Essen. Die Slowenen Tadej Pogacar und Primoz Roglic sind bei der Tour de France die Favoriten. Auch Team Ineos will vorne mitmischen.
Tadej Pogacar brauchte ein wenig Zeit, um warm zu werden. Zunächst sollte er erzählen, was denn in diesem Jahr anders sei als noch bei der vergangenen Tour de France. Der Startort an diesem Samstag sei ein anderer, Brest statt Nizza, Bretagne statt Cote d’Azur. Aber sonst sei eigentlich alles wie auch schon 2020.
Na ja, nicht ganz. Pogacar geht in diese Frankreich-Rundfahrt als Titelverteidiger. Von den Medien hielt ihn sein Team UAE-Emirates größtenteils fern. Fragen durften schriftlich eingereicht werden, Pogacar beantwortete sie in einem vom Team produzierten Video. Dies hatte natürlich auch mit den Corona-Hygieneauflagen zu tun. Es wird ihnen aber vor allem recht gewesen sein, ihr Ausnahmetalent ein wenig aus der Schusslinie zu nehmen.
Titelverteidiger Pogacar sieht sich "nicht als Leader"
Das Interesse am slowenischen Wunderkind ist riesig. Kurz vor seinem 22. Geburtstag im vergangenen Sommer hatte er die Radsport-Welt verzaubert. Auf der vorletzten Etappe, einem Bergzeitfahren, nahm er mit einer fulminanten Fahrt ins Gelbe Trikot seinem Landsmann Primoz Roglic noch die entscheidenden Sekunden ab. Pogacar, der jüngste Tour-Champion seit 1904.
Vor den Kameras aber wirkt Pogacar noch immer wie ein Lehrling, schüchtern, bloß nichts Verkehrtes sagen. „Ich sehe mich nicht als Leader, der seine Mannschaftskollegen herumkommandiert“, meint er. Er sei zwar derjenige für die Gesamtwertung. Aber bitte: Die anderen im Team seien doch viel erfahrener als er, der Tour-Titelverteidiger. Doch an der Favoriten-Rolle kommt er in diesem Jahr nicht vorbei. Der in Monaco lebende Slowene gewann den Klassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich, das anspruchsvolle Vorbereitungsrennen Tirreno-Adriatico und zu guter Letzt die Slowenien-Rundfahrt. „Ich fühle mich gut vorbereitet“, sagt er.
Herausforderer Primoz Roglic bewies bei Paris-Nizza und der Baskenland-Rundfahrt eine starke Frühform. Ab Ende April zog sich der frühere Skispringer aus dem Renngeschehen zurück und schuftete allein im Training, um nicht wieder im entscheidenden Moment vom Jungspund abgekocht zu werden. Kurz vor dem Grand Départ wollte sich der 31-Jährige nicht in die Karten blicken lassen. „Mal sehen“, kommentierte er die Frage, ob er Pogacar diesmal wird besiegen können.
Team Ineos hofft ebenfalls auf den Sieg der Tour de France
Roglic weiß natürlich, dass auch sein slowenischer Rivale im Vergleich zum Vorjahr noch stärker geworden ist. Im Zeitfahren wollte sich Pogacar unbedingt noch steigern, vor allem im flachen Gelände ist Roglic, ein Freund der hohen Gänge, noch besser. Gleich zweimal steht in diesem Jahr der Kampf gegen die Uhr an - das spricht eigentlich für den Erfahreneren.
Genauso wie der Faktor Team: Jumbo-Visma schickt mit Steven Kruijswijk (34/Niederlande) und Sepp Kuss (26/USA) zwei Edel-Helfer für die Berge ins Rennen. Der Cottbuser Tony Martin (36) kann im Flachen Tempo bolzen.
Schon bei Pogacars Sieg im Vorjahr hatte vor allem Roglics Mannschaft viel investiert, um die Etappen zu kontrollieren, Kontrahenten abzuhängen und Ausreißer einzufangen. Pogacar ließ sich mitziehen, konnte so Körner sparen. Im Winter aber hat seine Mannschaft weitere Berg-Spezialisten verpflichtet, um die Tour-Ambitionen zu untermauen. In diese Falle möchte Jumbo-Visma kein zweites Mal tappen, nicht wieder mit leeren Händen dastehen. „Pogacar und auch das Team Ineos sollen in speziellen Momenten unter Zugzwang gesetzt werden“, kündigt der mehrmalige Zeitfahr-Weltmeister Martin an. „Da gehört dann auch dazu, dass wir je nach Rennsituation das stupide von vorne fahren abstellen.“
Ineos, das britische Team, das Chris Froome (36) zu vier Tour-Triumphen verholfen und das Geschehen über Jahre dominierte, könnte beim slowenischen Duell dazwischenfunken. Geraint Thomas (35/Wales), Richard Carapaz (28/Ecuador), Tao Geoghegan Hart (26/Großbritannien) - gleich drei frühere Grand-Tour-Sieger stehen im Aufgebot. Dazu der Vorjahresdritte Richie Porte (36/Australien). „Kommunikation wird der Schlüssel sein. „Wir haben vier starke Jungs, die aber alle kein übermäßiges Ego haben“, sagte Thomas: „Wenn wir zu viert nach der ersten Woche vorne dabei sind, ist das eine super Position. Aber wir kennen die Tour - das wird wahrscheinlich nicht passieren.“