London.. Wenn der BVB gegen Bayern München antritt, ist es wie im Märchen: Die Mannschaft, der am wenigsten zugetraut wurde, schafft es bis ins Finale. Maßgeblichen Anteil daran, dass Fußball-Wunder wahr werden, haben Spieler wie Marcel Schmelzer, deren großes Potenzial Trainer Klopp schon früh erkannte.
Vor dem Gesetz und dem Gepäckband sind alle Menschen gleich. Deshalb muss der schwarz-gelbe Tross in London warten. Die Spieler von Borussia Dortmund tragen ihre dunklen Anzüge, das weiße Hemd, die dunkle Krawatte. Es ist der festliche Dresscode für die Feiertage in der Champions League, jenem Wettbewerb, in dem am Samstag in London das finale Duell zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern München stattfindet (20.45 Uhr im ZDF oder live in unserem Ticker).
Marcel Schmelzer macht es sich in der Zeit des Wartens bequem. Auf dem Gepäckband sitzend blättert er in einer Broschüre. Auf einer Seite sind Grüße der Dortmunder Fangemeinde an den BVB abgedruckt. „Macht Euch für immer unsterblich“, steht da geschrieben. Nicht weniger ist der Auftrag an eine Mannschaft, die auf wundersame Weise in eines der größten Spiele der deutschen Vereins-Fußball-Geschichte geraten ist. Finale in London, der BVB ist dabei. Schwer zu begreifen. Auch für Schmelzer. Gerade für Schmelzer.
„Wir haben das Unmögliche geschafft“, sagt er, aber: „Wenn man mittendrin ist, kann man das gar nicht realisieren.“
Er ist mittendrin. Und damit ist dieser Marcel Schmelzer das perfekte Sinnbild dieses BVB: Er steht wie kein anderer für das Werk seines Trainers Jürgen Klopp und für die Botschaft, dass immer alles möglich ist.
Klopp wollte Schmelzer schon für Mainz
Als dieser Jürgen Klopp 2008 in Dortmund anheuerte, hatte er Schmelzer längst im Blick – als Verstärkung für seinen FSV Mainz 05, bei dem er zuvor arbeitete. Schmelzer war gerade 20 Jahre alt und Teil der Amateur-Mannschaft. Nicht als Leistungsträger, sondern als Reservist. Klopp beförderte den Magdeburger sofort zu den Profis, weil er Dinge in ihm sah, die bisweilen so mancher heute noch nicht sieht.
Anders ist es nicht zu erklären, dass der Linksverteidiger des deutschen Meisters, Doublesiegers und Champions-League-Finalisten nie Teil des aufgeregten medialen Transfer-Geschachers wird. Um ihn gibt es keine Gerüchte. Böse gesagt: Nicht einmal dafür scheint er aufregend genug. Und selbst Bundestrainer Joachim Löw weiß nicht genau, was er mit dem 25-Jährigen anfangen soll. Nie zuvor hat der Bundestrainer einen Spieler, von dem er weiß, dass er ihn noch benötigen wird, ohne Not öffentlich so bloßgestellt wie den Dortmunder. Man müsse halt mit Schmelzer arbeiten, sagte er, er könne sich ja schließlich keinen besseren Mann schnitzen.
Das Märchen von Dortmunds Schmelzer kommt in Schwung
Wenige Tage nach der harschen Kritik schoss dieser Marcel Schmelzer, der als einziger Dortmunder Feldspieler jede Sekunde dieser Königsklassen-Saison auf dem Feld gestanden hat, seinen BVB zum 2:1-Vorrundensieg gegen Real Madrid – und brachte damit dieses schwarz-gelbe Märchen so richtig in Schwung. Der letzte Akt folgt heute.
Schmelzer war hart über Löws Worte gestürzt, aber er war schnell wieder aufgestanden. So macht es der BVB auch häufig genug. Nun ist er in London und strebt dem Gipfel entgegen. Cristiano Ronaldo, Lionel Messi und die anderen Stars des weltumspannenden Fußballgeschäfts sind nicht mehr dabei, sie werden zuschauen, wie die Dortmunder in der Rolle des netten, unerfahrenen Außenseiters den Triumph anstreben. „Jeder Spieler hat seine eigene Geschichte“, sagt Jürgen Klopp. Kaum eine davon geht so, dass der Weg in ein solches Finale wie vorgezeichnet scheinen würde. Es ist eine Mannschaft von Schmelzers, die da gerade nach der europäischen Krone greift und die Sympathien des Planeten im Sturm gewinnt, weil sie niemand dort erwartet hat, wo sie jetzt steht. Möglicherweise nicht einmal sie selbst.
Wenn der BVB seine Chance nutzt, kann er sich unsterblich machen
Das „kühne und aufregende Team“ werde ein „sehr beliebter Finalist“ sein, stellte die seriöse englische Zeitung „Times“ heraus. Klopp, Schmelzer und Co. haben nichts zu verlieren. „Wembley wird einer der größten Momente unseres Lebens“, sagt der Trainer, dem Schmelzer und die anderen so viel zu verdanken haben, weil er sie gesehen und ihnen vertraut hat. Zum Dank hoben sie für ihn wieder und wieder die Fußball-Gesetze aus den Angeln.
„Jürgen Klopp hat mir die Chance gegeben und ich habe sie genutzt“, sagt Marcel Schmelzer und steht auch in diesem Fall für das große Ganze. Sich bietende Chancen zu nutzen, war in der jüngeren Vergangenheit ein prägendes Merkmal dieser Dortmunder Mannschaft. Am Samstagabend in Wembley hat sie die Gelegenheit, sich unsterblich zu machen. Wenn es sein muss sogar für immer. Und noch länger.