Faro. Zum Abschluss der Post-WM-Saison gewinnt Deutschland 7:0 gegen Gibraltar. Das Spiel war allerdings so wechselhaft wie die gesamte Länderspielsaison
Das letzte Spiel der Fußballsaison war ein echtes Spektakel, das kann man nicht anders sagen. Wunderschöne Tore, zahlreiche Torchancen und hier und da ein sehenswertes Kabinettstückchen. Die Zuschauer kamen zweifelsohne auf ihre Kosten – im Stuttgarter Gazi-Stadion, am Sonntag, bei Sami Khediras Benefizspiel zu Gunsten von drei Kinderheimen und einem Kinderhospiz.
Immerhin sieben Treffer fielen am Tag zuvor beim wirklichen Saisonabschluss, als die deutsche Nationalmannschaft an der Algarve Fußballzwerg Gibraltar in der EM-Qualifikation standesgemäß mit 7:0 bezwang. Doch anders als bei Khediras Freundschaftskick musste Bundestrainer Joachim Löw, der am Sonntag in Stuttgart selbst noch mal die Fußballschuhe schnürte, am Abend zuvor ein differenziertes Fazit ziehen. „Wir haben in der ersten Halbzeit, wie schon in den vergangenen Spielen, viele Chancen vergeben. Damit waren wir nicht zufrieden“, mäkelte Löw, der nach nur einem Tor durch André Schürrle in den ersten 45 Minuten sogar etwas lauter in der Kabine geworden sein soll. Versöhnlich stimmte den Nationaltrainer nur, dass Schürrle, Max Kruse (je zwei), Ilkay Gündogan und Karim Bellarabi in den zweiten 45 Minuten noch sechs Treffer nachlegten. „Die zweite Halbzeit war absolut in Ordnung“, bilanzierte Löw, der sich nach dem 4:0 sogar die Zeit nahm, sich in aller Ruhe auf der Bank die Finger zu feilen. „Irgendwie ist mir ein Nagel abgebrochen. Das sollte nicht despektierlich sein, aber mir ist der Nagel eingerissen.“
Nur fünf Siege in zehn Länderspielen in der Saison 2014/2015
Mal abgesehen von Löws Nagelproblemen, die nach dem Spiel sehr viel intensiver als das auf dem Rasen Gebotene diskutiert wurden, bleibt somit festzuhalten, dass der letzte Auftritt der Nationalmannschaft im Fußballjahr 2014/15 genauso wechselhaft wie die komplette Post-WM-Saison. „Es war ein schweres Jahr“, gab der frisch gefeilte Bundestrainer ohne große Umschweife zu. Von zehn Länderspielen konnte der Weltmeister gerade mal fünf gewinnen. Besonders ärgerlich waren die EM-Qualifikationsausrutscher in Polen (0:2) und in Köln gegen Irland (1:1). „In der Qualifikation haben wir ein wenig an Boden verloren“, sagte Löw, dessen Team nach den Pflichtsiegen gegen Georgien (2:0) und Gibraltar (4:0 und 7:0) weiterhin vor den ersten beiden Länderspielen der kommenden Saison im September gegen Polen und in Schottland unter ungewohnten Erfolgsdruck steht. „Wir hatten zuletzt nicht diese Souveränität gehabt wie in den Jahren zuvor“, sagte der Coach, der trotzdem positiv in die Zukunft schaute. „Ich bin überzeugt, dass wir unsere Probleme kennen, sie angehen und dass die Mannschaft in die Spur kommt.“
Doch was genau sind die Probleme des Weltmeisters? Fast auf den Tag ein Jahr nach dem berauschenden WM-Auftakt gegen Portugal (4:0) in Salvador scheint die Findungsphase einer neuen Mannschaft, die im kommenden Sommer in Frankreich erneut einen Titel gewinnen kann, noch lange nicht abgeschlossen. Die zurückgetretenen Nationalmannschaftssäulen Philipp Lahm, Per Mertesacker und Miroslav Klose fehlen noch immer – genauso wie das angestrebte Grundgerüst, auf das Löw ein neues titelreifes Team aufbauen will. So scheinen ein Jahr vor der Europameisterschaft in Frankreich weder Taktik noch Team oder auch Ausrichtung klar. „Wir müssen uns klar verbessern“, mahnte Löw, der nun sogar in Erwägung zieht, frische Kräfte aus der U21-Nationalmannschaft debütieren zu lassen: „Wann der richtige Zeitpunkt für einzelne Spieler sein wird, muss man abwarten. Wir haben noch nicht den Druck, endgültige Entscheidungen zu fällen. Aber einige junge Spieler wollen wir gerne heranführen.“
In Gibraltar fehlten fünf gesetzte Spieler
Wirklich gesetzt sind bei Löw vor allem diejenigen, die gegen Gibraltar gefehlt haben: Torhüter Manuel Neuer, Innenverteidiger Mats Hummels, Mittelfeldmann Toni Kroos und die Offensivkräfte Thomas Müller sowie Marco Reus. In Portugal am Sonnabend dabei waren Jerome Boateng und Kapitän Bastian Schweinsteiger, die für Löw ebenfalls unverzichtbar sind. Auch Mario Götze, Mesut Özil, Schürrle und Ilkay Gündogan gehören zu den Stammkräften, gute Chancen haben zudem Christoph Kramer, Bellarabi, Kruse, Mustafi sowie die Newcomer Sebastian Rudy, Jonas Hector, Antonio Rüdiger, Patrick Herrmann, Matthias Ginter und natürlich Altmeister Lukas Podolski. Letztgenannter muss allerdings zunächst seine eigene noch unsichere Zukunft beim FC Arsenal klären. „Ich werde mich sicherlich nicht auf die Bank oder Tribüne setzen. Aber jetzt freue ich mich erst einmal auf meinen Urlaub. In der neuen Saison werde ich dann irgendwo auf der Welt wieder neu anfangen“, sagte Podolski, der in typischer Poldi-Rhetorik all zu gerne auch noch mal an den WM-Sommer zurückdachte: „Der Moment, der mir immer in Erinnerung bleiben wird, ist, wie ich mit meinen Kindern auf dem Rasen stehe und den Pokal in Empfang nehme. Das wird mir keiner mehr nehmen, ein Leben lang, bis ich unter der Erde liege.“
Vor einem Jahr dabei war auch Torhüter Roman Weidenfeller, der nach seinem Einsatz gegen Gibraltar nun allerdings Platz für die junge Garde machen soll. Mit Marc-André ter Stegen, Ron-Robert Zieler, Timo Horn, Bernd Leno und Kevin Trapp bewirbt sich gleich ein Quintett für die Rolle des Neuer-Stellvertreters. Zumindest im Blickfeld des Bundestrainers sollen zudem die Youngster Emre Can, Robin Knoche, Johannes Geis, Maxi Arnold, Julian Brandt, Levin Öztunali und Kevin Volland sein. „Bei den jungen Spielern müssen wir sehen, wie sie sich jetzt bei der U21-EM zeigen“, so Löw, der noch vor dem Rückflug am frühen Sonntagmorgen um 7.30 Uhr in zwei Fällen Entwarnung geben konnte: Götze, der am Vorabend wegen einer Muskeleinblutung auswechselt werden musste, habe lediglich einen Pferdekuss erhalten. Und im Hinblick auf Khediras Spaßspiel am Nachmittag in Stuttgart fast noch wichtiger: auch der eigene Nagel, im Internet bereits als der „Nagel der Nation“ bezeichnet, war auf dem Weg der Besserung.
Kräftig gefeilt werden muss trotzdem – nicht am Nagel, aber an der Mannschaft. Nach dem Urlaub.