Essen. Ex-Fußball-Kommentator Jörg Dahlmann hat ein Buch geschrieben. Darin zeigt er sich wenig selbstkritisch. Schuld sind immer die Anderen.
Nachtreten gehört sich nicht. Das wissen schon Kinder auf dem zum Fußballstadion umfunktionierten Garagenhof, auf Betonplatten und mit Torpfosten aus lästiger Winterjacke und Schulrucksack. Das wissen natürlich auch hochbezahlte Profi-Fußballer. Dennoch passiert das immer wieder.
Dort, wo Fernsehkameras aus allen Perspektiven und in Zeitlupe hinschauen, und die Reporter stellvertretend für den Zuschauer zum gnadenlosen Richter werden. Und das zu Recht. Nachtreten ist schließlich wirklich gemein.
Jahrzehntelang in den wichtigsten Stadien unterwegs
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Der Duden, immer noch maßgeblich in vielen Zweifelsfällen, definiert eindeutig. Nachtreten meint erstens „einen verletzt am Boden liegenden Spieler treten“, und zweitens „sich mit einem Tritt für ein Foul revanchieren“. Der ehemalige Fußball-Kommentator Jörg Dahlmann, immerhin jahrzehntelang in den wichtigsten Stadien des Landes und bei vielen bedeutenden Spielen arbeitend dabei, dürfte manches fiese Nachtreten, am oberen Ende der Skala der Unsportlichkeiten, gesehen und bewertet haben.
Eine dritte Bedeutung hätte er vielleicht im Duden besser noch einmal nachgeschlagen. Unter drittens steht da: „zusätzlich nachträglich [hämisch] kritisieren“.
Jeder bekommt „Immer geradeaus“ sein Fett weg
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Der kurze Exkurs hätte Jörg Dahlmann deshalb helfen können, weil er ein Buch geschrieben hat. Eine Art Autobiografie. Und wirklich jeder bekommt in „Immer geradeaus“ sein Fett weg. Also jeder, der ihm vorher mal „dumm“ gekommen ist. Der Dekan seines Fachbereichs an der Universität, Kollegen im Volontariat und später im Beruf – und allen voran sein letzter Chef, der Redaktionsleiter bei Sky. Der im Stadion stimmgewaltige TV-Reporter nennt Namen, Vergehen und vermutete Charakterfehler seiner „Gegenspieler“.
Das ist wirklich fieses Nachtreten, weil die Betroffenen keine Gelegenheit erhalten, ihre Sicht zu schildern. Er zieht viele Leumundszeugen heran. Trainer, Spieler und Kollegen bescheinigen ihm, alles richtig gemacht zu haben, ein kompetenter Fußballkenner und überhaupt ein guter Mensch zu sein. So wird er Ankläger und Richter in Personalunion, so wie er es von seiner Arbeit im Stadion nicht anders kennt. Der Autor wird so zum Scharfrichter.
Sehnsucht nach Anerkennung
Fußballkompetenz wird ihm niemand absprechen. Für alles andere müsste man ihn besser kennen. Seine etwas über 317 Seiten starke Autobiografie jedenfalls sagt sehr viel, erklärt wenig und zeigt sehr wohlwollend gesehen einen zutiefst verletzten Mann mit Sehnsucht nach Anerkennung. Kritisch betrachtet macht sich Dahlmann klein, vor allem, weil er nicht nur einmal nachtritt, sondern mehrmals. Und das nicht in der aufgeheizten Atmosphäre eines Zweikampfs auf dem Platz. Sondern lange nach Abpfiff, Duschbier und Heimfahrt. Und das gehört sich nun wirklich nicht.
Das Buch: Jörg Dahlmann, Immer geradeaus. Tore, Typen, Turbulenzen - meine wilde Zeit als Fußballreporter, 320 Seiten, Edel-Sports, 18,95€