigen Aufholjagden der Saison zusammenschnitt und forderte: „Eine mehr!“ Man kann das alles für Hokuspokus halten. Aber selbst Placebos funktionieren ja, wenn man daran glaubt. Und diese Mannschaft tut es. Sie weiß, wer sie ist.

Guardiola wusste es auch. Mit zurück nach Manchester nahm er jedoch nur die Gewissheit, dass er zum neunten Mal in Folge nicht die Champions League gewinnen wird. Dass gegen dieses Real Madrid nichts nutzte, es durchschaut zu haben.