Hamburg. Im Interview spricht Horst Hrubesch über fehlende Mittelstürmer in Deutschland, Bundestrainer Hansi Flick und Nachwuchsförderung.
Es braucht ein paar Anläufe, um sich mit Horst Hrubesch am Telefon zu verabreden. Sein Terminplan ist als Nachwuchsdirektor des Zweitligisten Hamburger SV, bei dem der 70-Jährige nach dem Start bei Rot-Weiss Essen seine größte Zeit als Angreifer erlebte, eng getaktet.
Schließlich nimmt Hrubesch aber ab, um vor dem Länderspiel in der Hansestadt am Freitag gegen Rumänien (20.45 Uhr/RTL) über die fehlenden Mittelstürmer in Deutschland, Bundestrainer Hansi Flick und störende Berater zu sprechen.
Herr Hrubesch, wann haben Sie zuletzt einen Ball geköpft?
Horst Hrubesch: Das ist schon lange her, im Alter hält man sich raus.
Also geht auch ein Kopfballungeheuer mal in Rente?
Hrubesch: Ja, natürlich. Mit den Jahren muss man auch ein paar Tabletten nehmen. Wenn da Blutverdünner dabei sind, machen Kopfbälle wenig Sinn.
Nun sucht Deutschland aber verzweifelt Kopfballungeheuer für die Nationalmannschaft. Woran liegt das?
Hrubesch: Viele Vereine haben das Augenmerk eher auf kleine, flinke Spieler gelegt. Und für Pressing und schnelles Umschaltspiel benötigt ein Trainer schnelle Profis, deswegen kommen große Stürmer etwas zu kurz.
Werden echte Neuner denn noch benötigt?
Hrubesch: Es ist wichtig, dass man beide Alternativen hat. Man benötigt auch mal die Brechstange. Zu meiner Zeit war es normal, dass verschiedene Typen im Angriff gespielt haben. Und die Kombination Frank Mill und Horst Hrubesch war nicht so schlecht. Oder Hrubesch und Manni Burgsmüller. Genauso begeisterten Dieter Hoeneß und Kalle Rummenigge.
Könnten Sie mit ihren Fähigkeiten heute noch mithalten?
Hrubesch: Ein zentraler Mittelstürmer benötigt die richtigen Zuspiele. Wenn ich sehe, wie die Flanken heute reingehauen werden, frage ich mich, was die im Training machen. Manfred Kaltz oder Felix Magath wussten genau, wo sie die Bälle hin spielen mussten. Aber wenn man die richtigen Typen dafür hat, dann kann man ein Spiel auch über die Außenbahn mit Flanken gewinnen. Das Nonplusultra ist natürlich, wenn ein Stürmer beides kann. Wie Robert Lewandowski oder Cristiano Ronaldo.
Sollte in der deutschen Nachwuchsarbeit etwas verändert werden, um diese vielseitigen Stürmer wieder zu entwickeln?
Hrubesch: In jedem Fall sollten verschiedene Spielertypen gefördert werden. Früher haben wir immer geschrien, dass die Techniker fehlen, jetzt vermissen wir die deutschen Tugenden. Je breiter wir in Deutschland aufgestellt sind, desto besser ist es.
Sie kennen den neuen Bundestrainer Hansi Flick gut. Was ist das für ein Typ?
Hrubesch: Hansi Flick passt perfekt. Weil er ein Fachmann ist und weiß, wie man mit Profis umgeht. Er kennt die Stärken und die Ängste seiner Spieler, er stellt sich hinter sie. So wie er es bei Leroy Sané gemacht hat. Außerdem kann Flick Verantwortung abgeben. Einen Besseren gibt es derzeit nicht auf dem Markt.
Das klingt sehr nach Ihrer Philosophie als Trainer.
Hrubesch: Wir sind beides Typen, die den Spielern die Möglichkeit geben wollen, sich zu entfalten. Als wir die Silbermedaille in Rio gewonnen haben, wurde ich als Meister des Erfolgs dargestellt. Aber daran waren alle beteiligt, und ich habe versucht, jedem seinen Raum zugeben. Schauen Sie sich Typen in der Nationalelf wie Joshua Kimmich oder Leon Goretzka an: Das sind Fußballer, die selbst eine Idee haben, wie die Mannschaft Erfolg haben kann.
Es heißt, früher haben Trainer stattdessen von oben herab kommandiert. Stimmt das?
Hrubesch: Ich habe genau das Gegenteil erlebt. Ich hatte Ivica Horvat bei Rot-Weiss Essen, der wie eine Vaterfigur geführt hat. Und Branko Zebec beim HSV, der mich zwar nur gequält hat, im entscheidenden Moment jedoch hinter mir stand. Als ich zu Beginn in Hamburg kaum traf, wurde ich schon als Fehleinkauf betitelt. In der Kabine sagte Zebec nur zur mir: ,Mein Junge, diesen Mist brauchst du nicht lesen. Bei mir spielst du eh immer.‘
Wie bewerten Sie die Ära von Joachim Löw?
Hrubesch: Es war eine erfolgreiche Zeit. Im Leben stellen sich irgendwann jedoch immer Zeiten ein, in denen nicht mehr alles passt. Auch in einer Ehe erlebt man gute und schlechte Phasen. Im Sportbereich hat man die Möglichkeit, etwas zu verändern. Zu Hause sollte man sich hinsetzen und alles wieder hinbiegen.
Hätte Löw also eher aufhören sollen?
Hrubesch: Die Spieler spielen im Moment in jedem Fall wieder besseren Fußball, vielleicht hatte sich etwas unter Löw abgenutzt. Vielleicht hätte man sich ein oder zwei Jahre eher trennen können. Aber man darf nicht vergessen, dass Löw jahrelang Großartiges geleistet hat.
Wie schwer wiegt der Abschied von Stefan Kuntz für den DFB?
Hrubesch: Wir sind alle zu ersetzen. Er hat eine Entscheidung getroffen, er wollte eine neue Herausforderung suchen. Jetzt können wir ihm nur die Daumen drücken, dass es so läuft, wie er es sich vorgestellt hat. Aber der DFB ist weiterhin gut aufgestellt.
Mit 70 könnten Sie persönlich den Ruhestand genießen. Warum arbeiten Sie stattdessen im Nachwuchsbereich des HSV?
Hrubesch: Es ist interessant, junge Spieler zu fördern. Wir sind in Hamburg finanziell nicht auf Rosen gebettet, spielen nur in Liga zwei. Nun wollen wir eigene Fußballer entwickeln.
Wann sieht man denn mal wieder einen HSV-Spieler im Nationaltrikot?
Hrubesch: Puh, wir müssen erst mal wieder in die Erste Liga aufsteigen. Das ist schwierig genug. Manchmal haben wir uns selbst im Weg gestanden, das sollten wir in Zukunft nicht mehr tun. Es wird noch ein langer Weg werden.
Sie stehen für Werte wie Verlässlichkeit. Kann man dies Talenten vermitteln?
Hrubesch: Na klar, das geht, wenn man ihnen Ehrlichkeit entgegenbringt. Wir müssen sie fragen, wir müssen die Spieler mitnehmen, ihre Ideen ernstnehmen. Sie müssen die Freiheit bekommen, eigene Entscheidungen treffen zu können.
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Im Nachwuchsbereich mischen allerdings schon früh Berater mit. Erschwert das die Arbeit?
Hrubesch: Verhindern kann ich das nicht und zurückdrehen werden wir diese Schraube nicht mehr. Doch ich frage mich schon, wofür junge Talente einen Berater brauchen. Die Leute, die im Leistungszentrum arbeiten, sind ehrliche Leute. Wir wollen jungen Leuten ihre Träume ermöglichen.
Wie geht das?
Hrubesch: Im Nachwuchsbereich vergessen wir immer wieder, dass es Kinder sind, von denen wir viel verlangen. Teilweise wird jedes Jahr der Trainer gewechselt. Das habe ich in Hamburg geändert. Damit die Talente eine Vertrauensbasis aufbauen können. Sie müssen wissen, dass sie sich auch mal eine Schwächephase erlauben dürfen. Sie müssen Spaß haben beim Dazulernen. Am einfachsten ist das, wenn man gewinnt. Ich habe mich über den Spruch „Aus Niederlagen lernt man“ immer geärgert.
Warum?
Hrubesch: Ja, was lerne ich denn? Ich gehe nach Hause und bin sauer. Es ist leichter, aus Siegen heraus zu lernen. Die Kunst ist zu wissen, warum ich gewonnen habe und nicht, warum ich verloren habe.
Schmerzt es, dass Ihre Herzensvereine Rot-Weiss Essen und der HSV in der Vergangenheit abgestürzt sind?
Hrubesch: Na ja, irgendwo kommt es ja her, es wurden Fehler gemacht. Da hilft es nur, nach vorne zu schauen.
Man soll ja aus Siegen lernen.
Hrubesch: Genau, ich lerne viel lieber in der Champions League weiter dazu.