Aachen.. Willkommen im Aachener Tivoli-Grab: Der Traditionsclub Alemannia Aachen befindet sich im freien Fall in Richtung 3. Liga. Das große, neue Stadion ist eher ein Stimmungstöter als ein Heim-Festung.

Erik Meijer, Aachens Sportchef, rumpelstilzte auf der Tribüne nach immer neuen Tölpeleien der Seinen und schimpfte nachher wutentbrannt über „Schülerfehler“. Trainer Friedhelm Funkel sprach von „einem ganz, ganz bitteren Abend“. Seine Alemannia hatte wieder mal deprimierend verloren, fast wehrlos, 1:2 beim ähnlich schwachen FSV Frankfurt; die vierte Pleite in Folge, die dem „Gemälde des Schreckens“ (Aachener Zeitung) neue hässliche Fratzen zufügte. Nur noch der Relegationsplatz könne jetzt das Ziel sein, so Kapitän Benny Auer.

Im Rückblick darf man den 17. Mai 2008 als Auslöser für den Niedergang nennen, als sich Aachen ein Jahr nach dem Bundesliga-Abstieg noch stolz als Anderthalbligist fühlte. Drei wichtige Männer in dunklen Anzügen unter gelben Helmen warfen synchron je ein Häuflein Muttererde in den grauen Himmel. Das waren die ersten Spatenstiche für den neuen Tivoli durch Alemannia-Geschäftsführer Fritjof Kraemer, Bauunternehmer Walter Hellmich und Oberbürgermeister Jürgen Linden. Die drei lachten dabei um die Wette. Alemannia Aachen hatte womöglich begonnen, das eigene Grab zu schaufeln.

Ein seelenloses überdimensioniertes Stadion

Das seelenlose überdimensionierte Stadion erwies sich schnell als Stimmungstöter und ist selten halbvoll. Vor allem hatte sich der Club auf grotesk hohe Zinsen eingelassen. Fast fünf Millionen per annum, das lässt wenig Spielraum für einen wettbewerbsfähigen Kader. Zweimal drohte seitdem die Insolvenz. Zuletzt wurde im großen Stil umgeschuldet, Banken lenkten ein, Stadt und Land bürgen mit zweistelligen Millionensummen. Alemannia lebt nur dank lokaler Rettungsschirme.

Ohne Geld kann man schwer in Personal investieren. Und so danebengegriffen wie Aachen hat kaum mal wer. Spieler wie Erb, Stiepermann, Hartmann, Strifler, Bäcker, mit Abstrichen Yabo erwiesen sich als Flops. David Odonkor? War teilweise nicht mal im Kader. Wintereinkauf Albert Streit? In Frankfurt unsichtbar. Bas Sibum macht die Clubfreunde mit seinem hölzernen Stil und einer hohen Fehlpasssicherheit sogar aggressiv.

Trainer Funkel gab Woche für Woche zu Protokoll, die Qualität reiche, man müsse die Potenziale nur abrufen. Es folgten neue gejoggte Angriffe ohne Plan und Elan, kaum mal ein Aufbäumen, spielerische Flaute. Elementare Mittel fehlen. Neulich gab es zwei Spiele hintereinander ohne ernsthafte Torchance. „Ein Verein auf dem Sterbebett“ sah die Aachener Zeitung schon vor dem Freitagspiel.

Auers Torriecher nutzt wenig

Aachens Spiel ist fatal auf Benny Auer zugeschnitten, den langsamsten Stürmer im bezahlten Fußball. Der verliere bald Wettrennen gegen seinen 2-jährigen Sohn, witzeln sie schon in der Mannschaft. Aber Auer senior, 31, bleibt ein Phänomen im Strafraum, wie er in Frankfurt mit seinem kuriosen Treffer aus Rückenlage bewies. Nur: Auers Torriecher nutzt wenig, weil Alemannia 2012 kaum einen Ball in Tornähe bekommt. Eine Alternative wäre Daniel Engelbrecht, dynamischer Torjäger der 2. Mannschaft. Defensivdenker Funkel gab ihm nie eine Chance. Jetzt verkündete der Junior unter wortreichem Getöse frustriert seinen Wechsel nach Bochum.

In Frankfurt tauchte ein neuer Fremdkörper im Team auf: Anouar Hadouir, eingewechselt nach einer Stunde. Er trickste, wollte jeden Ball, versuchte zumindest Doppelpässe, Direktspiel, Tempoverschärfung. Lauter Dinge, die man in Aachen nicht mehr kannte. Hadouir war vor Saisonbeginn als großer Lenker angekündigt worden, eine Art Houdini des Passspiels. Dann war er kaum im Kader, zuletzt wegen angeblicher Lustlosigkeit wochenlang suspendiert.

Baustellen gibt es überall: Nebengebäude des Stadions sind bis heute nur eingezäunte Rohbauten. Es gibt Streit mit der Hellmich-Gruppe. Trainingsplätze sind drei Jahre verspätet fertig geworden, Funktionäre zerstritten. Erik Meijer war immer sakrosankt. Dann kamen die Missgriffe beim Spielerkauf, der überstürzte Rauswurf von Peter Hyballa, die ungeliebte Funkel-Verpflichtung. Im Februar war Meijer beim torschusslosen 0:3 gegen Paderborn auf Segeltörn in der Karibik und verteidigte den Ausflug nachher noch. Seitdem ist auch sein Ansehen im Keller.

Hundeschau statt Fußball?

Die Stimmung schwankt zwischen hoffnungslos, zynisch und fatalistisch. Wenn die Aachen-Münchner so niedlich im Fernsehspot wirbt „Mit Geld spielt man nicht“, weiß der Aachener warum: Die versenken es seit Jahren als Hauptsponsor lieber gleich bei Alemannia. Andere schlagen vor, das Stadion umzubauen wie Arsenals Highbury in London: Studentenwohnungen, Vorlesungen auf der Haupttribüne, der luxeriöse Catering-Bereich als chice Mensa. Alternativideen: Freilichtmessen, Hundeschauen.

Nach jedem Spiel erzählt Funkel, was er „keine Durchhalteparolen“ nennt: Fehler analysieren und fürderhin unterlassen, kompakter sein, besser stehen. Was gibt noch Hoffnung, den freien Fall zu stoppen? „Wir stehen auf dem Relegationsplatz und werden weiter sehr, sehr intensiv arbeiten.“

Noch sieben Spiele stehen an. Davon vier Heimspiele, sagen sie hoffnungsvoll. Bislang hat der Zweieinhalbligist im Tivoli-Grab ganze zwei von 13 gewonnen.