Essen. Ob Kobra, Ata, Lutscher, Tante Käte oder Titan. Spitznamen waren im Fußball lange eindeutig. Inzwischen ist das nicht mehr so. Eine Kolumne.
Wer Sport treibt und einen langen oder gar einen Doppelnamen hat, weiß, wie wichtig ein Spitzname sein kann. Ich bin das beste Beispiel. Mein Rufname lautet Jan Frederik – Eltern kommen manchmal auf die drolligsten Iden. Bis jedenfalls ein Mitspieler beim Volleyball den Namen bei einem Zuspiel vollständig über die Lippen gebracht hatte, war der Ball längst vorbeigezischt. Das deutlich kürzere Jan oder mein damaliger Spitzname – und der tut hier jetzt wirklich nichts zur Sache – half beim rechtzeitigen Weg zum Ball. Spitznamen sind nicht immer nett, aber häufig treffend. Sie sind Kosename, Ehrentitel und Spott zugleich. Jeder ahnt, wer sich hinter der „Bohnenstange“ oder dem „Kugelblitz“ verbergen könnte.
Manchmal, wenn genug Alkohol – oder im Jugendalter zuckrige Brause – im Spiel ist, wird es originell. Jeder weiß wohl, wer „Tante Käthe“ ist. Angeblich taufte ein Mitspieler den jungen Rudi Völler in Erinnerung an eine betagte Tante mit ähnlicher Frisur. Der Name blieb.
Bochum-Legende Ata Lameck verdankt Scheuermittel seinen Spitznamen
Früher war auch hier nicht alles besser, aber kreativer – und gnadenloser. Die Bochumer Legende Ata Lameck, genannt nach einem Scheuermittel, wird mit seinem Spitznamen – den er bekam, weil er als Kind immer so schmutzig vom Kicken nach Hause kam, dass nur eine Grundreinigung half – gut leben können. Als Michael ist er sich mittlerweile vermutlich selber fremd. Von Willi „Ente“ Lippens wüsste man schon gerne, ob er daran zu knabbern hat. Der Terrier, Berti – eigentlich ja Hans Hubert – Vogts trug einen mindestens zweischneidigen Ehrentitel. Der Spitzname deutete an: hartnäckig bis zum Abpfiff, aber eben doch auch ein kleiner Kläffer.
Manchmal ist der Name sogar selbstgewählt: Jürgen Wegmann verdankt die „Kobra“ dem Satz „Ich bin giftiger wie die giftigste Schlange“. Auch Torsten Frings hat das Unheil, wenn man den „Lutscher“ als solches sehen will, über sich gebracht, weil es offenbar in Bremer Zeiten seine liebste Anrede anderer Spieler war. Sie kam als Bumerang zurück – und blieb.
Heute dominieren in den Kabinen die Klassiker und Verniedlichungen
Irgendwann wurde das mit den Spitznamen langweilig, weil sie Marke und Masche wurden, verliehen oft vom Boulevard, dankbar benutzt zu Vermarktungszwecken. Stefan Effenberg provozierte den „Tiger“ mit einem Friseurbesuch, nach dem ein Bild des Raubtiers seinen Hinterkopf – naja – zierte. Bei Oliver Kahn konnte ein Journalist die Tinte nicht halten. Schwer vorstellbar, dass irgendjemand den ehemaligen Welttorhüter mal fragte: „Hey Titan, Bock auf ein Bier?“
Und heute? Da dominiert in den Kabinen ein Klassiker, die Verniedlichung. Aus Julian wird Jule oder Juli, aus Ralf Ralle, aus Bastian, Basti und so weiter. Harmlos, nett – aber auch ein wenig blass.
Kein Grund, die Hoffnung aufzugeben. Wenn ein Spieler nur genug Kanten hat, dann fällt irgendwem schon was ein. Es hat gute und treffende Gründe, dass aus dem Bayern-Profi Thomas nicht Tommy wurde, sondern Radio Müller. Es wäre schön, wenn beim Profi-Fußball noch mehr Typen auf dem Platz Anlass für liebevollen Spott, für kreative Namensfindung böten.