Allein eine gute Tor-Quote ist nicht genug für die Nationalelf - der Spielertyp muss auch ins System passen. Deshalb ist Kuranyi für Schalke Gold wert, nicht aber für Jogi Löw.
Ja, zugegeben: die Torquote von Kevin Kuranyi in den vergangenen Jahren liest sich beeindruckend – aber reicht das wirklich für die Nationalmannschaft? Ein klares „Nein“. Das Spielsystem bei Schalke 04 ist vollkommen auf ihn zugeschnitten. Zwei Außenstürmer – insbesondere der eigentliche Überflieger in dieser Saison Jefferson Farfan – füttern ihn mit präzisen Flanken, die Kuranyi oft nur noch Richtung Tor bugsieren muss.
Doch welche fußballerischen Fähigkeiten besitzt Kuranyi, die eine erneute Berufung in die Fußball-Nationalmannschaft rechtfertigen würden? Seine technischen Fertigkeiten sind etwa im Vergleich zu Mario Gomez, Miro Klose oder Stefan Kießling beschränkt. Deshalb wird er auf Schalke auch nicht allzu oft in das direkte Kombinationsspiel einbezogen. Stattdessen zieht es ihn schon frühzeitig Richtung zweiten Pfosten, wo er seine eigentlichen Stärken - seinen Knipser-Instinkt und sein Kopfballspiel einsetzen kann.
Doppelpässe Fehlanzeige
Damit diese optimal zur Geltung kommen, hat Trainer Felix Magath auf Schalke das Flügelspiel perfektioniert. Auf einen Spielmacher, der mit dem Mittelstürmer Doppelpässe spielt, verzichtet der Meistertrainer lieber. Deshalb müsste Jogi Löw sein System bei der Nationalmannschaft komplett umstellen. Für einen Techniker wie Mesut Özil wäre ein Kuranyi nicht der passende Spielpartner. Auch fehlt Löw ein flinker Außenstürmer wie Farfan. Stattdessen sind die Außenpositionen mit spielstarken Typen wie Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger – vielleicht künftig sogar mit Thomas Müller und Toni Kroos – besetzt. Sie alle brauchen allerdings einen spielstarken Mittelstürmer zum Kombinieren und keinen Brecher-Typ wie Kuranyi.
Ein weiteres Manko des 1,90-Meter-Stürmers aus Schalke: Um mal einen Gegenspieler auszuspielen und so Freiräume für Mitspieler zu schaffen, fehlen Kuranyi die Schnelligkeit als auch die technische Finesse. Deshalb ist ein vielseitiger Spieler wie etwa Leverkusens Stefan Kießling für die Nationalmannschaft deutlich wertvoller. Er wird in die spielerisch vorgetragenen Angriffe der Bayer-Elf voll einbezogen, wirkt trotz seiner Größe nicht zu steif, ist schnell, trickreich und hat nun ebenfalls Torjäger-Qualitäten entwickelt. Und wenn es bei Kießling mal nicht rund läuft, findet er über den Kampf ins Spiel. Auch eine Tugend, die bei Kuranyi nicht allzu oft sichtbar wird.
Sensibler Charakter
Kuranyi hat derzeit unbestritten einen Lauf – wer so viel Selbstvertrauen besitzt, macht auch krumme Dinger rein – wie am Wochenende gegen Hoffenheim, als er eigentlich quer spielen wollte und der Ball plötzlich – auch für Kuranyi überraschend - im Tor landete. Doch genau hieraus könnte sich irgendwann wieder ein Problem entwickeln – wie schnell wird bei einem Stürmer aus einer steifen Brise ein laues Lüftchen. Gerade einen sensiblen Charakter wie Kuranyi – im ersten Liga-Spiel nach seinem Nationalmannschafts-Rauswurf kam er gerade einmal auf 18 Ballkontakte bis zu seiner Auswechslung in der 63. Minute – könnte eine Torflaute in ein tiefes Loch stoßen.
Womit wir schon beim nächsten Thema wären: Kann Jogi Löw den Spieler Kuranyi nach dessen Stadionflucht für die Nationalmannschaft überhaupt einladen, ohne sein Gesicht zu verlieren? Die Bestrafung mit dem Rausschmiss nach Kuranyis Flucht aus dem Stadion beim Russland-Spiel war hart, aber richtig. Ob sich der Schalker charakterlich wieder integrieren lässt, wäre keine leichte, aber lösbare Aufgabe. Trotzdem müssten sich schon mehrere Sturm-Kandidaten vor der WM Südafrika verletzen, bis sich diese Frage stellt.
Fazit: Für Schalke 04 und in Magaths Spielsystem mag Kuranyi der perfekte Spieler für das Sturmzentrum sein – doch für die Nationalmannschaft und die WM-Teilnahme in Südafrika reicht es nicht.
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