Düsseldorf. Manuel Neuer wurde auf Schalke mit einer Ohrfeige verabschiedet. Am Freitag bestreitet der Bayern-Torwart mit der DFB-Auswahl in der Schalker Arena das EM-Qualifikationsspiel gegen Österreich. Vor seiner Rückkehr will er keinen Druck spüren.

Manuel Neuer nähert sich dem Revier wie ein Tiefseetaucher der Wasseroberfläche. Es findet eine Dekompression statt. Aus München ist der Torhüter angereist. Aktuell hält er sich in Düsseldorf auf. Am Freitagabend wird er mit der Nationalelf in Gelsenkirchens Arena zum EM-Qualifikationsspiel gegen Österreich antreten und wieder Heimatluft atmen. Neuer sagt, dass er sich darauf freue, dass er wisse, „dass viele Freunde da sein werden“. 20 Tickets hat er schließlich selbst geordert. Es wird also einen Unterstützerkreis geben auf Schalke, zumindest einen kleinen.

Ein Druckausgleich findet auch statt, weil Neuer nicht im Trikot seines Arbeitgebers in die Arena einlaufen wird. Im Trikot des FC Bayern München versuchen, den Schalkern die Punkte zu entführen? Das wäre doch wie ein unkontrolliertes Aufsteigen aus großer Tiefe. Dagegen: Im Adlertrikot die Ösis mit frischem Material für ihre über Jahrzehnte hinweg gehätschelte Fußballdepression versorgen? Neuer glaubt fest daran, dass das Textil ihn beschützen wird vor all denen, die noch Abrechnungen für ihn mit sich herumtragen: „Ich denke, dass die deutschen Fans auch hinter der deutschen Mannschaft und hinter dem deutschen Torhüter stehen.“

Neuer wurde mit Gerüchten konfrontiert

Dass der Ur-Schalker sich überhaupt Gedanken machen muss über die Befindlichkeit der Stadionbevölkerung hat mit seinem langen Abschied zu tun. Schon im vergangenen Sommer deutete er ihn an, bei der WM in Südafrika, im Gespräch mit dieser Zeitung. Frage: Bleiben Sie für immer Schalker? Antwort: Ob es wirklich so kommt, ist fraglich. Danach wurde Neuer über Monate hinweg mit Gerüchten konfrontiert, und ständig fiel der Name FC Bayern, und immer erklärte der Torhüter: nichts. Das zehrt. Das zehrt auch an den Nerven der Fans. Dass der Manu, dass so ein Junge, der mit fünf Jahren Schalker wurde und der sich nie losgesagt hat von der königsblauen Fahne, sich am Ende beim Umzug mit dem gerade gewonnenen DFB-Pokal eine Ohrfeige einfangen konnte: verantwortlich dafür war das Geschäft, das Feilschen.

Die lange Ankunft hat ihm auch nicht gut getan. „Koan Neuer“ konnte er auf Transparenten bayerischer Fans lesen, was im landesüblichen Idiom bedeutet: Den wollen wir nicht. Sogar Verhaltensregeln haben sie für ihn aufgelistet, die Fanzirkel, die Vereine mit Logen verwechseln. Darf keine Gesänge vorgeben. Darf das Wappen auf dem Trikot nicht küssen. Neuer will das aber gar nicht bemerkt haben. „Seitdem ich in München bin, habe ich keine schlechten Erfahrungen mit Fans gemacht“, sagt er, und weil er so tiefenentspannt wirkt, weil er schon wieder so wirkt, als würde er in Düsseldorf nicht in einer Fünf-Sterne-Kammer im Hyatt, sondern in einer Meditationszelle logieren, ist man geneigt, ihm zu glauben. Oliver Bierhoff empfindet die nationale Nummer eins doch auch so: „Es ist beeindruckend, wie Manuel generell mit Situationen umgeht“, sagt der Teammanager. Aber er räumt ein: „Ich weiß nicht, wie es in ihm aussieht.“

Erwachsener, vielleicht. Erwachsener als noch vor zwei, drei Monaten. Mit dem Abschied von Schalke wollte Neuer ja auch eine Abnabelung vornehmen. Er wollte sein eigenes Leben auch stärker als das eigene Leben wahrnehmen können. Er wollte sich von familiären und regionalen Strippen befreien wie andere in seinem Alter. „Ich stehe jetzt“, sagt er, „auf eigenen Füßen.“ Und dafür muss die Zeit tatsächlich reif gewesen sein. Beruflich scheint der 25-Jährige sich nämlich schon als Veteran seines Gewerbes zu empfinden. Ob er denn wohl die noch jüngeren Konkurrenten fürchtet? Neuer holt aus. „Ich fühle mich zurückversetzt in die Zeit, als wir noch junge Torhüter waren“, sagt er und führt Namen an, Beispiele für Vertreter seiner Generation: Rene Adler, Michael Rensing. Und dann holt er noch einmal aus und spricht über die Jungen, über die 18- bis 22-Jährigen, den Ron-Robert Zieler, den Marc-André ter Stegen, die er nennt, und über „den einen oder anderen, den von Leverkusen auch…“

Bernd Leno. Kann sein, dass Manuel Neuer die Dekompression mit der Nationalelf vor seiner zweiten Rückkehr mit den Bayern am 18. September gar nicht braucht. Kann sein: Druck spürt er einfach nicht.