Berlin.. Eine Schau in der Berliner Akademie der Künste widmet sich dem Zusammenspiel von Menschen und Stadien: „Choreografie der Massen“ heißt sie. Sie konzentriert sich vor allem auf die Entwürfe des Architektenbüros Gerkan, Mark und Partner.
Als Volkwin Marg 1964 sein Architekturdiplom an der Technischen Universität Braunschweig machte, war er noch ein Flüchtlingssohn, den sein Weg von Ostpreußen über die DDR in den Westen geführt hatte. Heute gehört der 75-Jährige zu den wichtigsten Stadionarchitekten der Gegenwart. In Kiew und Warschau stehen seine neuesten Entwürfe – zur EM blickt ganz Europa auf sein Werk. In einer Ausstellung der Berliner Akademie der Künste erklärt Marg bis Mitte August, wie sie funktioniert – die „Choreographie der Massen“, die von den Stadien dieser Welt architektonisch dirigiert wird.
Marg gehört zum international renommierten Architektenbüro Gerkan, Marg und Partner (gmp) und hat die Ausstellung möglich gemacht. Im Zentrum steht deshalb auch die Geschichte seiner beiden EM-Stadien – in Entwurfszeichnungen, Modellen und Fotos. Ein kleines gmp-Festival also, zur Feier des Büros, das Volkwin Marg zusammen mit Meinhard von Gerkan 1965 gründete.
Die Zusammenarbeit beginnt mit einem Coup. Die beiden Newcomer bekommen den Zuschlag für den Neubau des Flughafens Berlin-Tegel. Heute, ein halbes Jahrhundert später, steht „gmp“ für internationale Großprojekte, hierzulande vor allem für den neuen Berliner Hauptbahnhof und das umgebaute Olympiastadion – allerdings auch für den neuen Großflughafen Berlin-Brandenburg.
Rausch – und Randale
Im Skandal um die gescheiterte Eröffnung des Flughafens gerieten auch die Architekten ins Visier. Das quält. Hinzu kommt: Margs Stadionbau in der Ukraine ist nicht unumstritten. Als sie den Auftrag für Kiew bekamen, rechtfertigt sich der Architekt heute, war die ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko noch nicht einmal an der Regierung, als sie zu bauen begannen, war sie gerade an der Macht – und als der Bau eröffnet wurde, schon im Gefängnis. „Gemischte Gefühle“, gesteht Marg ein. Auch als Architekt für die Massen: Nach der Erfahrung von zwei Diktaturen habe er immer noch „ein Problem mit rhythmischem Klatschen“. Beim Stadionbau gehe es ihm deshalb um die zentrale Frage: „Wie beherrscht man unterschwellige Reflexe?“
Für wen baue ich da eigentlich
Für Akademie-Präsident Klaus Staeck steht eine andere Frage im Zentrum: „Wer verdient daran?“ – am Massenzirkus, an Rausch und Randale. Immerhin: Die Choreographie der Massen ist kein Fernsehballett. Krawalle wie nach dem Bundesligaspiel Hertha BSC gegen Fortuna Düsseldorf oder die Massenpanik bei der Loveparade zeigen, wie unkontrollierbar Menschenmengen sind. „Der Einzelne ist in der Masse ein anderer als sonst“, sagt Volkwin Marg. „Und man fragt sich ja schon, für wen baue ich da eigentlich?“
„Vielleicht“, hofft Staeck „machen ja einige Fans den Umweg zu uns.“ Am liebsten in Massen – die Fanmeile am Brandenburger Tor ist schließlich nur hundert Meter von der Akademie am Pariser Platz entfernt. „Wer die Massen verachtet“, gibt Staeck zu bedenken, „liefert sie anderen aus.“
Der Massenmensch im Visier
Und doch bekommt der Massenmensch gleich im ersten Raum eins über die Rübe. „In den Massen verlieren die Dummen, Ungebildeten und Neidischen das Gefühl ihrer Nichtigkeit und Ohnmacht“, schreibt Gustave Le Bon, Begründer der Massenpsychologie Ende des 19. Jahrhunderts. Und Elias Canetti setzt in seinem berühmten Buch „Masse und Macht“ von 1960 nach: „Der Augenblick der Entladung, der so begehrt und glücklich ist, hat seine eigene Gefahr in sich.“
- Choreographie der Massen“, bis 12. August, Akademie der Künste, Berlin, Pariser Platz 4. Dienstags bis sonntags, 11 bis 20 Uhr, Eintritt frei