Essen. Zwischen Buch-Premiere und Corona-Krise: Tennis-Star Andrea Petkovic blickt im Interview auf ein besonderes Jahr.

Andrea Petkovic kommt zu spät. Doch man muss ihr verzeihen: Sie wollte noch schnell eine Bratwurst essen. Die 33-jährige Spitzensportlerin kann es sich erlauben. Die Tennis-Saison ist längst vorbei. Die frühere Top-Ten-Spielerin blickt auf eine ungewöhnliche Saison zurück: Verletzung, Operation, Corona-Krise. Nebenbei schrieb sie ihr erstes Buch und entschied: So soll es nicht enden – und verlängerte ihre Karriere noch einmal um ein Jahr. 

Frau Petkovic, neben dem Tennis ist Literatur Ihre zweite Leidenschaft. Nun haben Ihr erstes eigenes Buch veröffentlich – „Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“. Wie kam es dazu?

Andrea Petkovic: Ich habe vor etwas längerer Zeit eine Online-Kolumne für das Süddeutsche Zeitung Magazin geschrieben. Daraufhin kamen einige Verlage zu mir und haben gefragt, ob sie die bündeln und in einem Buch veröffentlichen können. Das war mir aber zu langweilig, ich dachte mir: Da schreibe ich lieber was Originelles.

Hatten Sie da eine konkrete Vorstellung?

Petkovic: Ich wollte keine klassische Sportlerbiografie schreiben. Es war mein Anspruch, was Anderes abzuliefern, was Künstlerisches in den Sport reinzubringen.

Wie sind Sie das angegangen?

Andrea Petkovic bei den French Open im September 2020.
Andrea Petkovic bei den French Open im September 2020. © AFP | Unbekannt

Petkovic: Am Anfang habe ich mich so ganz klischeemäßig in Woodstock in einer Hütte zurückgezogen. Ich hatte mir das so schön vorgestellt – wie ich tagsüber durch den Wald wandere und nachts dann schreibe, Whiskey trinke und in einen Bottich weine. Aber nach drei Tagen saß ich schon wieder in einem Bus zurück nach New York (lacht). Es war mir viel zu einsam – und das Wetter war auch blöd. Danach habe ich dann immer wieder Freunde eingeladen. So hatte ich was, worauf ich mich freuen konnte, die Zeit davor nutzte ich zum Schreiben. Da sind zwei wichtige Kapitel entstanden, in denen ich den richtigen Stil gefunden habe. Danach wusste ich, wo es hingehen sollte.

Aber wie bekommt man die Schriftstellerei mit der Tennis-Karriere unter einen Hut?

Petkovic: Ich hatte mir vorgenommen, jeden Tag eine Stunde zu schreiben, damit genug Zeit fürs Tennis blieb – manchmal war es weniger, oft wurde es länger. So kam ich in einen Flow. Es gibt ja dieses Klischee: In der Kunst wirst du einmal inspiriert und dann arbeitest du drei Tage und drei Nächte durch und fertig. Doch es ist anders. Wenn du jeden Tag dranbleibst, dann wirst du jeden Tag besser. Das ist wie Training.

Welche Rolle hat die Corona-Pandemie während es Schreibens gespielt?

Petkovic: Als die Krise begann, war schon fast alles fertig. Nur für die englische Übersetzung, die ich selbst mache, kam die Pause gerade recht.

Wie haben Sie die Zeit der Corona-Zwangspause erlebt?

Petkovic: Ich wurde im Februar am Knie operiert. Die ersten Corona-Maßnahmen wurden im März getroffen. Angie Kerber war damals auch verletzt und als wir einmal telefonierten,  haben wir uns noch auf die Schultern geklopft. Nach dem Motto: Was für ein gutes Timing von uns, jetzt eh pausieren zu müssen. Aber Woche für Woche wurde es immer schlimmer. Ich musste die Klinik verlassen, musste die Reha zu Hause beenden. Irgendwann durfte ich dann als Berufssportlerin wieder zurück auf den Platz, konnte im Training langsam wieder aufbauen. Es war aber auch schön, mal wieder länger zu Hause zu sein.

Auf der Tennis-Tour sind Sie sonst 30 bis 40 Wochen im Jahr unterwegs.

Petkovic: Genau. Seitdem ich 18 bin war ich eigentlich nie länger als zwei Monate im Jahr zu Hause, weil ich oft auch im Ausland trainiert habe.

Wie hat sich das Tennis in dieser Zeit geschlagen?

Petkovic: Den Umständen entsprechend okay. Im Vergleich mit anderen Sportarten  sicher nicht so gut. Aber bei uns besteht eben das Problem, dass Tennis ein globaler Sport ist, mit Einzelsportlern, die alle eigene Teams haben. Man kann das Tennis nicht so zentralisieren wie die Fußball-Champions-League oder die NBA. Auf die Zukunft gesehen hoffe ich, dass die ATP der Herren und die WTA  der Frauen sich zusammentun und einsehen, dass man in einer Krise gemeinsam stärker ist. Vielleicht steckt da auch eine Chance in der Krise.

Können Sie das erklären?

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Petkovic: In so einer Situation kann nicht jeder sein Ding machen. Da braucht es einheitliche Regeln. Deshalb waren die Grand Slams auch fast die einzigen Turniere, die einwandfrei funktioniert haben, weil sich da alle Organisationen zusammentun müssen.

Und es entstehen keine privat initiierten Splitterveranstaltungen wie die Adria-Tour, die Novak Djokovic ins Leben gerufen hatte und bei der Spieler und Zuschauer die Corona-Regeln missachteten.

Petkovic: Natürlich wird man irgendwann hektisch, wenn so lange keine Wettkämpfe stattfinden. Ich bin immer noch im Hauptberuf Tennisspielerin, das ist meine große Liebe, da wird man schon unruhig, wenn man nicht weiß, wann man wieder spielen kann. Ich konnte zwar nach der Operation so in Ruhe wieder aufbauen, aber man denkt ja auch an die anderen. An diejenige, die voll im Saft waren, für die war das eine Katastrophe.

Nach dem Turnier in Berlin haben Sie auch bei den French Open gespielt. Wie haben Sie das erlebt?  

Petkovic: Gut und schlecht. Schlecht, weil ich früh ausgeschieden bin. Gut, weil es wichtig war, ein offizielles Match in dieser Saison gespielt zu haben. Und es war gut für mich zu wissen, wie es sich anfühlt in so einer Blase zu sein und zu wissen, dass sie funktioniert.

Wegen der Corona-Pandemie haben Sie Ihre Tennis-Karriere noch einmal verlängert, eigentlich sollte in diesem Jahr Schluss sein. Wie sehen Ihre Ziele nun aus?

Petkovic: Tennis bleibt meine absolute Priorität, so lange ich spiele. Alles andere wird vorerst also noch hintenangestellt.

Auch Olympia ist auf 2021 verschoben – ist die Teilnahme eines Ihrer Ziele?

Petkovic: Ja, schon, aber im Tennis ist es sehr schwierig, sich zu qualifizieren. Das geht streng nach der Rangliste und da gilt: Je mehr man spielt, desto höher kommt man. Mit meinem Knorpelschaden im Knie muss ich mich aber auf einzelne Events konzentrieren, ich kann nicht mehr die Menge spielen. Aber es wäre natürlich toll. Vielleicht spiele ich ein Turnier ja so richtig gut – und dann klappt es doch noch. (lacht)

Wie viel Raum bleibt da noch zum Schreiben?

Petkovic: Als das Buch fertig war, konnte ich eine Zeit lang gar nichts mehr zu Papier bringen. Aber jetzt setze ich mich schon wieder hin und schreibe, übe – trainiere.

Haben Sie schon konkrete Ideen?

Petkovic: Nein, ich schreibe an ein paar Kapiteln so vor mich hin. Mal sehen, wo die Reise hingeht. Aber im letzten Kapitel meines Buches deutet sich schon an, worum es gehen kann. Es ist mein Lieblingskapitel, es spielt komplett in New York und mein Ziel war es, dass gar kein Tennis mehr darin vorkommt. Das war symbolisch: Der Übergang zum nächsten Lebensabschnitt und wie dieses Leben aussehen kann.

Haben Sie eine Lieblings-Tennis-Metapher fürs Leben?

Petkovic: (überlegt kurz) Naja, es ist eher ein Spruch. Er geht so: Love means nothing to a tennis player. Also wörtlich: Liebe bedeutet für einen Tennisprofi nichts. Bei uns wird die Null als „Love“ ausgesprochen. Liebe bedeutet also Null und Null bedeutet nichts, weil es eben keine Punkte gibt. Der Spruch hat aber noch etwas Wahres: Denn gerade für Frauen ist es wirklich schwer, romantische Beziehungen als Tennisprofi aufrechtzuhalten. Wenn Frauen schwanger werden, ist immer die Frage: Wo geht die Karriere danach hin? Das hat man bei Serena Williams gesehen. Sie hat mit der Geburt ihrer Tochter knapp 2 Jahre verloren und trotzdem den Grand Slam Rekord eingestellt. Jetzt stellen Sie sich mal vor, sie hätte die 2 Jahre gespielt?  Deshalb ist der Spruch so schön: Er ist irgendwie lustig, aber auch ernst.

Sie haben in der Vergangenheit immer wieder Ihre Stimme für gesellschaftlich relevante Themen erhoben – zum Beispiel für Gleichberechtigung oder gegen Rassismus. Wird das so bleiben?

Petkovic: Was mir ganz wichtig ist, ist, dass ich mich nur zu Themen äußere, bei denen ich mich auch wirklich auskenne. Wie zum Beispiel bei der Gleichberechtigung oder gleichen Bezahlung im Tennis: Da kenne ich die Zahlen, ich weiß wie es ist. Zum Thema Rassismus finde ich einfach: Das ist keine politische Frage, sondern eine reine Menschenrechtsfrage. Da gibt es keine Meinungsäußerung, sondern nur eine Bekräftigung davon, dass wir alle Menschen sind und zusammenhalten müssen. Ich glaube, es ist wirkkräftiger, wenn man seine Fahne nicht zu jedem Thema ins Fenster hängt. Das habe ich immer so gemacht und versuche es auch in Zukunft – egal ob als Tennisspielerin oder Autorin.