Frankfurt/Main. Vor dem Duell mit den Niederlanden spricht der frühere Bondscoach Bert van Marwijk über den Fußball-Klassiker, Umbrüche und EM-Chancen.

Deutschland gegen die Niederlande. Auch Bert van Marwijk (71) war als Bondscoach (2008 bis 2012) schon Teil des Fußballklassikers. Vor dem Duell am Dienstag in Frankfurt/Main (20.45 Uhr/RTL) spricht der frühere Bundesliga-Trainer von Borussia Dortmund und dem Hamburger SV über zwei empfindliche Niederlagen gegen die DFB-Elf, Generationenwechsel und die EM-Chancen beider Länder.

Herr van Marwijk, wie erleben Sie die deutsch-niederländische Fußballrivalität?

Bert van Marwijk: Für mich persönlich ist sie gar nicht so wichtig und ich glaube, dass es viele Menschen in den Niederlanden inzwischen ähnlichsehen. Früher war das natürlich anders.

Als Bondscoach haben Sie gegen die DFB-Elf vor rund zwölf Jahren schlechte Erfahrungen gemacht. Im November 2011, etwas mehr als halbes Jahr vor der Europameisterschaft, unterlagen Sie in Hamburg der deutschen Mannschaft mit 0:3.

Das war eine Zeit, in der wir sehr häufig gewonnen haben. Wir haben sogar in Wembley England mit 3:2 besiegt. Gegen Deutschland aber hatten wir überhaupt keine Chance. Das war zwar eine große Ausnahme, doch auch schon ein Signal in Richtung der EM in Polen und der Ukraine, die für uns dann sehr enttäuschend lief. Wir haben dreimal in der Gruppenphase verloren – unter anderem gegen Deutschland – und sind ausgeschieden. Dabei wären wir ja noch zwei Jahre vorher mit fast derselben Mannschaft in Südafrika beinahe Weltmeister geworden.

2011: Bert van Marwijk und Bundestrainer Joachim Löw diskutieren rund um das Länderspiel zwischen Deutschland und den Niederlanden in Hamburg.
2011: Bert van Marwijk und Bundestrainer Joachim Löw diskutieren rund um das Länderspiel zwischen Deutschland und den Niederlanden in Hamburg. © firo Sportphoto | firo Sportphoto

Da verlor Oranje das Endspiel gegen Spanien. Was ist bei der EM passiert?

Man kann es nicht so wirklich erklären, das ist Fußball. Bei der WM hatten wir noch unser erstes Spiel gegen Dänemark mit 2:0 gewonnen. Auch bei der EM trafen wir zuerst auf Dänemark, haben viel besser gespielt, hatten unglaublich viele Torchancen – und sind dann in einen Konter gelaufen. Das war ungerecht und unglücklich. Die beiden folgenden Spiele gegen Deutschland und Portugal waren ebenso eng. Dann schlug die Stimmung, die zwei Jahre vorher noch so positiv war, um.

Bert van Marwijk über die WM 2010 und eine Goldene Generation

Der Verband entschied sich daraufhin für einen Trainerwechsel. Trauern Sie der verpassten Gelegenheit nach, Weltmeister zu werden? Es war schließlich eine Goldene Generation.

Wir hatten ein paar Generationen, die nicht schlecht waren (lacht). Damals bezog sich das vor allem auf unser Mittelfeld und den Angriff. Denn Sie müssen bedenken: Ich musste ohne Torwart anfangen, Edwin van der Sar hatte seine Karriere in der Nationalmannschaft gerade beendet. Gregory van der Wiel ließ ich als ganz jungen Spieler als Außenverteidiger debütieren. Meine Innenverteidiger Joris Mathijsen und Johnny Heitinga waren nicht mehr die jüngsten. Mein Kapitän hinten links, Giovanni van Bronckhorst, war schon 35 oder 36. Im Mittelfeld spielte mein Schwiegersohn Mark van Bommel neben Nigel de Jong. Vorne hatten wir Spieler, die bei großen Mannschaften unter Vertrag standen.

2010: Arjen Robben und Bert van Marwijk stoßen mit Oranje bis ins WM-Finale vor.
2010: Arjen Robben und Bert van Marwijk stoßen mit Oranje bis ins WM-Finale vor. © firo Sportphoto | firo Sportphoto

Robin van Persie, Dirk Kuyt oder Arjen Robben sind längt nicht mehr da. Was ist den Niederlanden bei der EM im Sommer zuzutrauen?

Wir haben Spieler, die bei Top-Klubs unter Vertrag stehen. Wenn alle fit sind, haben wir eine gute Mischung.

Wer sticht heraus? Mittelfeldstratege Frenkie de Jong vom FC Barcelona?

Es war nie mein Stil, einen Spieler hervorzuheben. Den Erfolg macht immer die ganze Mannschaft aus. Und da haben wir auf allen Positionen Spieler, die bei großen Vereinen sind.

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Bert van Marwijk über seine Zeit beim BVB und Donyell Malen

In der Bundesliga überragt in dieser Saison Donyell Malen von Ihrem Ex-Klub Borussia Dortmund. Auch er steht im niederländischen Kader. Was zeichnet Malen aus?

Ich kenne ihn gut aus seiner Zeit in Eindhoven. Mark war dort ja Trainer und ich haben ihn für anderthalb Jahre unterstützt. Malen spielt nun wie damals in Eindhoven. Er ist ein sehr schneller, gefährlicher Spieler, der Spiele für eine Mannschaft entscheiden kann, wenn er sich wohl fühlt und auf der Position eingesetzt wird, auf der er seine Qualitäten ausspielen kann. Am Anfang hat man in Dortmund nicht den echten Malen gesehen. Wenn er so weitermacht, kann er sicherlich noch den nächsten Schritt machen – auch zu einem Klub, der noch höher anzusehen ist als der BVB.

BVB-Profi Donyell Malen traf für Oranje gegen Schottland.
BVB-Profi Donyell Malen traf für Oranje gegen Schottland. © AFP | Koen Van Weel

Wie blicken Sie auf Ihre eigene Zeit in Dortmund zurück?

Ich habe sehr gute Erinnerungen an diese Zeit. Sie erinnern sich bestimmt, dass zwei, drei Monate nachdem ich eingestellt worden bin, öffentlich wurde, dass der Verein Schulden von über 100 Millionen Euro hatte. Alle im und rund um den Klub waren depressiv. Wir mussten auf unsere Jugendspieler setzen. Insgesamt haben wir es gut gemacht, finde ich. Es war schön in Dortmund, daher komme ich auch alle zwei, drei Monate zurück, schaue mir ein Spiel an und gehe mit Michael Meier essen, ab und zu auch mit Gerd Niebaum.

Bert van Marwijk über DFB-Team, Toni Kroos und Julian Nagelsmann

Wie wird die deutsche Mannschaft nach drei enttäuschenden Turnieren in Ihrer Heimat bewertet?

Deutschland hat das Problem, das alle Länder regelmäßig haben. Auch Vereine, aber da geschieht es nicht so oft, denn die können ja Spieler kaufen, wenn sie mit der Qualität des Teams nicht zufrieden sind. Die Nationalmannschaft ist immer abhängig von Generationen. Manchmal gibt es keinen guten Stürmer oder Torhüter, dann hast du plötzlich zwei, drei gute auf einmal. Ich denke, bin allerdings auch nicht mehr so nah dran, dass Deutschland momentan nicht die beste Generation hat. Das sieht man auch daran, dass viele neue Spieler ausprobiert werden müssen. Das Schwierige ist, dass man das akzeptieren muss. Und wie in anderen Ländern bekommt zuerst der Trainer die Schuld.

Toni Kroos ist in der DFB-Elf der Hoffnungsträger.
Toni Kroos ist in der DFB-Elf der Hoffnungsträger. © DPA Images | Christian Charisius

Haben Sie eine Lösung?

Man muss sich eingestehen, nicht die allerbeste Mannschaft zu haben. Dann geht es darum, zu analysieren, zu schauen, dass man eine Spielweise findet, die zu Trainer und Spieler passt. Und ganz wichtig: den eingeschlagenen Weg beibehalten. Ob man dann zwei, drei Spiele verliert, ist egal. Das Problem ist nur, dass Publikum und Medien dies nur schwer akzeptieren. Das ist in Deutschland nicht anders als in den Niederlanden. Ich hätte Hansi Flick übrigens nicht entlassen. Man sieht an den Ergebnisse nach ihm, dass nicht die Schuld allein bei ihm gelegen hat.

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Trauen Sie der deutschen Mannschaft trotzdem eine gute EM zu? Gegen Frankreich lief es nun ja sehr gut.

Es geht um Details und auch immer ein bisschen um Glück. Es kann gut sein, dass in diesem Prozess nun Toni Kroos oder Manuel Neuer die letzten Puzzlestücke sind, um wieder Erfolg zu haben. Was positiv ist: Julian Nagelsmann hat mit Kroos gesprochen und ihn überzeugt, sodass das Gefühl bei Kroos gut war. Da kann durchaus das entscheidende Stück sein, zu 100 Prozent sicher bin ich mir aber nicht.

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