Gelsenkirchen (SID) - Es war genau eine Minute vor zwölf, als Felix Magath vor die Tür trat. Demonstrativ lächelnd ließ sich der Trainer und Manager von Schalke 04 mit den Fans fotografieren, amüsierte sich über die wartenden Journalisten und stieg kommentarlos in seinen Dienstwagen. Es war noch nicht seine letzte Abfahrt auf Schalke. Zumindest bis zum Wochenende darf er wiederkommen, dann muss er zum "klärenden Gespräch" beim Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Tönnies antreten.
Für einen seiner engsten Vertrauten gab es dagegen schon am Tag nach dem 3:1 (1:1)-Erfolg im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League gegen den FC Valencia kein Zurück mehr. Pressesprecher Rolf Dittrich, der in Magaths Schlepptau das Reha-Gebäude am Parkstadion verließ, wurde nach SID-Informationen noch am Abend gefeuert.
Magath selbst dürfte der Nächste sein. "Ich habe in den letzten Tagen immer gesagt, dass das Spiel gegen Valencia absolute Priorität hat. Jetzt, nach unserem tollen Sieg, können wir uns wieder anderen Dingen zuwenden, die in letzter Zeit aufgelaufen sind", erklärte Tönnies am Donnerstag auf der Internetseite des Klubs: "Ich bin nicht sein Kontrahent, sondern sein Kontrolleur. Deshalb lade ich Felix Magath zu einem klärenden Gespräch unter Männern ein." Im Bundesliga-Heimspiel am Samstag (15.30 Uhr/Sky und Liga total!) gegen Eintracht Frankfurt wird der Trainer und Manager also noch auf der Bank sitzen.
Magaths Uhr ist abgelaufen
Die Uhr für Magath ist dennoch abgelaufen. Tönnies hatte daran keinen Zweifel gelassen. "Wir müssen die Reißleine ziehen. Völlig unabhängig von der Champions League. Im Verein brennt es lichterloh", sagte der Fleischfabrikant dem kicker, allerdings vor dem Anpfiff.
Tönnies rechnete regelrecht ab mit dem Münchner und Wolfsburger Meistertrainer, den er vor 21 Monaten noch als Retter für den angeschlagenen Klub geholt hatte. "Unmenschlichen Umgang" warf er Magath vor und sprach von einem "verlorenen Jahr".
Das Training nach dem Einzug ins Champions-League-Viertelfinale überließ Magath seinen Assistenten Seppo Eichkorn und Bernd Hollerbach. Die wenigen Kiebitze im alten Parkstadion warteten zunächst vergeblich auf den Cheftrainer. Erst später traf er auf dem Vereinsgelände ein und verschwand im Mannschaftstrakt des Reha-Zentrums.
Magaths Abschied ist besiegelt
Für Magath geht es gut anderthalb Jahre nach seinem Amtsantritt offenbar nur noch um den Zeitpunkt und die Modalitäten des Abgangs. Das Meinungsbild im Aufsichtsrat ist eindeutig. Doch um den Trainer und Manager als Vorstandsmitglied zu entlassen, müssen Fristen eingehalten werden. Magath muss drei Tage vor der entscheidenden Sitzung offiziell eingeladen werden und Gelegenheit zur Stellungnahme bekommen. Der Aufsichtsrat tagt turnusmäßig am kommenden Montag. Als Trainer müsste ihn der Vorstand feuern, dem neben Magath selbst Finanzvorstand Peter Peters und Sportdirektor Horst Heldt angehören.
Um seine Zukunft muss sich der ehemalige Nationalspieler wohl keine Sorgen machen. Neben einer millionenschweren Abfindung winkt schon der nächste Job. Red-Bull-Milliardär Dietrich Mateschitz will Magath für seinen Retortenklub RB Leipzig gewinnen, schon im vergangenen Sommer gab es erste Gespräche. In Leipzig hatte Magath die gleichen Vollmachten wie derzeit auf Schalke. Und auch sein Ex-Klub Hamburger SV hat in der nächsten Saison eine große Vakanz.
Am Abend zuvor hatte Magath demonstrativ gelassen, ja sogar angeblich unwissend auf die Meldungen über seinen bevorstehenden Abschied reagiert. "Ich habe nichts erfahren, mit mir hat keiner gesprochen", wiederholte er vor und nach dem Spiel immer wieder. Was offensichtlich nicht ganz stimmte, denn auf seiner Facebook-Seite hatte er geschrieben: "Nicht verrückt machen lassen, liebe Schalker!"
Er habe nur "auf Zeitungsartikel reagiert", sagte er nach dem Spiel, "aber nicht auf die Tatsache, dass ich nächstes Jahr nicht mehr Trainer bin." Ihm sei klar gewesen, dass auf Schalke viel Unruhe herrsche, "aber, wie Sie an solchen Abenden sehen, macht auch unruhiges Arbeiten Spaß".
Profis ergreifen nicht Partei für Magath
Zuvor hatten viele Fans Magath den Rücken gestärkt. "Pro Magath" und "Felix gefällt mir" hieß es auf vielen Schildern, auch "Felix Magath"-Rufe hallten durch die Arena. Von den Profis indes ergriff keiner Partei für den Trainer.
"Die Mannschaft hat zusammengehalten und eine gute Antwort gegeben", sagte Kapitän Manuel Neuer. "Wir haben uns davon nicht beeinflussen lassen", erklärte Verteidiger Benedikt Höwedes, merkte lediglich kritisch an: "Der Zeitpunkt ist nicht glücklich gewählt."
Selbst Magaths Königstransfer Raúl nahm die Meldungen über die bevorstehende Trennung gelassen auf. "Irgendwer wird schon eine Entscheidung fällen", sagte der Spanier, wünschte sich allerdings noch ein wenig Aufschub: "Aber erst am Saisonende. Es ist jetzt nicht der Augenblick, irgendwelche Dinge anzustellen."
Von dem Beben, das die Meldungen am Mittwochmorgen im Verein und im Umfeld ausgelöst hatten, zeigte sich das Team auf dem Platz auch unbeeindruckt. Nur das frühe Gegentor durch den Ex-Wolfsburger Ricardo Costa (17.) brachte die Königsblauen aus dem Konzept. Nach dem Ausgleich durch einen direkt verwandelten Freistoß von Jefferson Farfán (40.) drehten sie jedoch das Spiel. Mario Gavranovic (52.) und erneut Farfán (90.+4) sicherten dem Vizemeister den zweiten Viertelfinaleinzug nach 2008 und verwandelten die Arena in ein Tollhaus. Schalke feierte, die Spieler tanzten vor der Nordkurve, nur Magath verschwand ganz schnell im Kabinengang.