Daegu. Diskuswerfer Robert Harting holte sich bei der Leichtathletik-WM souverän WM-Gold – und gab sich ruhiger als bei seinem Titel 2009 in Berlin. Er widmete die Goldmedaille seinem Freund, der als Soldat in Afghanistan gefallen ist.
Robert Harting humpelt. Die entzündete Patellasehne im linken Knie schmerzt, um seinen Hals hängt ein rosa Plastikschild: „Doping Control“. Die Kontrolleure bei der WM in Daegu verstehen keinen Spaß, der alte und neue Diskus-Weltmeister muss los. Als er durch die Tür geht, sieht er müde aus. Es ist eine Stunde vor Mitternacht. „War ein harter Tag“, sagt Harting. Dann grinst er. „Aber gut, oder?“
Niemand widerspricht. Mit einer Weite von 68,97 Metern hat der Berliner seinen Titel von 2009 verteidigt. Der Este Gerd Kanter, der mit 66,95 Metern Silber gewann, findet: „Robert war in einer eigenen Liga.“ Bronze-Mann Ehsan Hadadi (66,08 m) sagt gar nichts. Iraner tauchen nach Wettkämpfen ab.
Anders Robert Harting. In den Katakomben des Stadions ist an diesem Abend die Hölle los. Die russischen Reporter schubsen sich gegenseitig weg, weil die Stabhochspringerin Jelena Issinbajewa an der Wand lehnt und ihren sechsten Platz erklärt. Der Mann, der im Maskottchen-Kostüm der WM steckt, muss vorbei und zurück in die Arena. Er stolpert, schlägt lang hin und zappelt. Harting steht mitten im Trubel, dank seiner stabilen Bauweise würde er auch in einer durchgehenden Rinderherde seine Standhaftigkeit wahren.
Harting ließ es knallen
Seine Taktik im Diskuskäfig ist aufgegangen. „Als ich bei der Auslosung erfahren habe, dass ich als dritter Werfer dran bin, war mir klar: Ich gebe sofort Gas und haue ein Ding raus, dann kriegen die anderen nach mir ein Problem.“ Harting marschierte also in den Ring, als hätte er eine Stange Dynamit im Mund und ein Feuerzeug in der Hand. Und er ließ es knallen: 68,49 Meter! Das hätte bereits locker für Gold gereicht.
Der polnische Olympiasieger Piotr Malachowski verlor nach diesem Auftakt die Nerven und flog als Neunter mit 63,37 Metern schon nach drei von sechs Durchgängen aus dem Finale. Kanter, der schon vier WM-Medaillen gewonnen hat, wusste sofort: „Da komme ich heute nicht ran, das habe ich nicht drauf!“
Harting grinst. „Gut so!“ Im Wettkampf hatte er noch Sorgen, dass ihn jemand überholt. Die Schmerzen in der Patellasehne pochten immer heftiger. „Ich musste die ganze Zeit joggen, um das Knie warm zu halten.“
Von der körperlichen Anstrengung, den Schmerzen und dem Nervenkrieg ist er jetzt nur noch kaputt. Wenn man führt und die Konkurrenten beobachtet, zerfließt die Zeit so zäh wie Straßenteer im August. Der 26-Jährige, der nach dem WM-Gold in seiner Heimatstadt Berlin bis morgens um neun gefeiert hatte, fragt in Südkorea noch nicht mal nach einem Bier. „Berlin war einmalig“, sagt er. „Da geht nichts drüber.“
Er hat versucht, den Moment von damals im Stadion von Daegu wieder aufleben zu lassen. Er wartete, bis ihn die Kameras im Visier hatten, dann blickte er fragend: Soll ich? Soll ich? Dann zerriss er wie nach dem Goldwurf in Berlin sein Trikot. Später will jemand wissen: „Gibt so was keinen Ärger mit dem Ausrüster?“ Der Fragesteller hat nicht verstanden, wie Werbung funktioniert.
Aber die großen Momente des Lebens kann man nicht zurückholen, sie sind zu fragil, wie alles, was schön ist. Harting hat auch zu viel erlebt, um noch so emotional wie in Berlin zu reagieren. „Ich habe viel darüber nachgedacht“, sagt er. Er wirkt oft laut und ungehobelt, aber er ist alles andere als ein dummer Mensch. Vieles ist sogar Kalkül, und er steuert manche Ausbrüche bewusst.
Trotzdem übermannt das Gebirge von Kerl plötzlich die Sentimentalität. Er widmet die Goldmedaille seinem Freund, der als Soldat in Afghanistan gefallen ist. „Ich weiß, dass du von oben zuguckst“, ruft er in den Himmel. Dann zerrt schon der erste Ordner am Zipfel der Trainingsjacke. Harting soll mitkommen zur Siegerehrung. Einen Moment blitzt der Harting mit den lockeren Sprüchen auf: „Wat denn? Bleib ma ruhig, ohne mich könnt ihr nicht anfangen.“ Dann geht er doch.
Beginnt danach die große Sause? Er dreht sich noch einmal um: „Nein, ich will in zwei Wochen noch beim Finale der Diamond League starten, ich gehe mit meinem Knie zum Arzt.“ Dann humpelt er los.