Kapstadt. .

Mit einem beeindruckenden 4:0 hat die deutsche Nationalmannschaft Diego Maradonas Weltensemble aus dem Turnier katapultiert. Sogar der sonst so sachliche Joachim Löw gerät ins Schwärmen.

Im Märzen in München hatte Thomas Müller auch schon einen ziemlich lässigen Bartwuchs. Für einen Balljungen, wie spontan gemutmaßt wurde, konnte ihn Diego Maradona also gar nicht gehalten haben. Doch was ging im Trainerkopf vor? Durch wen glaubte er, sich in seiner Ehre gekränkt fühlen zu müssen, als er nach dem Sieg der argentinischen Nationalmannschaft gegen die deutsche Auswahl den Platz am Podium der Allianz-Arena verweigerte? Müller hatte in der Frühjahrs-Testpartie sein Debüt im Adlertrikot gegeben, anschließend wollte er Rede und Antwort stehen in seiner Heimatstadt. Doch dann kam Maradona. Doch dann ging Maradona, weil Müller am langen Tisch saß. Und dann ging Müller, weil Maradona ansonsten auf Nimmerwiedersehen verschwunden wäre.

Sollte Thomas Müller sich seinerzeit auch ein wenig in seiner Ehre gekränkt gefühlt haben, kann er nun behaupten, dass ihm die Satisfaktion gelungen ist. Rundum. Brutal. Nicht in einer Testpartie, in einem Geplänkel, sondern im Viertelfinale der Weltmeisterschaft. Weinend hat sich Argentinien aus Südafrika verabschiedet, weinend hat Maradona das Stadion in Kapstadt verlassen. 4:0 hat die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw gewonnen. Mit einem 4:0 hat sie den Weltstar und sein Weltensemble aus dem Turnier katapultiert. Gefochten haben diese Deutschen dabei mit dem filigranen Florett, nicht mit dem rustikalen Degen. Die Wunden, die sie hinterlassen haben, waren dennoch weithin sichtbar.

Und es war Müller, der den ersten Stich setzte. Bastian Schweinsteiger trat in der dritten Minute zum Freistoß an. Müller köpfte ein. 1:0. Maradona erklärte später, dass dieser Treffer seine Mannschaft aus dem Konzept gebracht hätte. Den Namen des Torschützen erwähnte er ebenso wenig wie den von Löw inszenierten berauschenden Konzeptfußball, durch den seine Elf der Messis, Higuains, Mascheranos an die für Heroenfußball nicht durchlässige Grenze geführt wurde. Doch auch der Bundestrainer sprach nach dem Triumph ausnahmsweise nicht von der gelungenen Raumaufteilung, von der Organisation, die in seinem Team gestimmt habe. „Was die Mannschaft heute an Willen abgerufen hat“, sagte er, „das war nicht internationales Niveau, das war Champions-Niveau.“

Schweinsteiger grandios

Das Championat, der WM-Titel, der vierte Stern liegt nun zum Greifen nah. Im Halbfinale am Mittwochabend in Durban wird Deutschlands Aufsehen erregende Spielgruppe den Spaniern begegnen, dem Gegner, dem sie im Finale der Europameisterschaft in Wien 2008 noch unterlegen war. Im Hyperraum der Superlative ist sie aber schon angekommen. Selbst der sachliche Herr Löw kann sich dem bezaubernden Flair, das von seinem Gebilde, von seinem systematisch erarbeiteten Konstrukt ausgeht, nicht mehr entziehen. „Es war ein grandioses Länderspiel von ihm“, schwärmte er von Bastian Schweinsteiger, dem Rasenherrscher. Und zu Miroslav Klose fiel ihm nach dessen Toren zum 2:0 und 4:0 nur noch ein, dass er doch immer „die Qualität“ dieses Mannes gepriesen habe.

Es ist eine Qualität, die sich in Zahlen ausdrücken lässt. In seinem 100. Länderspiel hat Klose seiner Gesamtbilanz die Treffer 51 und 52 hinzugefügt. Mit 14 Toren bei Weltmeisterschaften bewegt er sich auf einer Höhe mit dem legendären Gerd Müller. Bei einem weiteren Einschuss wird er Brasiliens Ronaldo in die Augen schauen können. Der Bayer ist allerdings ein Meister des Ballflachhaltens. „Wir freuen uns, dass wir hier im Halbfinale sind“, hat er verkündet, „das war unser Ziel. Alles andere ist jetzt Zugabe.“ Und außerdem sei auch nach dem 4:1 gegen die Engländer im Achtelfinale um ihn herum keine „Euphorie ausgebrochen“. Und: „Spanien ist sicher besser als England oder Argentinien.“

Friedrichs erstes Tor

Nur für zwei Spieler aus der ersten Formation dieser jungen deutschen Mannschaft wird diese WM wohl ihre letzte sein. Für Klose, den Stürmer, und für Arne Friedrich, den Verteidiger. Noch zwei Hürden müssen sie nehmen, um die Erinnerung an wunderbaren Fußball mit der Erinnerung an einen wunderbaren Erfolg zu vereinen. Ein besonderes persönliches Glückserlebnis ist Friedrich jedoch schon nicht mehr zu rauben. Ein Tor. Sein erstes Tor im Nationaltrikot. Das 3:0. Herausgezaubert von Bastian Schweinsteiger. „Zur Hälfte“, räumte der stets überaus seriöse 31-Jährige ein, gehöre sein einziger Treffer deshalb dem Kollegen Schweini.