London. Kein deutscher Tennisprofi hat das Achtelfinale des Grand-Slam-Turniers in Wimbledon erreicht. Vor allem Zverev und Kerber enttäuschten.
Doch, Julia Görges war sich ganz sicher. „Ich war noch nie so nah dran, sie zu knacken“, sagte die Weltranglisten-17. aus Bad Oldesloe, nachdem sie am Sonnabend in Runde drei der All England Championships in Wimbledon mit 3:6 und 4:6 an US-Ikone Serena Williams (37) gescheitert war. Nun muss man jedem Tennisprofi seine Selbstwahrnehmung zugestehen; von außen betrachtet wirkte die 30-Jährige allerdings genauso chancenlos wie in den vorangegangenen vier Duellen mit der siebenmaligen Wimbledon-Siegerin. Keine einzige Breakchance hatte Görges sich erspielen können, obwohl sie mutig agierte. Nah dran an einem Sieg sieht dann doch anders aus.
Weil am Sonnabendabend mit Jan-Lennard Struff (29/Warstein), dessen 3:6, 6:7 (5:7), 6:4, 5:7-Schlappe gegen den Kasachen Michail Kukuschkin (31) von einer 70-minütigen Unterbrechung wegen eines medizinischen Notfalls auf der Tribüne überschattet wurde, auch der letzte von 14 gestarteten Deutschen sein Bleiberecht verlor, findet die zweite Woche des dritten Grand-Slam-Turniers des Jahres erstmals seit 2015 im Einzel ohne Mitglieder des Deutschen Tennis-Bundes (DTB) statt. Das frühe Aus der Top-Fünf-Spieler Alexander Zverev (22/Hamburg), der in Runde eins dem Tschechen Jiri Vesely unterlag, und Angelique Kerber (31/Kiel), die in Runde zwei gegen Lauren Davis (USA) verlor, gab den Blick frei auf ein Problem, das den Verantwortlichen im DTB seit einiger Zeit Sorgen macht.
Nur vier deutsche Herren unter den Top 100
Die Lücke, die hinter den Vorzeigespielern klafft, ist groß, es fehlt deutlich an Substanz. Görges und Struff schöpfen ihr Leistungslimit aus, sind aber von der Weltspitze zu weit entfernt, um einen Majortitel gewinnen zu können. Und dahinter kommt viel zu wenig. Nur noch vier deutsche Herren – Zverev (Nr. 5), Struff (Nr. 33), Philipp Kohlschreiber (35/Augsburg/Nr. 57) und Yannick Maden (29/Karlsruhe/Nr. 98) – stehen aktuell unter den besten 100 der Welt, bei den Damen sind es mit Kerber, Görges, Tatjana Maria (31/Bad Saulgau/Nr. 65), Andrea Petkovic (31/Darmstadt/Nr. 69), Laura Siegemund (31/Metzingen/Nr. 82) und Mona Barthel (28/Neumünster/Nr. 96) immerhin sechs.
Auffällig ist dabei die Generationenlücke in den Jahrgängen 1992 bis 1998. „Wir müssen zugeben, dass wir da ein Defizit haben“, sagt Klaus Eberhard, Sportdirektor im DTB, der dennoch vor zu viel Schwarzmalerei warnt. „Wimbledon ist eine Momentaufnahme, von der wir alle enttäuscht sind. Aber wenn die beiden Topspieler ausfallen, sieht es auch in vielen anderen Nationen nicht besser aus“, sagt er.
Tatsächlich jedoch warnt Barbara Rittner, beim DTB als Head of Women’s Tennis für den Damenbereich zuständig, seit Monaten davor, den Anschluss zu verpassen. „Wenn die Generation um Angie und Jule aufhört, wird es schwer, denn uns ist danach eine ganze Generation weggebrochen“, sagt die 46-Jährige. Und auch im Bereich der 17- bis 19-Jährigen sieht es kaum besser aus, was ein Blick auf die Nachwuchswettbewerbe in Wimbledon beweist, die am Sonnabend starteten. Alexandra Vecic (17/Tübingen) ist einzige deutsche Juniorin, bei den Junioren fehlt das Länderkürzel GER komplett. „Damit können wir natürlich nicht zufrieden sein“, sagt Eberhard.
DTB verfüge über zu wenig finanzielle Mittel
Begründet liege die Schwäche einerseits darin, „dass man heute viel härter arbeiten muss, um es nach oben zu schaffen, und andere Nationen da kompromissloser sind als wir“. Andererseits habe der DTB über Jahre zu wenig finanzielle Mittel zur Verfügung stellen können. Erst Anfang 2017 wurde der Verband in die Förderung des Bundesinnenministeriums aufgenommen, hat sein Förderkonzept komplett umgestellt. Welchen Stellenwert die Ausbildung nun hat, zeigt der Fakt, dass Rittner und Herren-Bundestrainer Michael Kohlmann auf die Wimbledon-Reise verzichteten und stattdessen den Nachwuchs auf nationalen Turnieren betreuten.
„Im Bereich der 15- bis 17-Jährigen sind Erfolge zu verbuchen, aber wir brauchen Geduld, bis das im Profibereich durchschlägt“, sagt Eberhard. Bis dahin müssen Kerber und Zverev die Lücken füllen, so gut es geht.