Herzogenaurach. Thomas Müller spürt keine Knieprobleme mehr. Die deutsche Mannschaft kann ihn im EM-Achtelfinale in England gut gebrauchen.
Thomas Müller erscheint mit leichter Verspätung. „Das liegt daran, dass wir so fleißig trainieren“, sagt der deutsche Nationalspieler grinsend. Die Einheit am Samstagvormittag hat ein wenig länger gedauert als geplant.
Es gibt ja auch einiges aufzuarbeiten, nachdem die Nationalspieler am Freitag frei hatten. Denn das 2:2 gegen Ungarn, als durch Leon Goretzkas späten Ausgleichstreffer in der 84. Minute so eben noch der Einzug ins Europameisterschafts-Achtelfinale geschafft wurde, hat nicht nur für öffentliche Kritik gesorgt, auch intern fielen deutliche Worte. „Gegen Ungarn haben wir uns sicher mehr erhofft als ein knappes 2:2, da müssen wir ehrlich sein“, sagt Müller. „Aber das Gute ist: Das hat mit dem Spiel am Dienstag gar nichts zu tun.“
Am Dienstag nämlich geht es ins Allerheiligste des Fußballs, ins Wembley-Stadion, zum Achtelfinale gegen England (18 Uhr/ARD). Müller hat beste Erinnerungen an das Stadion und den Gegner: 2013 gewann er mit dem FC Bayern in Wembley die Champions League. 2010 spielte er sich mit der deutschen Nationalmannschaft im Weltmeisterschafts-Achtelfinale in einen 4:1-Rausch, zu dem er zwei Tore und eine Vorlage beitrug.
Thomas Müller zerstreut manche Zweifel
Nicht nur deswegen ist Müller an diesem Tag der passende Gesprächspartner, zumindest aus Sicht der deutschen Mannschaft. Denn der 31-Jährige kann auch fundiert wie wenig andere den Fußball reflektieren und erklären. Und er beherrscht es meisterhaft, dabei auch noch positive Stimmung zu verbreiten und so manche Zweifel zu zerstreuen.
Zum Beispiel die um sein rechtes Knie, in dem er sich im vorletzten Gruppenspiel gegen Portugal die Kapsel leicht verletzt hatte, was vor allem im Boulevard für Aufregung sorgte: Müller werde gegen Ungarn definitiv und im Achtelfinale möglicherweise ausfallen, lauteten die Schlagzeilen. Bekanntlich kam es ganz anders, Müller saß gegen Ungarn auf der Bank und wurde dann eingewechselt, als es enger wurde als gedacht und die Mannschaft dringend einen brauchte, der das Spiel strukturiert und die Kollegen mitreißt. Auch in England wird er dabei sein: „Wenn ich Probleme hätte, hätte ich heute nicht trainiert“, sagt er. Das hatte er aber, und es war eine durchaus intensive Einheit mit vielen Sprintübungen. „Das behindert mich gar nicht, auch wenn ich es in der einen oder anderen Aktion noch spüre“, sagt der Bayern-Profi. „Ich bin überzeugt, dass das für Dienstag keine Problematik ist.“
Einen Müller kann die deutsche Nationalmannschaft in Wembley gut gebrauchen, das weiß auch sein Sturmkollege Serge Gnabry. „Es ist immer wichtig, wenn Spieler auf dem Platz sind, die Kommandos geben, die vorangehen und die Anderen mitziehen, wenn mal nicht so läuft“, sagt er. Und zuletzt ist es ja nicht immer gelaufen, auch nicht in der Offensive, die sich gegen Ungarn schwertat, Chancen herauszuspielen.
Das allerdings will Müller so nicht stehenlassen: „Gegen Ungarns massiven Verteidigungsblock wird es immer wenig Chancen geben“, sagt der Angreifer. „Was es schlecht hat aussehen lassen, waren die Gegentore – denn wir haben es geschafft, zwei Tore gegen diesen defensiven Gegner zu schießen.“ Auch gegen England „wird es entscheidend sein, kein Tor zu kassieren“, sagt Müller. „Und wenn man dann nur ein, zwei Chancen hat, muss man entweder einen machen oder mal mit einem 0:0 in die Verlängerung gehen. Knapp zu gewinnen ist keine Schande.“
Defensive ist die größere Baustelle im DFB-Team als die Offensive
Tatsächlich ist die Defensive derzeit wohl die größere Baustelle im DFB-Team, fünf Gegentore nach drei Spielen sind zu viele. Aber: Auch für einen knappen Sieg braucht man Tore, und noch gibt es einiges zu verbessern im Offensivspiel. Auch bei Müller selbst, bei dem nach wie vor die Null steht: null Tore, null Torvorlagen nach drei Gruppenspielen. Es ist verrückt: Einer der torgefährlichsten Spieler der deutschen Länderspielgeschichte wartet auch nach 14 Einsätzen bei einer Europameisterschaft noch auf seinen ersten Treffer.
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Aktuell gibt es dafür auch eine gute Erklärung, nämlich die etwas andere Rolle als beim FC Bayern. Dort kann Müller seine Stärken als Raumdeuter voll ausspielen, kann listige Laufwege suchen, während die pfeilschnellen und dribbelstarken Außenspieler den Ball nach vorne tragen. Bei der DFB-Auswahl dagegen „komme ich etwas früher in Ballbesitz und bin mehr in einer initiierenden Rolle“, erklärt Müller. „Ich versuche natürlich, immer wieder mal im Strafraum anzukommen. Aber ich habe das Gefühl, dass es mich mehr zum Ball hinzieht, um Angriffe einzuleiten und Impulsgeber zu sein.“ So kommt er nicht oft in die Abschlusspositionen, die man sich als Torjäger wünscht.
Noch allerdings macht er nicht den Eindruck, dass ihm die Torflaute schlimmste Qualen bereitet: „Ich würde natürlich gerne mein erstes EM-Tor schießen“, sagt Müller. „Aber es steht bei mir nicht auf Tagesordnungspunkt 1. Das Wichtigste ist, dass wir die Spiele gewinnen und weiterkommen – dann kann ich auch ohne Tore und Vorlagen gut schlafen.“