Essen. Im Schatten des unfassbaren Mainzer Höhenfluges hat Borussia Dortmund die Bayern-kriese verschärft und eigene Ambitionen deutlich gemacht. Ein Kommentar.

Ein anhaltender Mainzer Höhenflug, M„Was hier abläuft, ist magisch“, hat Lewis Holtby (später mehr über ihn) gesagt. Und wer wollte dem Jungstar angesichts des schier unaufhaltsamen Höhenflugs seines Vereins widersprechen? Am Sonntagabend jedoch ist den neuen Medien-Lieblingen aus Mainz kurzzeitig – was diesen unglaublichen Saisonstart nur noch verrückter macht – die Show gestohlen worden: von einer Dortmunder Borussia, deren Fans sich nach dem 2:0 über die Bayern in goldgelbe Zeiten zurückversetzt sahen.

Dennoch: Wenn nicht alles täuscht, laufen weder die Verantwortlichen noch die Anhänger des BVB derzeit Gefahr, vor lauter Begeisterung durchzudrehen und das Augenmaß zu verlieren. Der Verein, dem vor gerade mal fünf Jahren noch die Lizenzverweigerung und Insolvenz drohte, hat augenscheinliche seine Lektion gelernt. Indem er auf eine Politik der Rückkehr zu den Wurzeln und des verantwortungsbewussten Aufbaus setzte, die unter Jürgen Klopp nun reiche Früchte zu tragen beginnt.

Welche Diskrepanz zum ewigen Revier-Rivalen. Die einzig „gute“ Nachricht für Schalke an diesem 7. Spieltag gab’s erst gestern Nachmittag. Aber dass Königsblau dank Eintracht Frankfurt (2:1 in Stuttgart) wenigstens die rote Laterne erspart blieb, dürfte vor dem Keller-Duell gegen Schlusslicht Stuttgart am 16. Oktober keinen Fan trösten. Auch nicht der Umstand, dass Rekordmeister Bayern lediglich vier Zähler mehr auf dem Konto hat.

Es ist eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet die Münchener, denen Felix Magath nach seinem Wolfsburg-Coup auch auf Schalke den Kampf angesagt hatte, zumindest in dieser Saison nicht mehr das Maß aller Dinge sind. Weil sie einer ähnlichen Fehleinschätzung ihrer Möglichkeiten aufgesessen sind wie Magath? Dabei hätten die Strategien beider Klubs nicht unterschiedlicher sein können. Während Schalke alles umkrempelte, setzte Bayern auf den – erfolgreichen – Kader des Vorjahres.

Sage jetzt niemand, er habe die Bayern-Krise kommen sehen. Weder waren die Ausfälle von Robben und Ribery vorhersehbar noch die anhaltende Formschwäche anderer Leistungsträger, für die die WM-Nachwehen nicht länger herhalten können. Wer ehrlich ist, muss einräumen: Dieser Bayern-Fehlstart bleibt in seinem Ausmaß ein Rätsel.

Was sich für die Schalker Entwicklung nicht sagen lässt. Hatte doch Magaths Total-Umbau von Anfang an Skepsis ausgelöst. Beteuerte der Coach zuletzt gebetsmühlenhaft, es habe zu seinen Maßnahmen keine Alternative gegeben, so schlug er nach dem 1:2 in Nürnberg erstmals härtere Töne gegenüber seinen Spielern an. Wobei seine Vermutung, viele wären womöglich in Gedanken schon bei ihrer Nationalmannschaft gewesen, reichlich abstrus klingt.

Während Magath also über die Motive seiner müden Kicker spekuliert, bleibt er Erklärungen für seine Personalpolitik schuldig. So wüssten die Fans zum Beispiel schon gern, welche Gedanken ihn bei der Personalie Lewis Holtby umtrieben? Zur Erinnerung: Vor gut einem Jahr hatte der Coach alle Hebel in Bewegung gesetzt, um den damals erst 18-Jährigen, hinter dem die halbe Liga her war, für eine Millionen-Ablösesumme nach Schalke zu holen. Weil er ihn – mit Recht, wie heute alle wissen – für „eines der größten Talente im deutschen Fußball“ hielt. Was Magath allerdings nicht davon abhielt, Holtby schon nach ein paar Monaten über den Umweg Bochum nach Mainz abzuschieben, genauer: auszuleihen. Inzwischen trägt jeder Geniestreich des Shootingstars auch etwas zur Entzauberung des großen Meisters auf Schalke bei.