Brest. Nach zwei Jahren Leidenszeit ist Chris Froome wieder da. Doch statt ums Gelbe Trikot zu kämpfen, ist der viermalige Champion nur Wasserträger.

Chris Froome kam schon einmal mit großer Vorfreude und ohne Druck zum Start der Tour de France nach Brest. 2008 war das. Froome, damals 23 Jahre alt, war noch nicht lange in Europa. Geboren in Kenia, aufgewachsen in Südafrika, und nur Fachleuten ein Begriff. Ein Rohdiamant mit ganz passablen Fähigkeiten, um mal ein guter Kletterer zu werden. Auf der Etappe nach L’Alpe d’Huez fuhr der Neuling auf einen respektablen 31. Platz, die Tour beendete er schließlich als 83. Der erste Teil von Froomes Rad-Karriere, der ihn zu vier Triumphen bei der Frankreich-Rundfahrt, zwei bei der Vuelta, und einem Giro-Sieg führen sollte, nahm in Brest seinen Anfang.

An diesem Samstag beginnt in der bretonischen Hafenstadt der zweite Teil. „Jetzt schließt sich hier ein Kreis – und ich kann kaum erwarten, dass es losgeht“, freut sich Froome, inzwischen 36 Jahre alt.

Chris Froome hatte einen schweren Unfall

 Dass er es überhaupt noch einmal aufs Rad geschafft hat, ist bemerkenswert. Im Juni 2019, kurz vor der Tour, erwischte ihn auf einer Trainingsfahrt eine Windböe, als er seine Hände kurz vom Lenker nahm. Froome krachte mit 54 Sachen in eine Hauswand. Er brach sich den Oberschenkel, die Hüfte, den Ellenbogen, Rippen, quetschte sich Wirbel und Brustkorb, die Lunge verlor an Halt. Zur Tragödie fehlte nicht viel. „Ich war vollständig in den Händen der Ersthelfer, ich war wie ein Beobachter, der sich das von außen anschaut“, schilderte Froome Anfang des Jahres dem Guardian. „Aber auf diese Weise wollte ich meine Karriere nicht beenden.“

Der Tour-Champion kämpfte sich zurück in den Sattel: vom Bett in den Rollstuhl, dann auf Krücken, Laufen musste er neu erlernen. Im Athletenzentrum von Red Bull in Santa Monica, Kalifornien, wo auch Snowboarder und Formel-1-Piloten schwitzen, wurde sein Comeback mit Hilfe der Wissenschaft ausgetüftelt. Der lädierte rechte Oberschenkel erzeugte bei Trainingsstart rund 20 Prozent weniger Kraft als der linke. Inzwischen ist die Balance zurück. „2019 habe ich die Tour aus dem Rollstuhl verfolgt“, sagt Froome. „Mich hat immer angetrieben, wieder hier zu sein.“

Chris Froome: Vom Team Ineos aus dem Tour-Aufgebot gestrichen

2020 scheiterte der Versuch noch, als sein Team Ineos ihn aus dem Tour-Aufgebot strich, die Vuelta verlief später enttäuschend. Im Frühjahr verstarb Froomes Vertrauter und Sportdirektor Nicolas Portal im Alter von nur 40 Jahren an einem Herzinfarkt. Froome wechselte zur Mannschaft Israel Start-up Nation: „Es ist etwas Neues, etwas Frisches und genau das, was ich brauche.“

Von der obersten Stufe des Tour-Podiums nach ganz unten – und wieder zurück? Es ist eine dieser Heldengeschichten, die den Sport so faszinierend macht. Wobei: Held? 2017 hatte Froome bei der Vuelta eine positive Dopingprobe hinterlassen. Nachgewiesen wurde eine zu hohe Dosis Salbutamol. Froome nahm diesen Wirkstoff gegen sein Asthma. Der Weltverband hat das Verfahren gegen das Branchen-Aushängeschild schließlich eingestellt, weil Froome mit Hilfe seines Teams erklären konnte, dass er das Mittel korrekt genutzt habe, obwohl der Grenzwert überschritten war. Zweifel blieben, neue Anfeindungen kamen hinzu.

Chris Froome: Das Vorbild ist Tom Brady

Froome war sowieso nie der Darling der Fans, wirkte stets unnahbar. Seine Fahrweise: ermüdend dominant. Respekt ja, Liebe nein. Doch auf dem Weg zurück in den Radsport hat es doch vor allem in den sozialen Netzwerken rund um Froome gemenschelt. Da ließ er die Welt an seiner Reha teilhaben. Bilder vom Training hier, Schnappschüsse mit der Familie, ein kleines Motivationsvideo. Er glaubt an große Triumphe im hohen Sportler-Alter. Football-Idol Tom Brady (43) hat ja erst wieder den Super Bowl gewonnen. Ernährung und Training machen das inzwischen möglich, meint Froome.

Doch um den Sieg bei dieser Tour de France wird der Altmeister sicher nicht mitfahren. „Ihr könnt definitiv erwarten, dass ihr mich seht, wie ich in den nächsten Wochen einige Flaschen hole“, kündigt Froome an, der den Edel-Helfer für Kapitän Michael Woods (34) geben soll. Froome träumt trotz berechtigter Skepsis weiter vom fünften Tour-Titel, mit dem er aufschließen würde zu Rad-Ikonen wie Eddy Merckx (76) oder Bernard Hinault (66). „Dafür haben wir ihn geholt“, sagt Team-Mitbesitzer Sylvan Adams. „Er ist keine Werbefigur für uns, sondern ein Champion.“ Der aber für seinen vielleicht größten Erfolg gar keinen Pokal erhalten wird.