Danzig. Nach dem glatten Neun-Punkte-Durchmarsch in der sogenannten Todesgruppe B wurde die deutsche Nationalelf weltweit gelobt. Doch was ist das EM-Erfolgsrezept dieser deutschen Nationalelf? Bundestrainer Löw meint: ein Stil, in dem sich Reife ausdrückt.
Vor dem Kofferpacken hat Michael Krohn-Dehli noch etwas gefunden, was er der deutschen Mannschaft zurücklassen konnte. Ein Kompliment, allerdings eines, das von der Führungscrew der nationalen Auswahl nur mit verhaltender Freude in Empfang genommen worden sein dürfte. „Deutschland“, sagte der Mann, der selbst kein Kind von Kraftlosigkeit ist, „Deutschland hat sehr kraftvoll gespielt.“ Und sein Fazit lautete nach der 1:2-Niederlage seiner Dänen, die den EM-Abschied besiegelte: „Das ist natürlich eine tolle Mannschaft.“
Natürlich. Mit einem prall gefüllten Punkte-Konto ist das Ensemble von Bundestrainer Joachim Löw aus der Vorrunde herausgetreten. In die Knie gezwungen wurden in der sogenannten Todesgruppe die Titel-Mitfavoriten Portugal und die Niederlande und darüber hinaus auch noch das konzentriert destruktive Dänemark. Die Frage ist nur: Welchen Stil pflegt diese Mannschaft, die so erfolgreich durch das Turnier rauscht und die auch am Freitag bei der Viertelfinal-Auseinandersetzung mit den Griechen im polnischen Danzig nur von extrem fachfremdem Publikum in der Außenseiterrolle gesehen wird?
Auch Deutschland offenbarte im Offensivspiel Verbesserungs-Potenzial
Löw findet: einen Stil, in dem sich Reife ausdrückt. „Ich glaube“, hat der Bundestrainer erklärt, „dass diese Mannschaft so ein Spiel vor drei, vier Jahren vielleicht noch nicht gewonnen hätte.“ Weil sie vor drei, vier Jahren dem Gegner vielleicht doch den einen Raum zu viel geöffnet hätte. Weil sie es vor drei, vier Jahren vielleicht doch noch nicht geschafft hätte, „über Mesut Özil und Bastian Schweinsteiger mit viel Ballkontrolle“ das Heft in der Hand zu behalten. Das war wichtig, weil Krohn-Dehli mit seinem Tor zum 1:1 in Minute 24 den EM-Verbleib der Deutschen auf Messers Schneide ablegt hatte. Das war aber auch nötig, weil Lukas Podolski zwar in Minute 19 bereits das 1:0 erzielt hatte, der Ball jedoch ansonsten meist in netzfernen Regionen kontrolliert wurde.
Die Klage des Bundestrainers, er habe „das Gefühl gehabt, dass den Dänen das Ergebnis egal ist, die tun ja nichts nach vorne“, kann also auch gegen seine Mannschaft geführt werden. Schweinsteiger stöhnte nach dem Schlusspfiff: „Ich bin müde, weil ich so viel gelaufen bin.“ Dass am Ende mehr als zwölf Kilometer Wegstrecke für ihn auf dem Tachometer fixiert waren, verblüffte allerdings, weil der Bayer im ukrainischen Lwiw die Rasenpfade benutzte, deren Bedeutsamkeit sich gewöhnlich erst bei der Videoanalyse erschließt. Ah, der Schweini, hier hat er dem Dänen wieder mit hohem Energieaufwand die Tür vor der Nase zugeknallt.
Schweinsteiger demonstrierte mit Gomez, wie der neue Fußballstil funktionieren kann
Löw verwies darauf, dass Thomas Müller und der ebenfalls wacker ackernde Sami Khedira (11,52 Kilometer) in Halbzeit eins Riesenmöglichkeiten auf dem Stollenschuh gehabt hätten. Dass Podolski trotz der in ihm tobenden Glückshormone – 100. Spiel im Adlertrikot! Tor erzielt! Mit Treffer 44 Uwe Seeler in der ewigen Hitliste überflügelt! – einen besorgten Blick auf das Gesamtgefüge warf, lässt jedoch erahnen, dass die Mannschaft mit ihrem eigenen Spiel derzeit fremdelt: „Man hat das Gefühl gehabt, bei uns geht nicht viel nach vorn, bei den Dänen auch nicht.
In Erinnerung ist noch der Überfall- und Adrenalin-Fußball der WM 2010. Und aktuell ist die Verschmelzung von aggressivem Festungsniederreißen und feinem Kombinationsfußball durchaus gewünscht. Wie das funktionieren kann, hat Schweinsteiger in der Partie gegen die Holländer (2:1) demonstriert. Attacke. Zwei überraschende, zwei präzise Pässe, gesetzt an den richtigen Schnittstellen. Und Stürmer Mario Gomez vollendet. Zuständig für Überraschungen, für Präzisionsaktionen der vernichtenden Natur, für das Ermitteln von porösem Material an Schnittstellen ist jedoch eigentlich Özil, der Kreativdirektor. Özil aber bewegte sich wie ein Feldherr durch die Reihen seines Heeres, dem es an der Idee davon mangelt, wie die finale Eroberung zu bewerkstelligen sein könnte. Den Schlusspunkt musste deshalb der als Rechtsverteidiger entdeckte Fußballarbeiter Lars Bender (11,34 Kilometer) bei seinem Startelf-Debüt setzen. Nach brachialem 80-Meter-Sprint traf er in der 80. Minute zum 2:1. Zum erlösenden 2:1.
Bundestrainer Joachim Löw nahm Özil aus der Kritik
Um einen neuen Stil der Nationalmannschaft, um einen Mix aus teutonischer Kraftmeierei und spanischer Kontrolliererei, soll es sich dabei aber nicht handeln. Löw nahm zwar Özil aus der Kritik („Der Laufweg bestimmt den Pass“; meint: die anderen müssen da hin, wo der Madrilene sie in gefährliche Zeitgenossen verwandeln kann), räumte aber ein: „Wir müssen in der Offensive noch einen Tick besser werden.“ Bei den Griechen scheint es sich nämlich genau um die Art von Haudegen-Combo zu handeln, die wirklich nur durch überraschende, präzise, gezielte Stiche zu beeindrucken ist.