Rio de Janeiro. Mats Hummels steht der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im WM-Viertelfinale wieder zur Verfügung. Die Qualität des BVB-Verteidigers ist gegen Frankreich gefordert. Im schwarz-gelben Trikot traf er in den letzten Jahren regelmäßig auf Starstürmer Karim Benzema - und setzte sich durch.

Ohne Mats Hummels herrschte gewissermaßen Tristesse. Der Mann von Borussia Dortmund schlug sich in den vergangenen Tagen mit den Symptomen einer Grippe herum, was gravierende Folgen hatte. Zum Beispiel für Manuel Neuer, Philipp Lahm und Thomas Müller. „Wir konnten leider kein Schafkopf spielen. Die Karten werden ja verteilt, da ist die Ansteckungsgefahr zu groß“, sagte Neuer und wirkte angemessen zerknirscht, weil Hummels nun mal als einziger im Rest der Mannschaft über die entsprechenden Fähigkeiten verfügt. Hummels Ausfall wog sogar doppelt schwer, wie Neuer weiter ausführte, weil an manchen dieser Tage noch nicht einmal ein Fußballspiel der Weltmeisterschaft im Fernsehen lief, das man sich im Zirkel der deutschen Nationalmannschaft hätte ansehen können.

Fast ein bisschen unter ging in all dem Schabernack, dass der Dortmunder Abwehrchef wegen seiner Erkrankung auch ein richtiges Fußballspiel nicht hatte bestreiten können. Es handelte sich um das Achtelfinale gegen Algerien, das mühselig mit 2:1 nach Verlängerung gewonnen wurde und das einige erhebliche Schwächen in der deutschen Defensive offenbarte. Des Gegners Spieler waren zu schnell für Per Mertesacker und der Ball zu rund für Jerome Boateng. Und manchmal auch andersherum.

Besonders in der ersten Halbzeit bot das kurzfristig zusammengestellte Innenverteidiger-Tandem eine bedenkliche Leistung. Hummels’ Widersacher - vor dem Turnier lange Zeit als das topgesetzte Duo im Abwehrzentrum gehandelt und nun in die Lage versetzt, diese Vermutungen nachträglich zu belegen - produzierten das deutlich vernehmbare Signal: Besser ist’s mit Hummels. Weil er eben auch auf dem Platz Fertigkeiten mitbringt, die sonst keiner hat. Fertigkeiten, die er im Reich der Nationalmannschaft mittlerweile zu dosieren weiß.

Hummels, stets kritisch beäugt in diesem elitären Zirkel, musste sein Spiel umstellen. Bundestrainer Joachim Löw wollte es so. Im Halbfinale der EM 2012 gegen Italien begünstigte der Abwehrstratege ein Gegentor, in dem er zu forsch in einen Zweikampf ging, statt abzuwarten. Risiko-Bereitschaft – auch in der Spieleröffnung - ist in Dortmund grundsätzlich gern gesehen, im deutschen Dress eher nicht. Hummels hat daher sein Draufgängertum gegen maximale Seriosität eingetauscht. Das führt auch zu einer Harmonisierung des Zusammenspiels mit dem eher nicht als Abenteurers bekannten Per Mertesacker. In Löws neuem Pragmatismus, der von einer  Systemumstellung vor dem Turnier bis zu der Abwehrreihe aus nahkampferprobten Innenverteidigern reicht, ist Hummels gewissermaßen das pars pro toto.

Hummels sitzt am Strand auf einem Handtuch. Er trägt dunkle Kappe, dunkle Sonnenbrille, Deutschland-Hemdchen. Im Hintergrund wogen die Palmenblätter im Wind des Atlantiks. Er sieht entspannt aus auf dem Bild, das er am Mittwoch von sich im Internet veröffentlichte. Und ziemlich gesund. Er lässt wissen, dass er „fast zu 100 Prozent wieder hergestellt“ sei. Es ist eine Nachricht, die all jenen Erleichterung verschafft, die sich seit dem Algerienspiel große Sorgen machen. Sorgen, dass die stolzen deutschen Fußballer auf ziemlich schlimme Art und Weise auseinander genommen werden könnten im Viertelfinale am Freitag gegen Frankreich. Zumindest wenn sie sich ähnlich präsentieren wie gegen den Außenseiter aus Afrika.

Die Sorge speist sich aus der individuellen Klasse der Franzosen, die in kollektive Qualität mündet. Aber vor allem speist sie sich aus einem Namen: Karim Benzema. Der Stürmer von Real Madrid ist die wohl größte Bedrohung für die innere Sicherheit. Benzema hat bereits drei Treffer im laufenden Turnier erzielt, ein weiterer wurde ihm aberkannt und als Eigentor gewertet, ein Tor gegen die Schweiz durch den Schlusspfiff ungültig gemacht. Dazu verschoss er noch einen Elfmeter. Er könnte bei erstaunlichen sechs Treffern stehen. Drei Vorlagen lieferte er obendrein. Warnung genug.

Bierhoff: DFB-Team nicht in der Favoritenrolle

Im deutschen Lager herrscht dennoch Zuversicht. „Zum ersten Mal in diesem Turnier gehen wir nicht als Favorit ins Spiel. Da ist jetzt jemand, der auch etwas zu verlieren hat“, erklärt Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff die Druckverhältnisse in Rio, dem späteren Austragungsort des Finales. Endstation Sehnsucht. „Wir träumen vom Titel, aber es ist vermessen zu sagen: Wir müssen ins Finale.“ Bierhoff weiß, dass es schnell vorbei sein kann, dass Löw dann kaum zu halten sein wird und auch Fragen nach seiner eigenen Zukunft gestellt werden würden.

Aber soweit soll es jetzt nicht kommen. Die Hoffnungen ruhen auch auf Hummels. Seine zuletzt gute Form macht es Löw leicht, Boateng wieder auf die rechte Seite zu beordern und Philipp Lahm im Mittelfeld zu belassen. So wird es jedenfalls erwartet. Aber vor allem ist Hummels ein Benzema-Experte. In den vergangenen zwei Jahren begegneten sich Borussia Dortmund und Real Madrid sechs (!) Mal in der Champions League. Vier Mal jubelte am Ende Schwarz-Gelb. Und Benzema? Erzielte in 300 Einsatzminuten nur einen Treffer gegen Hummels. Im jüngsten Viertelfinal-Duell wäre beinahe ein zweiter hinzugekommen, aber der BVB-Profi grätschte dem Franzosen im letzten Augenblick sagenhaft präzise den Ball vom Fuß. Die Szene war wagemutig, sie spielte sich im Strafraum ab.

Manchmal ist es ein schmaler Grat zwischen Risiko und Seriosität. Mats Hummels hat offenbar gelernt, auf ihm zu wandeln. Bisher jedenfalls. Ab jetzt kann jeder Fehler verheerend sein. Umso erfreuter sind die Kollegen, dass Hummels wieder gesund ist. Nicht nur aus Gründen der Freizeitgestaltung.