Leipzig. Der Ex-Schalke-Coach Tedesco übernimmt bei RB Leipzig. Die Messlatte für ihn hat Nagelsmann gelegt. Das Team braucht neue Impulse.
Einen Versuch unternahm Achim Beierlorzer am Dienstagabend dann doch, um sich in Position zu rücken, bevor es zu spät sein könnte. Soeben hatte der Franke als Interimstrainer auf Abruf das Personal von RB Leipzig im letzten Champions-League-Gruppenspiel zu einem feinen 2:1-Sieg gegen Manchester City geführt. Es war sein zweiter Erfolg in der Königsklasse nach dem 5:0 in Brügge, bei dem er seinen zu diesem Zeitpunkt coronapositiven Chef Jesse Marsch vertreten hatte. Der US-Amerikaner ist mittlerweile Geschichte in Leipzig, ein neuer Chefcoach wird gesucht, warum also nicht sich selbst ins Spiel bringen? „Man wird sehen“, antwortete Beierlorzer auf die Frage, ob er nicht auch ein Kandidat für eine langfristige Lösung sei.
Dieser Satz steht in der Branche für: Könnte sein, dass ich das mache. Offenbar aber hat der Klub andere Vorstellungen davon, wer den drittteuersten Kader der Bundesliga aus der Krise führen soll. Es sickerte durch, dass die Vereinsführung des Bundesliga-Elften diesen Job einem im Ruhrgebiet nicht unbekannten Trainer anvertrauen will: dem ehemaligen Schalke-Trainer Domenico Tedesco.
Am Donnerstagmorgen dann die offizielle Meldung: Domenico Tedesco neuer Trainer bei RB Leipzig. Wie die Sachsen bekannt gaben, erhält der Nachfolger des am Sonntag beurlaubten Jesse Marsch einen Vertrag bis Sommer 2023. Der 36-Jährige soll das kriselnde Team wieder auf Champions-League-Kurs bringen. Interimscoach Beierlorzer zieht also den Kürzeren - er wird dem neuen Trainerteam nicht mehr angehören.
Erste Wahl bei RB Leipzig war Roger Schmidt
Schon am Samstag soll Tedesco das Team in die Heimpartie gegen Mönchengladbach führen. Damit haben die Sachsen die Vakanz nach der Trennung von Marsch am Sonntag in Windeseile gefüllt. Am Dienstag hatte Klubchef Oliver Mintzlaff erklärt: „Wir sind in guten Gesprächen und haben das Gefühl, dass der Trainer, den wir verpflichten werden, perfekt zur Mannschaft passt.“
Allerdings war der zuvor vereinslose Tedesco eher zweite Wahl als erste, weil RB sich bei Wunschkandidat Roger Schmidt (Eindhoven) eine Absage einholte. Tedesco tritt in der Messestadt auch in den Schatten seines Vorvorgängers, der in den vergangenen zwei Jahren bei RB die Maßstäbe für seine Nachfolger gesetzt hat: Julian Nagelsmann, seit Sommer Trainer des FC Bayern.
Zwei Spielzeiten lang operierte der 34-Jährige das angebliche RB-Genom vom Ballräuberfußball aus den Rasenballsportlern und verpflanzte ihnen stattdessen einen Strang aus dominantem Topklubfußball, bei dem es nicht nur um Blitzkonter geht, sondern auch um Spielkontrolle über Ballbesitz. Jesse Marsch versuchte vergeblich, diesen Eingriff rückgängig zu machen.
Zwei verschiedene Schalker Jahre
Ob Tedesco die Nagelsmann-Elemente des Kaders besser versteht als der US-Amerikaner vor ihm, wird seine Zukunft in Leipzig entscheidend beeinflussen. Bei genauerer Betrachtung dürfte ihm dieser Umstand wie eine exzentrische Verquickung der eigenen Wege mit denen des zwei Jahre jüngeren Nagelsmann vorkommen. Beide gelten als überdurchschnittlich begabt, sie waren beide im Hoffenheimer Nachwuchs tätig und absolvierten 2016 denselben DFB-Trainerlehrgang – Nagelsmann mit Topnote, Tedesco sogar als Jahrgangsbester.
Nach einem erfolgreichen Jahr beim sächsischen Zweitligisten Erzgebirge Aue heuerte das damalige „Wunderkind“ der deutschen Trainergilde 2017 auf Schalke an. Das erste Jahr war ein fortwährender Paukenschlag. Mit Pragmatismus und Genialität führte der damals 32-Jährige die Königsblauen zur Vizemeisterschaft. Doch in der folgenden Saison fanden sich Klub und Trainer im Abstiegskampf wieder: Tedesco verkrampfte, im März 2019 wurde er beurlaubt.
Von diesem Schock erholte sich Tedesco zwei Jahre lang weit weg im russischen Fußball. Dort übernahm er im Oktober 2019 den kriselnden Topklub Spartak Moskau und reparierte sein und dessen Renommee. Vergangenes Jahr führte er den Rekordmeister auf Rang zwei. Man würde in Leipzig nichts dagegen haben, wenn er dieses Kunststück nun wiederholen könnte.