Madrid. Jude Bellingham und Real wollen am Dienstag gegen Bayern München den ersten Schritt zum Finaleinzug in der Champions League machen.

Um bei Real Madrid in den Stand eines Galaktischen berufen zu werden, braucht es auch die eigene Kreation eines Torjubels. Von Cristiano Ronaldo ist allen Fußballfans noch die Selbstinszenierung in Erinnerung, als er nach Toren mit halbgesprungener Breitbeinigkeit seine Männlichkeit zur Schau stellte. Wesentlich eleganter dagegen Raúl, der große Kapitän: ein kleines Torero-Tänzchen, als ob er den Ball nicht im Tor versenkt, sondern einen Stier mit der roten Capa ins Leere gelenkt hätte. Jude Bellingham ist noch nicht im Range diese Real-Ikonen angekommen. Doch das mit dem einzigartigen Jubel hat die derzeit größte Attraktion der Madridistas ja schon ganz gut hinbekommen.

Die Fans von Real Madrid tragen Bellingham-Trikots

Jude Bellingham bei seinem Siegtreffer für Real Madrid im Clásico gegen den FC Barcelona.
Jude Bellingham bei seinem Siegtreffer für Real Madrid im Clásico gegen den FC Barcelona. © AFP | THOMAS COEX

20 Jahre alt ist Jude Victor William Bellingham gerade erst. Als er im vergangenen Sommer für die Ablöse in Höhe von 103 Millionen Euro Borussia Dortmund in Richtung Spanien verließ, ging er bereits als Star. Bei Real entwickelte er sich seitdem zu einer globalen Sportfigur. Kein Trikot sieht man auf Madrids Gran Vía häufiger als das von Bellingham; Siegtore in beiden Clásicos gegen den FC Barcelona lassen dem englischen Nationalspieler die Fanherzen zufliegen. Beide Male breitete Bellingham danach markant seine Arme aus, als würde sein Körper einem Christuskreuz gleichen. Kinder ahmen ihm das nach und rufen „So wie Bellingham, Papa“, wenn sie für ein Foto posieren.

An diesem Dienstag (21 Uhr/Amazon Prime) muss der FC Bayern München im Halbfinal-Hinspiel der Champions League genau jene Pose befürchten, die Jude Bellingham weltweiten Ruhm und jüngst eine Laureus-Auszeichnung einbrachten. „Es ist wirklich schwierig, einen Spieler zu finden, den die Fans so sehr wegen seines Charakters und seiner Spielweise lieben“, lobpreiste ihn bei der Gala in Madrid besagter Senor Raúl. „Er wird für eine lange, lange Zeit eine Legende von Real Madrid sein.“

Jude Bellingham bei Real Madrid: Vergleiche mit di Stéfano, Ronaldo und Zidane

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Solche Worte wiegen schwer auf Schultern. Weil sich Real Madrid als mächtigste, glamouröseste und berühmteste Marke des Weltsports – nicht nur des Fußballs – versteht, müssen Neue bei „Los Blancos“ sofort überzeugen. Seine 21 Tore in 36 Pflichtspielen haben Jude Bellingham schon Assoziationen mit den Größten des Klubs eingebracht. 15 Tore in ersten 16 Pflichtspielen waren nicht einmal dem großen Alfredo di Stéfano gelungen. Ronaldo, das Original, gewann in seinem ersten Real-Jahr die Meisterschaft, Zinédine Zidane die Champions League. Jude Bellingham kann beide Trophäen in seiner Debütsaison gewinnen. Die und der mögliche Titel mit England bei der EM in Deutschland wären „eine erfolgreiche Saison für mich“, sagt er, „aber dafür braucht es viel Arbeit und Aufopferung.“

Jude Bellingham verkörpert wie nur wenige andere den Prototypen des modernen Fußballs: halb Künstler, halb Kämpfer, respektvoll gegenüber dem Verein und dessen Fans, resolut und fordernd, um auf dem Platz seine volle Wucht zu entfalten. Bei Real Madrid ist der Engländer ein Löwe unter den Königlichen. „Um ehrlich zu sein: Ich war erstaunt zu sehen, welche Persönlichkeit er in diese Kabine bringt, welche große Rolle er dort bereits einnimmt“, sagt sein Teamkollege, der deutsche Nationalverteidiger Antonio Rüdiger. „Er ist für sein Alter sehr erwachsen und professionell in allem, was er tut.“

Für Real-Trainer Carlo Ancelotti ist Jude Bellingham die zentrale Figur im System

Beim Laureus-Award in Madrid: Jude Bellingham, Star von Real Madrid, macht seinen Jubel vor, 100-Meter-Weltrekordler Usain Bolt macht ihn gerne nach.
Beim Laureus-Award in Madrid: Jude Bellingham, Star von Real Madrid, macht seinen Jubel vor, 100-Meter-Weltrekordler Usain Bolt macht ihn gerne nach. © Getty Images | Beatriz Velasco

Die Entwicklung des Jungen aus Stourbridge nahe Birmingham ist seit dem Abschied aus der Bundesliga unverkennbar. Auch während seiner drei BVB-Jahre wurde Jude Bellingham mit Superlativen überschüttet. Dort verzettelte er sich aber auch immer wieder in Disputen mit Schiedsrichtern oder ließ manchmal resignierend die Schultern hängen, wenn es nicht lief. Bei Real Madrid hat er gelernt, sich bei aller eigener Präsenz mal zurückzunehmen. In dem Wissen, die zentrale Bezugsperson für seinen Trainer zu sein. Für den teuersten Zugang des vergangenen Sommers stellte Carlo Ancelotti sein System um, beorderte er ihn aus dem Mittelfeld weiter nach vorne, weil Bellingham auf dem Platz immer instinktiv in den Strafraum eindringt, köpfen und aus der Distanz abziehen kann. Die Konsequenz? „Ich denke, ich bin zehnmal besser als letzte Saison“, sagt Bellingham. „Ich sauge alles Mögliche von meinen Mitspielern auf.“

Es ist naheliegend, dass Jude Bellingham, dessen Marktwert aktuell mit 180 Millionen Euro beziffert wird, eines Tages den Ballon d’Or gewinnen und als Weltfußballer ausgezeichnet kann. „Er überrascht. An jedem Tag, in jedem Spiel. Jude Bellingham ist ein Geschenk für den Fußball“, sagt Zinédine Zidane. Dessen Torjubel bei den Königlichen war eher dezent, aber dessen unvergessliche Trikotnummer fünf trägt Jude Bellingham stolz und andächtig nun auf seinem Rücken. Keine schlechten Voraussetzungen, ein Galaktischer zu werden.