Porto. Der FC Chelsea hat sich im Finale der Champions League überraschend gegen Manchester City durchgesetzt. Thomas Tuchel im Trainer-Olymp angelangt.

Ganz nebenbei hat Thomas Tuchel in seiner bisher größten Nacht als Trainer dann auch noch seinen Chef kennengelernt. Wegen eines verwehrten Visums hat Roman Abramowitsch seit drei Jahren kein Spiel seines FC Chelsea in England besucht, doch beim Finale der Champions League gegen Manchester City im Estádio do Dragão in Porto saß der russische Milliardär auf der Tribüne. Nach dem 1:0-Erfolg durch den Treffer von Kai Havertz fand er seinen Weg auf den Rasen, gratulierte den Chelsea-Profis und wechselte ein paar Worte mit Tuchel, den er Ende Januar als Nachfolger der überforderten Klub-Ikone Frank Lampard installiert hatte. “Es war der beste Moment für das erste Treffen”, sagte Tuchel später über die Begegnung und scherzte: “Oder der schlechteste? Von hier an kann es nur abwärts gehen.”

Tuchel verlor das Finale im Vorjahr mit PSG

Der einstige Coach von Mainz 05 und Borussia Dortmund hat den Gipfel des europäischen Fußballs erklommen. Ein Jahr, nachdem er mit Paris Saint-Germain noch im Champions-League-Finale am FC Bayern gescheitert war, hat Tuchel mit Chelsea den wertvollsten Preis im Vereins-Sektor gewonnen und sich in den Olymp der großen Trainer katapultiert. In Rekordzeit hat er eine Mannschaft, die bei seiner Ankunft Neunter in der Premier League war, zum besten Team des Kontinents gemacht, zu einem Ensemble, das auf großer Bühne zu großen Leistungen im Stande ist. Zu Leistungen wie gegen Manchester City mit Tuchels Vorbild Pep Guardiola.

Gegen den englischen Meister, der überzeugt davon war, in diesem Jahr endlich, endlich zum ersten Mal die Königsklasse zu gewinnen, ließ Chelsea im Grunde keine echte Torchance zu. Die Mannschaft war blendend organisiert und verteidigte diszipliniert, angeführt vom überragenden Abwehrchef Antonio Rüdiger und dem omnipräsenten Abfangjäger N’Golo Kanté – beides übrigens Profis, die unter Lampard gegen Ende gar nicht (Rüdiger) oder nicht effizient (Kanté) eingesetzt wurden. In der Offensive wurde Timo Werners erneute Nachlässigkeit im Abschluss nicht bestraft, weil sich Havertz den idealen Moment für das erste Champions-League-Tor seiner noch jungen Karriere ausgesucht hatte.

Auch interessant

In der 42. Minute stieß er nach einem herrlichen Pass von Mason Mount in die riesige Lücke in der Abwehr des Gegners (die auch Werner gerissen hatte), umkurvte Torwart Ederson und schob den Ball ins Netz. Wie Werner erlebte auch Chelseas Rekordtransfer (kam im Sommer für rund 80 Millionen Euro aus Leverkusen) eine schwierige erste Saison, brauchte dann aber nur eine Szene, um sich im Goldenen Buch des Klubs zu verewigen. Es war verständlich, dass Havertz hinterher das Gebot der britischen Höflichkeit ignorierte, als er nach der Last der hohen Ablöse gefragt wurde: “I give a fuck on that. Wir haben gerade die fucking Champions League gewonnen.”

Der Baumeister dieses Werks ist Tuchel. Ihm ist es gelungen, das enorme Potenzial von Chelseas Kader zu entfalten, der vor der Saison für fast eine Viertelmilliarde Euro verstärkt worden war. Kein Verein in Europa hatte mehr Geld für Transfers ausgegeben. Chelseas Mannschaft wurde zusammengestellt, um Titel zu gewinnen. Doch es brauchte Tuchel, um die Einzelteile zu ordnen und dem Team eine Struktur und einen Stil zu geben. Chelseas Fan-Basis und die Fachwelt waren erschüttert über die Entlassung des beliebten Lampard nach nur 18 Monaten. Tuchel schlug viel Skepsis entgegen bei seiner Ankunft. Mit dem Sieg in Porto, dem zweiten Champions-League-Gewinn des Klubs nach 2012 gegen den FC Bayern, hat der Trainer die Zweifel an seiner Person zerschmettert und rechnet mit einer vorzeitigen Verlängerung seines nur 18 Monate geltenden Vertrags (“Vielleicht habe ich schon einen neuen Vertrag”).

Auch interessant

Während sein Gegenüber Pep Guardiola mit einer Inquisition in der englischen Presse konfrontiert ist, weil er sich wieder einmal dramatisch verzockt hat mit dem Verzicht auf einen defensiven Mittelfeldspieler in Person von Rodri oder Fernandinho (“an der Grenze zur Arroganz”, urteilte die Times), plant Tuchel schon weitere Großtaten. “Niemand will sich ausruhen. Ich will den nächsten Erfolg, den nächsten Titel”, sagte er, und es ist klar, was gemeint ist. In England gilt die Überzeugung, dass die Premier League schwerer zu gewinnen ist als die Champions League, der ultimative Ausweis von Klasse. Genau das ist künftig Chelseas Ziel.

19 Punkte betrug in der gerade beendeten Saison der Rückstand auf Meister Manchester City. Diese “Lücke” (Tuchel) gilt es zu schließen. Neben Chelseas allgemeiner Entwicklung unter seiner Führung dürfte ihm der direkte Vergleich Mut machen. Dreimal traf Tuchel mit seiner Mannschaft in den vergangenen Wochen auf Manchester City, dabei gab es drei Siege: im Halbfinale des FA-Cups, in der Liga und im Endspiel der Champions League. “Der Stein im Schuh” von Guardiolas Ensemble habe man im Estádio do Dragão sein wollen – so formulierte es Tuchel nach seiner bisher größten Nacht als Trainer. Das ist auch der Anspruch für die Zukunft. Von hier an kann es nur abwärts gehen? Mitnichten. Es sind weitere Gipfel zu erklimmen für Thomas Tuchels FC Chelsea.