Las Vegas. Dass San Francisco im Super Bowl gegen Kansas City steht, verdanken die 49ers Brock Purdy, der eigentlich keine Karriere haben sollte.

Am Montag hat sich Melanie Fitch mit ihrer Familie auf die rund 500 Kilometer lange und beschwerliche Fahrt von Newport Beach in Kalifornien nach Las Vegas begeben, mit viel Wind und noch mehr Regen. Das rote Trikot der San Francisco 49ers mit der Rückennummer 262 im Gepäck hat es trotzdem unbeschädigt in die Glücksspiel-Metropole in Nevada geschafft. Jenes Shirt, das sie im April 2022 in Las Vegas übergeben hatte mit den Worten: „Der 47. Mr. Irrelevant, der 262. Pick im NFL Draft 2022 von den San Francisco 49ers, ist Brock Purdy, Quarterback von der Universität von Iowa State.“ Purdy, ein junger Mann mit dem Lächeln aus der Zwieback-Werbung, war damals der neue Herr Unbedeutend – steht aber an diesem Sonntag (0.30 Uhr deutscher Zeit in der Nacht zu Montag/RTL) als drittjüngster Quarterback der Geschichte im Super Bowl.

Trotz Super-Statistiken und Super Bowl: Hitzige Diskussionen um Brock Purdy

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„Ich musste mich konzentrieren, um die Tradition am Leben zu halten“, sagt Melanie Fitch lächelnd, als sie sich an 2022 erinnert. Die heute 68-Jährige übernahm damals erstmals für ihren ein halbes Jahr zuvor verstorbenen Vater Paul Salata die Ehrung. Der frühere Football-Spieler hatte diese Auszeichnung ins Leben gerufen, die viel weniger als Häme denn als Aufmunterung für das letzte von einem NFL-Team gewählte Talent verstanden werden sollte. Und da ihr Vater sich immer wieder mit den Namen der Mr. Irrelevants schwer getan hatte, die auch schon mal Tevita Ofahengaue oder Cheta Ozougwu hießen, wollte Melanie Fitch auch nichts falsch aussprechen. Wobei sie vor zwei Jahren weniger Angst vor einem Zungenbrecher hatte als vor für sie kuriosen Vornamen: „Er heißt Brock, sein Bruder heißt Chubba – wer gibt seinen Kindern solche Namen?“

Brock Purdy ist es gewohnt, dass andere sich über ihn lustig machen, oder besser: ihn nicht wegen seiner Leistungen zu würdigen wissen. Dabei ruhen sämtliche Hoffnungen der Niners auf dem 24-Jährigen, am Sonntag im Allegiant Stadium gegen die Kansas City Chiefs um Star-Quarterback Patrick Mahomes (28) erstmals seit 1995 die Vince Lombardi Trophy hochzustemmen.

49ers-Quarterback Brock Purdy im Halbfinale gegen die Detroit Lions.
49ers-Quarterback Brock Purdy im Halbfinale gegen die Detroit Lions. © Getty Images via AFP | Thearon W. Henderson

Als Brock Purdy sogar Superstar Tom Brady besiegte

Es gibt kaum eine Statistik, in der Purdy unter den Startern der 32 Teams nicht unter den Top 5 ist. Mit seinen 100 Kilogramm, verteilt auf 1,85 Meter Körpergröße, hat er sich gegen teaminterne Konkurrenz in seiner Rolle durchgesetzt, selbst wenn diese wie Trey Lance ein Jahr vor ihm sogar an Position drei, also mit viel größeren Hoffnungen und Erwartungen, gedraftet wurde. In seinem ersten Spiel als startender Quarterback zerlegte Purdy sogar den siebenmaligen Champion Tom Brady und dessen Tampa Bay Buccaneers mit 35:7. Trotzdem muss er sich gerade Debatten anhören, die sich mit seinem Platz im American Football beschäftigen: Ist er jetzt wirklich ein Spielmacher, der ein Team über Jahre anführen kann? Oder ist er doch nur der Verwalter einer Offensive, in der die Stars wie Runningback Christian McCaffrey, Tight End George Kittle sowie die Wide Receiver Deebo Samuel und Brandon Aiyuk für allen Erfolg verantwortlich sind?

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„Ich nehme das als Kompliment“, sagt Brock Purdy, in der Super-Bowl-Woche nahezu täglich auf die Zweifel an seinen Qualitäten angesprochen. „Am Ende geht es aber nur darum, ein Spiel zu gewinnen.“ Sein Coach Kyle Shanahan, ein Taktik- und Offensivgenie, findet die Diskussion lächerlich und bezieht eine Legende, den viermaligen Super-Bowl-Sieger Joe Montana, mit ein: „Was, wenn Joe heute noch spielen würde? Er würde niemals so rennen wie Patrick Mahomes. Aber er ist Joe Montana! Ich vergleiche ihn ja auch nicht mit Brock.“

Die Quarterback-Stars im Super Bowl: Brock Purdy (links) und den San Francisco 49ers und Patrick Mahomes von den Kansas City Chiefs.
Die Quarterback-Stars im Super Bowl: Brock Purdy (links) und den San Francisco 49ers und Patrick Mahomes von den Kansas City Chiefs. © Getty Images via AFP | Candice Ward

Super Bowl: Purdy verdient ein Fünfzigstel von Patrick Mahomes

In der Kontroverse über gelungene Spielzüge, weite Pässe und Comebacks wie im Halbfinale gegen die Detroit Lions (34:31 nach 7:24-Rückstand) geht eines unter: Brock Purdys Superkraft ist nicht seine Beweglichkeit oder die Armstärke, sondern die Gabe, Begleitgeräusche auszublenden. Er will es viel mehr sich selbst beweisen, als Kritiker zu widerlegen: „Ich denke, mit der Zeit werde ich den Respekt bekommen. Ich habe mir gesagt, dass ich gut genug und es wert bin, auf diesem Level zu spielen.“

Der Glaube an sich und die Demut haben ihm dabei sehr geholfen, Widerstände zu überwinden. „Er hat ein Fundament dafür, wer er ist und wer er sein möchte“, sagt Kyle Shanahan, sein Quarterback „ist einer der selbstbewusstesten und bescheidensten Menschen, mit denen ich je zusammen gearbeitet habe.“ Purdy, der in der einer Saison 900.000 Dollar Gehalt verdient (Patrick Mahomes bekommt 45.000.000 Dollar), spielt tatsächlich nicht für sich, sondern für das Team. Er weckt auch trotz manchmal schwankender Auftritte das Vertrauen seiner Trainer und seiner Spieler in sich: „Im Grunde geht es im Leben nicht um dich. Wichtiger ist es, Teil von etwas zu sein, das größer ist als man selbst.“

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Brock Purdy wollte nicht in die Playboy-Villa oder ins Disneyland, sondern an den Strand

Ein jeder Mr. Irrelevant bekommt nach dem Draft eine Urlaubswoche geschenkt, ein Marketing-Gag. „Wir waren mit einem Spieler in der Playboy-Villa von Hugh Heffner. Brock hätte mit uns ins Disneyland fahren können“, sagt Melanie Fitch. Stattdessen wollte er lieber am kalifornischen Strand surfen und Knott’s Berry Farm besuchen. Einen alten Freizeitpark, in dem Purdy – ganz 49ers-like – nach Gold schürfen und mit dem Maskottchen Mr. Whittles Fangen spielen konnte. „Er ist einzigartig“, betont Melanie Fitch, „hoffentlich macht er ein gutes Spiel und gewinnt mit San Francisco den Super Bowl.“

Brock Purdy umarmt nach dem Einzug in den Super Bowl seine Verlobte Jenna Brandt.
Brock Purdy umarmt nach dem Einzug in den Super Bowl seine Verlobte Jenna Brandt. © Getty Images via AFP | Ezra Shaw

Ein Super-Bowl-Ring für den Sieg über die Chiefs am Sonntag wäre für Brock Purdy, der bald seine Freundin Jenna heiraten wird, das Größte. Ob der Triumph einen viel glücklicheren Mr. Irrelevant aus ihm machen würde? Dafür ist Purdy die eigene Bedeutung in seinem Sport einfach zu unbedeutend.