Hagen..

Erdal Keser (50), früher Profi bei Borussia Dortmund, ist Leiter des Europa-Büros des türkischen Fußball-Verbandes in Köln. Vor dem EM-Qualifikationsspiel zwischen der Türkei und Deutschland am Freitag sprach unsere Zeitung mit dem Hagener über das Wettrennen um die türkisch-stämmigen Talente.

Herr Keser, welche Tätigkeit verbirgt sich genau hinter der Berufsbezeichnung?

Erdal Keser: Ich sichte Spiele und Spieler. Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Schweden, England, die Benelux-Länder, Österreich, Schweiz, Frankreich, Deutschland - überall dort, wo türkische Landsleute leben. 25 Scouts sind in ganz Europa verteilt. Jeder hat sein Gebiet.

Deutschland ist der interessanteste Markt.

Keser: Insgesamt fünf Millionen Landsleute leben im Ausland, davon befinden sich 2,5 Millionen in Deutschland.

Und wenn einer Ihrer Scouts ein Talent entdeckt…

Keser: … dann werde ich angerufen und schaue mir den Spieler an. Wenn er die Qualitäten für die Nationalmannschaften hat, dann wird er zu einem Lehrgang eingeladen. Das fängt bei der U15 an.

Viele Jugendliche könnten für beide Länder spielen. Wie überzeugen Sie?

Keser: Was heißt überzeugen? Wir stellen Ihnen das frei. Wir sagen ihnen lediglich, dass sie auch die Möglichkeit haben, für die Türkei zu spielen, wenn sie und ihre Familie das möchten. Wir zwingen keinen, wir üben keinen Druck aus. Und wenn sich der Spieler für ein anderes Land entschieden hat, dann soll er das machen. Das wird von jedem respektiert.

Matthias Sammer, der Sportdirektor des Deutschen Fußball-Bundes, hat Ihnen mal eine „aggressive Kontaktaufnahme“ vorgeworfen.

Keser: Das ist nicht wahr. Sie können ja mal ein paar Spieler anrufen, mit denen ich zu tun hatte, und fragen, ob ich sie aggressiv angegangen bin oder sie bedrängt habe. Das hat es bei mir nie gegeben und das wird es auch nie geben.

Wie wichtig ist es, früh Kontakt zu den Talenten aufzunehmen?

Keser: Sehr wichtig. Schlimm wäre es, wenn ein Spieler mit 18 Jahren sagt: Ich hätte sehr gerne für mein Vaterland gespielt, aber es hat mich gar keiner gefragt, als ich 15 oder 16 war. So etwas wird es nicht mehr geben. Etwas anderes ist es, wenn sich der Spieler aus freien Stücken anders entscheidet, dann sind wir genauso stolz auf ihn. 99 Prozent aller Türken sind stolz auf Mesut Özil. Natürlich hätten wir den gerne, aber er hat sich für Deutschland entschieden, damit ist das Thema für jeden, der normal denkt, erledigt.

Wie ist das für die Jugendlichen, die das Land Ihrer Eltern möglicherweise nur von Ferienbesuchen kennen, aber für die Türkei Fußball spielen?

Keser: Das ist eine neue Generation. Wenn wir ein Trainingslager haben, ist meine erste Frage eigentlich, ob auch alle Türkisch verstehen. Viele können gar kein Türkisch, dann unterhalten wir uns auf Deutsch oder Englisch.

Sind diese Spieler bei den Mannschaftskollegen akzeptiert oder führt die Konstellation auch zu Problemen?

Keser: Wenn sie sich für die Nationalmannschaft qualifiziert haben, dann sind sie auch akzeptiert – vor allem im Jugendbereich. Die kommen doch sowieso gut miteinander klar. Gehen Sie mal auf einen Spielplatz, da spielen alle miteinander. Die Probleme kommen erst später, wenn es um Arbeitsplätze geht.

Verteidiger Ömer Toprak, dazu hat er sich jüngst entschieden, besetzt bald einen dieser Arbeitsplätze in der türkischen Mannschaft.

Keser: Der tut uns gut. Das ist ein wichtiger Punkt, denn die Spielertypen, die wir benötigen, braucht der DFB fast gar nicht. Toprak ist für uns Gold wert, weil wir in der Abwehr unsere Baustellen haben.
Um Serdar Tasci haben Sie sich damals aus diesem Grunde auch bemüht.

Keser: Das ist unglücklich gelaufen. Für uns wäre er sehr wichtig, in Deutschland wird er gar nicht mehr nominiert. Nach seinen Einsätzen in der A-Nationalmannschaft ist er festgespielt. Er hat sich so entschieden, trotzdem ist es schade, weil es drei Verlierer gibt.

Plagt Sie manchmal so etwas wie ein schlechtes Gewissen, in Deutschland ausgebildete Spieler anzusprechen?

Keser: Die Spieler werden doch von den Vereinen ausgebildet, um Punkte zu holen. Jeder Spieler hat die Pflicht, für seinen Verein die Knochen hinzuhalten. Aber alles andere muss das Herz entscheiden.