Essen. Der frühere Nationaltrainer Sepp Piontek verfolgt den Werdegang der dänischen Mannschaft genau. Ganz besonders vor dem EM-Achtelfinale.
Die Sternstunde erlebte er aus nächster Nähe mit. Sepp Piontek saß auf der Tribüne des Nationalstadions Parken und war aus dem Häuschen wie alle Dänen. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, beschreibt der frühere Nationaltrainer Dänemarks die unvergleichliche Stimmung, die schon vor dem Anpfiff herrschte und sich nach dem historischen 4:1-Sieg gegen Russland in einen einzigartigen Siegestaumel entlud. „Es war einmalig, eine tolle Atmosphäre und fantastische Emotionen, noch besser, als ich sie als deutscher Nationalspieler im mit 120.000 Zuschauern vollbesetzten Maracana von Rio de Janeiro gegen Brasilien kennengelernt habe.“
Ein Abend in Rot-Weiß in Kopenhagen, der in die Geschichte eingeht. Sieg im dritten Spiel, ein Sieg, der genügte für den Einzug ins Achtelfinale bei der Europameisterschaft. „Wie im Märchen“, sagt der 81-Jährige, der sich als „55 Prozent Däne, 45 Prozent Deutscher“ bezeichnet. Der gebürtige Breslauer, als Spieler eine Ikone bei Werder Bremen, später Trainer an der Weser, bei St. Pauli und Düsseldorf, von 1979 bis 1990 der Coach der Ländermannschaft im nördlichen Nachbarland, hat natürlich mitgefiebert mit der Truppe, „die ganz unten war und sich aus dem verständlichen Tief nach dem Schicksalsschlag mit Christian Eriksen befreit hat.“
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Fassungslos hatte auch Piontek die Szene, als der Spielmacher den lebensbedrohlichen Kollaps in der Partie gegen Finnland erlitt, am heimischen TV verfolgt. Auch für ihn spielte danach der Fußball nur noch eine Nebenrolle: „In solchen Momenten zählt nur eins. Wichtig war nur, dass Eriksen lebt, alles andere war unwichtig.“ Beifall gibt es von dem lebenserfahrenen Kosmopoliten, der als Trainer auch auf Haiti, in der Türkei, in Grönland gearbeitet hat, für die Mannschaft, speziell die Leitfiguren Simon Kjaer und Kasper Schmeichel. „Alle haben sich vorbildlich verhalten. Dieses Ereignis hat die Elf noch mehr zu einer Einheit gebracht.“
Piontek über dänische EM-Mannschaft: "Eine stabile Elf, alles gute Typen"
„Danish Dynamite“, so der Spitzname der Truppe, im Umlauf seit der Zeit, als Piontek den Fußball auf ein hohes internationales Level gehoben hat. Die aktuellen Erben knüpfen an die damalige Epoche an. „Eine stabile Elf, alles gute Typen, eine gute Mischung aus erfahrenen Akteuren und vielversprechenden Talenten“, charakterisiert der seit Jahrzehnten auf der Insel Fünen lebende „Halb-Däne“. Neben Abwehrchef Kjaer und Ausnahmekeeper Schmeichel bilden für ihn der Dortmunder Thomas Delaney sowie aus der Bundesliga bekannte Profis wie Pierre Emile Höjbjerg (Tottenham) und Andreas Christensen (Chelsea) das Gerüst. Dazu Offensivkräfte wie der blitzschnelle Martin Braithwaite und der routinierte Leipziger Yussuf Poulsen, die den Altmeister begeistern, der aber auch von den Jungspunden überrascht ist: „Einen Mikkel Damsgaard aus Genua hatte ich bis zur EM nicht auf dem Schirm. Und auch der Jonas Wind macht auf sich aufmerksam.“
„Alles Gute“, wünscht Piontek seinem Trainerkollegen. „Ein guter Mann, ein vernünftiger Mann in jeder Hinsicht“, sagt er über den Chefcoach Kasper Hjulmand, den er bestens kennt und schätzt nicht nur wegen seiner fachlichen Qualifikation, sondern auch ob seiner pädagogischen Fähigkeiten und perfekten Menschenführung. „Er weiß alles über Fußball – und er versteht es, dieses Wissen an den Mann zu bringen.“
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Was ist noch möglich? Setzt sich der Siegeszug fort? Auch wenn er gegen die Waliser, deren physische Stärke („typischer Fußball von der Insel“) er lobt, ein ganz anderes Match erwartet, sei die kommende Aufgabe „durchaus lösbar“. Und sollte die Hürde gegen die Briten genommen werden, „so ist mit dem dann größeren Selbstvertrauen mehr möglich.“ Vielleicht sogar ein Wunder wie bei der EM 1992 mit dem sensationellen Titelgewinn im Finale gegen Deutschland. Richard Moeller-Nielsen, sein langjähriger Assistent, den Piontek protegiert hatte, durfte ernten, was sein Mentor und Meister gesät hatte. „Die Hälfte des siegreichen Kaders war schon zu meinen Zeiten dabei.“
Piontek über Portugal: "Zu sehr auf Ronaldo abgestimmt"
Für Piontek haben beim kontinentalen Turnier bisher einige der favorisierten Nationen nicht überzeugt. „Deutschland ganz bestimmt noch nicht, England auch nicht, Frankreich ist noch nicht so souverän wie bei der WM, Italien so la-la, bei Portugal ist alles zu sehr auf Cristiano Ronaldo abgestimmt.“ Seine Favoriten momentan lauten daher Spanien und Belgien. Dass nun in der Knockout-Runde viel von der Tagesform und dem Glücksfaktor abhängt, weiß Piontek aus Erfahrung. Und für Dänemark erträumt er sich eine goldene Zukunft und sagt über die Gegenwart: „Die Mannschaft hat das Vermögen, ins Halbfinale einzuziehen.“