Essen. Die DFL hat den Investorenprozess beendet. Bei den Fanprotesten aber ging es längst um mehr – um die Frage: Wem gehört der Fußball?

Am Mittwochnachmittag zog die Deutsche Fußball-Liga die Reißleine: „Präsidium der DFL führt Partnerprozess nicht fort“ lautete die harmlos klingende Überschrift über einer Meldung, die es in sich hatte. Denn sie bedeutete das Aus für den Investorenprozess der Deutschen Fußball-Liga. „Eine erfolgreiche Fortführung des Prozesses scheint in Anbetracht der aktuellen Entwicklungen nicht mehr möglich“, erklärte der DFL-Aufsichtsratsvorsitzende Hans-Joachim Watzke. Denn seit Wochen hatten die Fans in den Stadien der beiden höchsten deutschen Ligen vehement gegen den Deal protestiert, hatten sie Transparente gezeigt und vor allem Tennisbälle, Schokotaler oder sogar ferngesteuerte Autos aufs Feld geworfen und mehrere Partien an den Rand des Abbruchs gebracht.

„Der deutsche Profifußball steht inmitten einer Zerreißprobe, die nicht nur innerhalb des Ligaverbands zwischen den Klubs, sondern teilweise auch innerhalb der Klubs zwischen Profis, Trainern, Klubverantwortlichen, Aufsichtsgremien, Mitgliederversammlungen und Fangemeinschaften für große Auseinandersetzungen sorgt, die mit zunehmender Vehemenz den Spielbetrieb, konkrete Spielverläufe und damit die Integrität des Wettbewerbs gefährden“, meinte Watzke nun. Daher könne die Tragfähigkeit eines erfolgreichen Vertragsabschlusses nicht mehr sichergestellt werden.

Fans feiern das Ende des Investorenprozesses als Erfolg

Immer heftiger waren die Proteste zuletzt geworden, immer lauter auch die Diskussionen unter den Klubs, wie damit umzugehen sei. Bis das DFL-Präsidium am Ende keine andere Möglichkeit mehr sah, als den Prozess ganz einzustampfen. Das Fan-Bündnis „Unsere Kurve“ wertet den DFL-Rückzug als Sieg. „Die umfassenden, aber sehr friedlichen und sehr kreativen Proteste sind am Ende der Schlüssel zum Erfolg gewesen“, sagte Sprecher Thomas Kessen. Denn, auch das ist Teil der Wahrheit in diesem von Anfang an äußerst umstrittenen Prozess: Längst war es bei den Protesten um mehr gegangen als um die im Kern recht simple Frage, ob man wirklich dem Private-Equity-Unternehmen CVC für rund eine Milliarde Euro acht Prozent der Medienerlöse für 20 Jahre abtreten will. Es ging auch um Macht.

Es ging um die plakative Frage: Wem gehört der Fußball?

Borussia Dortmunds Offensivspieler Marco Reus hilft in Wolfsburg dabei, die auf den Platz geflogenen Tennisbälle wieder wegzuräumen.
Borussia Dortmunds Offensivspieler Marco Reus hilft in Wolfsburg dabei, die auf den Platz geflogenen Tennisbälle wieder wegzuräumen. © Getty Images | Oliver Hardt

Um die Antwort wird seit Jahren gerungen. Zwischen der Weißen Wiese in Dortmund einerseits, wo vor mehr als 100 Jahren einige junge Männer ihre ersten Spiele als Ballspielverein Borussia austrugen, und Fuschl am See in Österreich andererseits, wo der Getränkekonzern Red Bull einst beschloss, sich einen Bundesligaverein zuzulegen, um noch mehr Getränkedosen zu verkaufen. Dessen Fans übrigens, noch so ein Widerspruch, entdeckten kürzlich ihr antikapitalistisches Herz und protestierten gegen die Champions-League-Reform, die den beteiligten Klubs mehr Geld bringen und die Schere zwischen Arm und Reich im deutschen Fußball noch weiter auseinandergehen lassen wird.

Schon die Proteste gegen Dietmar Hopp standen vor der Eskalation

Wem gehört der Fußball? Diese Frage ist schon zweimal hochgekocht in der Bundesliga: Erst war da die Frage nach den Montagsspielen, auch da flogen Tennisbälle aus den Fankurven. Am Ende setzten sich die Anhänger durch, die DFL lenkte ein, die bei den TV-Sendern beliebten, bei den Fans aber verhassten Montagsspiele wurden wieder abgeschafft. Dann eskalierte ein Konflikt um Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp, als sich geschmacklose Plakate und überzogene Reaktionen durch den DFB immer weiter aufschaukelten, als ebenfalls Spielabbrüche drohten – bis die Corona-Pandemie und dadurch vorübergehend leere Stadien dem jäh ein Ende setzte. Die Konfliktlinien gibt es schon lange, der aktuelle Streit brachte sie wieder ans Tageslicht. Nun dürfte Ruhe einkehren – aber die grundsätzlichen Streitfragen bleiben, sie bleiben vor allem: ungeklärt.

Im Fadenkreuz: Schon die Proteste gegen Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp führte die Bundesliga nah an die Eskalation - bis die Corona-Pandemie kam.
Im Fadenkreuz: Schon die Proteste gegen Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp führte die Bundesliga nah an die Eskalation - bis die Corona-Pandemie kam. © dpa | Uwe Anspach

Wem also gehört der Fußball? Den Fans? Aber wer sind überhaupt die Fans? Sind es die Ultras in den Kurven, die die Stimmung im Stadion maßgeblich prägen, weil sie am lautesten sind und dazu straff organisiert? Die sehr gerne sehr selbstherrlich auftreten, die sich selbst als Bewahrer des echten, ursprünglichen Fußballs sehen, als Gegner der vorangaloppierenden Kommerzialisierung, gleichzeitig aber davon singen, wie toll der Europapokal ist, der doch das Kommerzialisierungskarussell erst richtig in Gang gebracht hat.

Fans als Selle, nicht als Herz des Fußballs

Sind es die, die die teuren Karten auf der Haupttribüne oder gar den VIP-Bereichen kaufen, die den Protest aktuell tolerieren, aber nicht mitmachen? Oder sind es die Hunderttausende vor dem Fernseher, die einfach nur ein Fußballspiel bezahlen wollen und die große Show mit ihren Pay-TV-Gebühren im Wesentlichen finanzieren? Wem von ihnen gehört der Fußball?

Alexander Zorniger, Trainer des Zweitligisten Greuther Fürth, versuchte sich am Wochenende an einer anatomischen Einordnung: Die Fans seien die Seele, nicht aber das Herz des Spiels. Denn der Kern blieben die Spieler, ohne die nichts ginge. Gehört der Fußball also den Spielern, die zunehmend genervt sind von den vielen Unterbrechungen? Andererseits hat doch gerade die Corona-Pandemie mit den Partien in leeren, trostlosen Betonschüsseln gezeigt, dass Fußball ohne Fans erheblich weniger Spaß macht, den Spielern wie den Zuschauern.

Der Klubboss als Sekretär des Ultras

Daraus erwächst natürlich auch Macht – zu viel Macht, sagen manche. Ein früherer Fußballfunktionär erklärt gerne die Geschichte, wie er einst am Tisch saß mit Vertretern von Fans und Vereinen. Und wie er einen Abgesandten einer Ultragruppe fragte, ob dieser denn gar nichts zu schreiben brauche. Nein, er habe ja seinen Sekretär dabei, kam als Antwort – und der Ultra-Vertreter zeigte auf den Klubboss.

Tatsächlich sind es ja meist die straff durchorganiserten Ultras, die zahlreich auf Mitgliederversammlungen erscheinen und so in die Klubgremien hineinregieren. Dass die Fans (mit-)bestimmen, ist im deutschen Fußball ja auch gewollt, das soll die 50+1-Regel garantieren, die die deutschen Klubs vor dem Zugriff von Investoren schützt. Zumindest in der Theorie sollen die mitgliedergesteuerten eingetragenen Vereine das letzte Wort haben. Aber mit der Theorie ist es oft so eine Sache, oft sind die Gremien und Entscheidungswege verschachtelt genug, um den Einfluss der Mitglieder gehörig zu verwässern.

Bei Hannover 96 wurde die 50+1-Regel zur Makulatur

Wem gehört der Fußball? Darum wird auch innerhalb der Klubs gerungen, am offensichtlichsten bei Hannover 96. Dort liegen Investor Martin Kind und das Präsidium des Muttervereins schon lange über Kreuz, man kommuniziert bestenfalls schriftlich, am liebsten aber gar nicht. 2022 versuchte der Verein, Kind vom Geschäftsführerposten zu entheben, Gerichte aber verhinderten das – weil Verein und Kind vorher mal einen Vertrag geschlossen hatten, der eine Absetzung des Geschäftsführers unmöglich macht. Die DFL hat den Vertrag bislang nicht beanstandet, obwohl er die 50+1-Regel zur Makulatur macht. So war es Kind möglich, in der geheimen DFL-Abstimmung zu einem Investor mutmaßlich die entscheidende Stimme dafür abzugeben, obwohl der Verein ihm ausdrücklich aufgetragen hatte, dagegen zu stimmen. Auch das ein Grund für die heftigen Proteste, das räumte nun auch die DFL ein.

Das nächste Fadenkreuz: An Martin Kind entzündet sich erneut ein heftiger Streit um die 50+1-Regel.
Das nächste Fadenkreuz: An Martin Kind entzündet sich erneut ein heftiger Streit um die 50+1-Regel. © dpa | Swen Pförtner

Zudem ließ die Causa Kind weitere Konfliktlinien aufbrechen: DFB und DFB, die beiden großen Verbände im deutschen Fußball, hatten ihren jahrelangen Kleinkrieg unter neuer Führung - unter Watzke auf der einen und Bernd Neuendorf auf der anderen Seite - endlich beendet, hatten das Verhältnis befriedet. Nun meldeten sich nacheinander Neuendorf und Rettig zu Wort und mahnten, die 50+1-Regel sei durch Hannover gefährdet, die DFL müsse dringend eine Regel finden. Selbst das Bundeskartellamt, das die Regel jüngst erst bestätigt hatte, ließ nun wissen: Man werde noch einmal prüfen, ob 50+1 rechtmäßig sei, wo doch der Anschein ist, dass es höchst selektiv angewendet wird.

Die Bundesligen driften auseinander

Es gibt ja nicht nur Hannover, es gibt auch Leipzig, wo knapp zwei Dutzend vom Mäzen handverlesene Mitglieder die Geschicke bestimmen. Es gibt Wolfsburg und Bayer Leverkusen als hundertprozentige Konzerntöchter, wo der Mutterkonzern auch mal Löcher in der Bilanz ausgleicht. Auch die Klubs sind ja keine homogene Masse, die Bundesligen driftet enorm auseinander – das zeigte schon die Abstimmung um den Investor, die einmal scheiterte und im zweiten Anlauf so eben die Zweidrittelmehrheit erreichte.

Schalkes Vorstandsvorsitzender fordert eine Umverteilung der TV-Gelder – auch zugunsten der Königsblauen.
Schalkes Vorstandsvorsitzender fordert eine Umverteilung der TV-Gelder – auch zugunsten der Königsblauen. © dpa | Tim Rehbein

Auf der einen Seite stehen die Kellerkinder der 2. Bundesliga, die ums Überleben kämpfen und auf eine möglichst gleichmäßige Verteilung der TV-Gelder hoffen. Auf der anderen Seite stehen die Schwergewichte Bayern München und Borussia Dortmund, die ein großes Stück vom Kuchen verlangen – weil sie es sind, die im Ausland überhaupt Interesse an der Bundesliga wecken. Und irgendwo dazwischen kämpfen Klubs wie der 1. FC Köln und Schalke 04 dafür, dass sportlicher Erfolg nicht alles sein kann in der Bewertung, dass man doch auch berücksichtigen müsse, wer tatsächlich die Fans an die Bildschirme lockt. Und nun läuft die nächste Debatte an, ob man nämlich nicht noch einmal abstimmen sollte über den Investorendeal.

Neue Abstimmung war keine Lösung

Wem also gehört der deutsche Fußball? Vielen verschiedenen Parteien, deren Interessen kaum noch unter einen Hut zu bringen sind – das musste letztlich auch die DFL erkennen. Viele hatten eine erneute Abstimmung gefordert, um die Legitimität des Prozesses zu erhöhen, doch darin sah die Ligaspitze keine Lösung. Die „würde weitere rechtliche Fragen zur Bewertung des im Dezember 2023 getroffenen, rechtswirksamen, von keinem Klub seinerzeit infrage gestellten oder angefochtenen Beschlusses aufwerfen, die das Risiko neuer rechtlicher Fragen oder sogar Auseinandersetzungen nach sich zöge“, hieß es etwas umständlich in der Mitteilung.

Im Klartext: Wer immer wieder abstimmen lässt, bis das Ergebnis allen passt, der öffnet Tür und Tor für Klagen gegen das Ergebnis. „Dies zu vermeiden und zu einem geordneten Spielbetrieb zurückzukehren, muss das vorrangige Ziel der DFL sein“, erklärte die Liga weiter. Ob das zumindest vorerst gelingt, wird sich schon am Freitagabend ab 18.30 Uhr zeigen – dann beginnen die Spiele der 2. Bundesliga.