Berlin/Leverkusen. Bayer Leverkusen droht die Saisonziele zu verpassen. Auf den erfolgreichen Herbst folgt der Absturz mit Trainer Peter Bosz zum Winterende.
Der vielbeschworene Mannschaftsgeist zählt zu den Lieblingsthemen des Fußballanalytikers Jonathan Tah. Im Hauptberuf ist der gebürtige Hamburger Innenverteidiger bei Bayer 04 Leverkusen – und nach dem 0:3 bei Abstiegskandidat Hertha BSC fand er es einmal mehr an der Zeit, sein Steckenpferd hervorzuholen. Im frisch beendeten Winter lobte der 25-Jährige wiederholt und explizit das intakte Wir-Gefühl bei der Werkself, etwa nach den Erfolgen über Stuttgart oder in Gladbach. Bei der Heimpleite vor einer Woche gegen Bielefeld, ebenfalls aktuelle Klassenkämpfer, erkannte Tah nach dem ersten Gegentor dann aber eine „unnötige Verunsicherung“ im Team. Ehe er in Berlin nun kategorisch festhielt: „Ich hatte das Gefühl, wir waren in der ersten Halbzeit nicht als Mannschaft auf dem Platz.“
Der zuständige Fachmann für solche Fragen saß derweil im Bauch des Olympiastadions – traktiert unter anderem mit der Frage, ob er sich auch beim nächsten Liga-Spiel in zwei Wochen als Chef auf der Leverkusener Trainerbank wähne. „Ja“, antwortete Peter Bosz. Immerhin: Gegner ist dann das fast hoffnungslos abgeschlagene Schlusslicht Schalke, gegen das auch Bosz‘ Gladbacher Kollege Marco Rose nach zuvor sieben Niederlagen en bloc gerade mal wieder gewonnen hat. Viel drängender als der Name des kommenden Kontrahenten ist allerdings die Frage, ob Bayers Drahtzieher ihrem jetzigen Coach das Erreichen des klar formulierten Saisonziels noch zutrauen.
Bayer-Profi Tapsoba zwischen Konfusion und Lustlosigkeit
Ein Platz in der Champions League soll es eigentlich sein, doch der ist aktuell sieben Punkte entfernt. Selbst das Trostpflaster Europa League ist angesichts der jüngsten Leistungen akut gefährdet – weil es Bosz nicht gelingt, seinem Team nachhaltig Beine zu machen. Als größten Unterschied zum extrem starken Herbst, als Leverkusen von Sieg zu Sieg eilte, mahnte Rudi Völler vor geraumer Zeit die anfällige Defensive an. In Berlin wurde der Wunsch des Sport-Geschäftsführers nach mehr Stabilität jedoch komplett ignoriert: Bei allen drei Treffern der Hertha dilettierte der Abwehrverbund der Gäste, allen voran der zwischen Konfusion und Lustlosigkeit wandelnde Edmond Tapsoba (22).
Die selbstbewusste Lässigkeit in seinem Spiel, mit der der Innenverteidiger aus Burkino Faso in guten Phasen brilliert, kehrt sich in der zunehmend angespannten Lage gerade ins Gegenteil um. Und sie zeigt ganz grundsätzlich auch den Kern des Leverkusener Problems: die unverträgliche Leichtigkeit des aktuellen Seins. „Für den Peter-Bosz-Fußball braucht man auch eine gewisse Lockerheit“, erwähnte Völler vor drei Wochen. Doch inzwischen ist die Stimmung unterm Bayer-Kreuz – die von Völler bereits angekündigte Abgabe von Spielern bei Verpassen der Königsklasse inklusive – so ernst, dass für die sportliche Kehrtwende Lockerheit alleine garantiert nicht reichen wird.
Krasser Absturz beim BVB nach furiosem Beginn
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„Ich glaube, in unserer Phase ist es gut, dass sich die meisten Spieler mal 14 Tage nicht sehen“, sagte Peter Bosz nach der Niederlage in der Hauptstadt. Ein ebenso irritierender wie ehrlicher Satz des Niederländers – dessen Vorteil es ist, dass der von ihm gelehrte Stil und Bayers Rasenpersonal im Grunde perfekt zueinander passen. Und Bayers Bosse das Projekt gerne weiterentwickelt statt begraben sähen.
Der angezählte Fußballlehrer Bosz, dessen kurze Wirkungszeit in Dortmund bereits von einem krassen Absturz nach ausgesprochen furiosem Beginn gekennzeichnet war, wird, sofern er weitermachen darf, seine Taktik und auch den Umgang mit den Leverkusener Profis jedenfalls zügig der neuen Situation anpassen müssen. Damit Jonathan Tah demnächst nicht wieder, wie am Sonntag in Berlin, sagen muss: „Ich hatte nicht das Gefühl, dass wir uns zu hundert Prozent unterstützen und helfen.“